"Wundervoll! Wir stehen kurz vor der wechselseitigen Umarmung!"

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Zwei ORF-Haudegen im Rededuell : peter huemer, Mitinitiator von SOS-ORF, kreuzt die Diskussionsklingen mit kurt bergmann, der auf einem Regierungsticket im ORF-Stiftungsrat sitzt.

Die Furche: Bei mehr als 60.000 Unterschriften hält die Initiative "SOS-ORF" schon. Ist das das Rundfunk-Volksbegehren 2006?

Peter Huemer: Es ist eine Parallelaktion dazu mit den digitalen Möglichkeiten von heute. Und es konnte auch gar nicht anders laufen als auf diesem Wege, weil die Initiative keinen Groschen Geld und keine Organisationsstruktur hat. Ein Volksbegehren kostet eine Menge Geld. Wenn die Zivilgesellschaft sagt: Es reicht, und wir wollen etwas tun, dann ist eine Internet-Plattform die ideale Möglichkeit, und die haben wir genutzt.

Kurt Bergmann: Die Parallelität zum Volksbegehren von 1964, das ich selber unterzeichnet habe, sehe ich keineswegs. Das war eine wirklich unabhängige Aktion, die von den Tageszeitungen getragen war. Die jetzige Aktion ist eine toll gemachte Willensäußerung von Menschen, die über die eine oder andere Entwicklung im ORF in Sorge sind, aber damals hat es einen wirklich vom Staat und von den Parteien diktierten ORF gegeben, das gibt es heute nicht, auch wenn man dort und da anderer Meinung sein kann. Ich bedaure, dass die Plattform sehr ambitioniert begonnen hat, aber sofort auf die Homepage der SPÖ gestellt wurde. Natürlich ist eine solche Sache auch ernst zu nehmen. Ich hoffe, dass man nach der Hektik um die nächste Generaldirektorenwahl und den Nationalratswahlkampf auf dieser Basis zu vernünftigen Gesprächen kommt.

Huemer: Die vernünftigen Gespräche müssen vorher anfangen!

Bergmann: Kein Problem, denn wir reden ja schon!

Huemer: Die Plattform ist wirklich unabhängig! ...

Bergmann: ... und ich glaube Ihnen, dass sie so gedacht war. Sie sind nur missbraucht worden.

Huemer: Das mit der Homepage der SPÖ ist erledigt, wir sind dort nicht mehr. Wir haben nicht das geringste Interesse, Schildknechtdienste für eine politische Partei zu leisten. Was den Vergleich mit der Situation von 1964 betrifft - da bin ich mit Ihnen einer Meinung: 1964 gab es die volle, ungebremste Dominanz der beiden Parteien. Das war zum damaligen politischen Bewusstseinsstand noch möglich. Der Erfolg des Volksbegehrens hat aber gezeigt, es war nicht mehr möglich. Wenn wir heute von massivem politischen Druck auf den ORF sprechen, dann haben wir die Situation von 2006: Ich möchte dazu den ersten Satz des Offenen Briefs, den die Redakteure der Zeit im Bild an den Stiftungsrat gerichtet haben, zitieren: "Seit Jahren appellieren die Redakteure der Zeit im Bild an die ORF-Geschäftsführung, ihre Verantwortung wahrzunehmen und eine unbeeinflusste, nur an den Programmrichtlinien und dem Rundfunkgesetz orientierte Berichterstattung zu ermöglichen." Das ist das, was das Rundfunkgesetz auch tatsächlich vorschreibt, das ist das, was nicht passiert, deswegen appellieren die Redakteure seit Jahren. Wenn wir heute über Pressionen sprechen, dann müssen wir das Anspruchsniveau von 2006 nehmen - und was das Rundfunkgesetz 2001 vorgibt, in dem steht, dass die Unabhängigkeit der journalistischen Mitarbeiter nicht nur deren Recht, sondern auch deren Pflicht ist. Diese Mitarbeiter fühlen sich in diesem Recht und in dieser Pflicht beschnitten.

Bergmann: Wenn wir uns auf dieser Ebene begegnen, dann brauchen wir das Gespräch gar nicht fortzusetzen, denn ich bin komplett Ihrer Meinung. Als Mitglied des Stiftungsrates bin ich verpflichtet, danach zu handeln, was das Rundfunkgesetz sagt. Und dieses Gesetz schützt die Geschäftsführung vor dem Druck von außen, und danach kann es auch innen keinen politischen Druck geben ...

Huemer: ... es funktioniert aber nicht! ...

Bergmann: ... weil es gar nicht möglich ist, dass unter so vielen Menschen jeder das Gefühl hat, dass es funktioniert. Aber jede Geschäftsführung ist gut beraten, wenn sie sich damit auseinander setzt - auch die nächste. Ich glaube Ihnen, dass Sie sich unabhängig gegründet haben. Aber Sie müssen mir auch glauben, dass ich alles tun werde, damit dem Rundfunkgesetz Genüge getan wird, und dass eine entsprechende Geschäftsführung die nächsten fünf Jahre des ORF erfolgreich gestaltet.

Huemer: Wundervoll! Wir stehen unmittelbar vor der wechselseitigen Umarmung! Aber vor Monaten hat der Klubobmann der ÖVP, der nach dem Rundfunkgesetz dafür völlig unzuständig ist, erklärt, dass die große Regierungspartei mit der gegenwärtigen Generaldirektorin zufrieden ist. Das wäre nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass seitdem im Land die Überzeugung herrscht, damit sei die Wahl gelaufen. Das widerspricht sowohl dem Geist als auch dem Wortlaut des Rundfunkgesetzes. Ich habe mich sehr gewundert, dass sich der Stiftungsrat gegen diese Äußerung nicht verwahrt hat. Im Stiftungsrat sitzen zwar keine Fraktionen mehr, aber statt dessen haben sich die "Freundeskreise" gebildet: Das muss ich Ihnen nicht sagen. Und was stellt sich heraus? Diese sind dasselbe, was die Fraktionen früher waren - es wird nach Freundeskreisen und Vorabsprachen innerhalb dieser abgestimmt, obwohl im Rundfunkgesetz steht, dass die Stiftungsräte an keinerlei Aufträge und Weisungen gebunden sind. Aber es fügt sich halt zufällig so, dass es dann doch wie nach den klassischen politischen Formationen geht. Das alles widerspricht dem Rundfunkgesetz. SOS-ORF fordert, dass es ein transparentes Wahlverfahren für die künftige Geschäftsführung gibt. Dass hier die Freundeskreise keine Rolle spielen.

Bergmann: Wenn Sie Klubobmann Molterer zitieren, dann ist das ein bisschen Agitation, die ich Ihnen zugestehe. Jeder Österreicher kann auf eine Gefallens-oder Missfallenskundgebung in Richtung der ORF-Geschäftsführung pochen. Er kann auch sagen, dass sie ihm gefallen hat ...

Huemer: ... ich hab gesagt, das ist nicht das Problem, sondern: dass daraufhin die Meinung entstand, damit ist die Wahl gelaufen.

Bergmann: Aber die Meinung haben ja nicht die Stiftungsräte gemacht. Ich nehme das alles nicht bierernst: Wenn der Herr Gusenbauer sich hinstellt und sagt, die "SPÖ-Mitglieder" im Stiftungsrat werden die Frau Dr. Lindner nicht wählen, dann ist das eine viel gravierendere Beeinflussung von Stiftungsräten als die Privatbemerkung des Kollegen Molterer, der sagt, ihm g'fallt's, wie's die Lindner macht; auch wenn Gusenbauer den Werner Mück, der sich noch gar nicht um eine Funktion beworben hat, schon als Totengräber des ORF charakterisiert. Das fördert natürlich eine Kluftbildung innerhalb des Stiftungsrates. Und das Recht, mich mit anderen zu besprechen, lass ich mir von niemandem nehmen. Das Gesetz verlangt ja von mir nicht nur Unabhängigkeit, sondern sachgerechte Entscheidungen. Und die brauchen Mehrheiten: Natürlich wird es da Menschen geben, die miteinander ein Gespräch führen, die nicht blind in eine Sitzung gehen und dann nach Lust und Laune ihre Hand heben. Ich bin aber Ihrer Meinung, was das deutliche Sichtbarmachen des Entscheidungsprozesses betrifft.

Die Furche: Zuletzt wurde der Vorschlag ventiliert, die Wahl der Geschäftsführung im Stiftungsrat geheim durchzuführen - was das Gesetz ausdrücklich nicht vorsieht.

Bergmann: Von mir aus gesehen wäre es ja absurd, wenn ich gegen eine geheime Wahl wäre. Zweimal war ich ja ein Mittäter, dass im Zuge einer geheimen Wahl Gerd Bacher in den ORF zurückgekommen ist. Und der Otto Oberhammer (gegen den Bacher 1978 gewählt wurde, Anm.) wäre wahrscheinlich heute noch Generalintendant, wenn es das geheime Wahlrecht nicht gegeben hätte. Nur das löst unser unmittelbares Problem nicht, denn es wird bis zur nächsten Wahl im ORF-Stiftungsrat kein anderes Gesetz geben.

Huemer: Das Recht, sich mit anderen zu besprechen, streitet ja niemand ab. Das Bedauerliche, das Klägliche, ja das Jämmerliche ist, dass es dann letztlich doch immer nach den alten Fraktionslinien läuft. Da wird der Geist des Rundfunkgesetzes verletzt. Ich bin für einen deutlichen, transparenten Entscheidungsfindungsprozess und gleichzeitig für eine geheime Wahl, weil das den Druck von den

Stiftungsräten nimmt. Ich träume von einem Stiftungsrat, der kompetent in der Sache ist, und wo es einfach wechselnde Mehrheitsfindungen gibt in den verschiedenen Frage. Wenn es aber wie zuletzt passiert, dass ein Stiftungsrat, der der ÖVP zugerechnet wird, eine dezidierte Erklärung abgibt, wie gut ihm die Anliegen von SOS-ORF gefallen, und dann kommt der Zentralbetriebsratsobmann des ORF, der gleichzeitig auch ein Stiftungsrat für die große Regierungspartei ist, und fordert dessen Ausschluss aus dem Stiftungsrat ...

Bergmann: ... das ist jetzt aber ein Widerspruch: Sie sagen, wir alle sind die Knechte, die irgendwo dranhängen, und da sagt der Herr Braun, Ihre Plattform gefällt ihm, und dann meint der Fiedler "Den will ich nicht" - das ist alles innerhalb eines Freundeskreises ...

Huemer: ... aber der sagt nicht nur, gehört nicht mehr zu unseren Freunden, sondern er soll überhaupt aus dem Stiftungsrat fliegen.

Bergmann: Es zeigt, dass diese Gruppe, die Sie als "ÖVP-Freundeskreis" bezeichnen gar nicht so homogen ist und so befehlsorientiert, wie Sie das gern darstellen. Natürlich wird am Schluss immer die Personalentscheidung die sein, die am deutlichsten in der Öffentlichkeit diskutiert wird: Obwohl die Ausschreibung nicht einmal begonnen hat, weiß man in der Öffentlichkeit bereits, wer es wird, und wer es nicht werden darf. An sich eine skurrile Situation, wo das Mitglied Stiftungsrates sich nur zurücklehnen kann: bis Mitte Juli werdet ihr es noch derwarten ...

Huemer: ... aber es gibt die begründete Befürchtung in der Öffentlichkeit...

Bergmann: ... na, sagen wir: die Befürchtung ...

Huemer: ...ich sage ausdrücklich: die begründete Befürchtung, dass es doch wieder nur nach den alten Fraktionslinien laufen wird.

Die Furche: SOS-ORF bekrittelt auch tagespolitische Einflussnahmen. Ist dieses Problem wirklich so groß?

Huemer: Es findet in dem Maß statt, wie es hier behauptet wird. Es ist klar, dass der ORF im Kraftfeld der Politik steht; es wird immer die Versuche der Politik, Einfluss zu nehmen im Medium, geben. Daher hat mich vor einiger Zeit die Formulierung des Chefredakteurs Mück alarmiert, es gebe bei ihm keine politischen Interventionen. Ich war 35 Jahre im ORF: Ich weiß, wieviele politische Interventionen es immer gegeben hat. Wenn jetzt keine politischen Interventionen mehr stattfinden, dann ist entweder ein überirdischer Zustand eingetreten, der auf Erden noch keiner öffentlich-rechtlichen Anstalt je beschert war, oder die Regierung ist mit der laufenden Abwicklung der Geschäfte so zufrieden, dass keinerlei Anruf notwendig ist. Ich kann daher nur hoffen, dass das, was Mück gesagt hat, nicht stimmt.

Bergmann: Diese Dinge klingen natürlich ein bisschen blauäugig, vor allem, wenn man den Begriff "Intervention" so einfach im Raum stehen lässt. Es ist das Recht jedes Bürgers - auch eines Bundeskanzlers, eines Ministers, eines Trachtenvereinsvorsitzenden, jedes Menschen in diesem Land - beim ORF anzurufen und seinen Standpunkt zu erklären: "Das, was ihr jetzt gesendet habt, ist meiner Meinung nach falsch, ich kann das belegen, ich schick die Unterlagen etc." Intervention wird dann etwas Bösartiges, wenn der, der diesen Interventionsanruf zur Kenntnis nimmt, sich bedroht fühlt, wenn er das als Druck empfindet, den er auch noch weitergibt. Ich war zweimal Landesintendant, ich hätte auf die Frage: "Wird bei Ihnen politisch interveniert?" auch Nein gesagt. Aber das hat nicht geheißen, dass keiner angerufen hat.

Huemer: Es ist völlig klar, dass nicht alles, was an Anrufen aus der Politik kommt, eine Intervention ist. Wenn aber die Redakteure der Zeit im Bild sagen, es möge endlich eine unbeeinflusste, nur an den Programmrichtlinien und am Rundfunkgesetz ausgerichtete Berichterstattung ermöglicht werden, dann heißt das, dass die Redakteurinnen und Redakteure sich in ihrer Arbeit durch politische Einflussnahme behindert fühlen. Wenn diese hochprofessionellen Leute sagen: "Bitte lasst uns endlich in Ruh!" dann muss man das ernst nehmen.

Bergmann: Man muss diese Dinge immer ernst nehmen. Das, was die Redakteure als Resolution schreiben, ist ja einstimmig beschlossen worden - also auch mit der Stimme des Chefredakteurs! Für mich ist das ein deutliches Signal, dass die Dinge erkannt sind ...

Die Furche: In der Redakteursresolution gibt es Vorschläge, etwa, die innere Pluralität und die innere Konkurrenz zustärken. Kritisiert wird auch, dass die Informationsagenden beim Fernsehen in einer Hand konzentriert sind.

Bergmann: Ich bin weder General-noch Informationsdirektor, damit hat sich die Geschäftsführung auseinanderzusetzen ...

Die Furche: ... aber im Stiftungsrat reden Sie schon darüber?

Bergmann: Natürlich. Das zielt auf die nächste Geschäftsführung, das heißt wir wollen, losgelöst von Nationalrats-und Geschäftsführungswahl, dann die Dinge einfach handfester zu diskutieren. Nur ist schon im Detail zu hinterfragen: Was ist denn mit dieser inneren Konkurrenz? Das System der inneren Konkurrenz hatten wir schon, leidvollst, sehr teuer - wo sich die ORF-Teams gegenseitig auf die Fersen getreten sind, weil so viele ausgerückt sind, im Sinne der inneren Meinungsbildung. Wenn man auf der anderen Seite "Unabhängigkeit und Objektivität" nimmt, dann kann es ja mehrere Objektivitäten eigentlich nicht geben ...

Huemer: ... aber mehrere Annäherungen ...

Bergmann: ... und daher geht es auch um Mechanismen, bei denen man sagt, o.K., auf welcher breiteren Annäherungsbasis ist so etwas zu führen. Am Ende, und das will eine bestimmte Gruppe natürlich gar nicht, muss es eine Entscheidung geben - das ist in jeder Zeitung, in jeder Gurkerlfabrik so - ...

Huemer: ... unbestritten ...

Bergmann: ... und die wird einigen gefallen und einigen nicht.

Huemer: Auch klar. Ich meine aber trotzdem, dass sowohl Geschäftsführung als auch Stiftungsrat dem, was die dort Arbeitenden sagen, sehr gut zuhören sollten.

Bergmann: ... aber es ist .nicht nur diese Resolution. Uns ist jetzt im Programmausschuss und im Stiftungsrat ein Sendeschema vorgelegen, wir haben es auch beschlossen; aber das heißt nicht, dass wir ein Sendeschema, das seit elf Jahren fortgeschrieben wird, auch für die Zukunft akzeptieren. Auch da wird sich Wesentliches ändern müssen, weil die Zeit weitergeht.

Huemer: D'accord. Ich füge aber hinzu: Auch deswegen, weil sich der ORF auf seinen öffentlich-rechtlichen Grundauftrag besinnen muss.

Bergmann: Das ist ja das Grundelement...

Huemer: ... aber eindeutig zu wenig sichtbar.

Bergmann: Deswegen sage ich ja auch "Sendeschema"!

Huemer: Das Gesetz 2001 hat hier sehr schöne Formulierungen, aber das Gesetz allein macht es nicht, es geht schon um die handelnden Personen. Es ist offensichtlich, dass die dafür Verantwortlichen, wenn wir von den Problemen des ORF sprechen, Teil des Problems sind. Und für mich stellt sich die Frage, ob sie dann auch Teil einer zukünftigen Lösung sein können. Diese Frage möge der Stiftungsrat in einem fairen, seriösen Verfahren, unbeeinflusst von Parteipolitik klären.

Bergmann: D'accord!

Das Gespräch moderierte

Otto Friedrich.

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