Wunschbild oder Schreckensvision?

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Kein vernünftiger Mensch kann einen globalen Krieg wollen, der womöglich alles vernichtet - und doch gibt es Vorstellungen über ein derartiges Szenario schon seit unzähligen Generationen.

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Kein vernünftiger Mensch kann einen globalen Krieg wollen, der womöglich alles vernichtet - und doch gibt es Vorstellungen über ein derartiges Szenario schon seit unzähligen Generationen.

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Was steckt hinter den Bildern eines globalen, die ganze Erde umfassenden Krieges, die das eine Mal herbeigesehnt werden, ein anderes Mal nichts als Angst und Schrecken einjagen? Bei näherem Hinschauen sind vier voneinander unterscheidbare Denk- und Verhaltensmuster auszumachen, mit deren Hilfe das Phänomen "Globaler Krieg" in Vergangenheit und Gegenwart überschaubar gemacht werden kann.

Modell eins stammt aus einer Zeit, als die Texte des Alten und Neuen Testaments erdacht bzw. verfasst wurden. Bei diesem Ansatz wird Gott am "Ende der Zeiten" über die Welt Gericht halten und kraft seiner Allgewalt entscheiden, wer in den Himmel und hiermit zu immerwährender Glückseligkeit gelangen darf und wer zu ewiger Verdammnis in der Hölle verurteilt wird. Insbesondere die "Offenbarung des Johannes", die in frühchristlicher Zeit nicht zufällig in die Bibel aufgenommen worden ist, hat Generationen von Predigern und Künstlern dazu angeregt, dem Publikum die Totalität und Unvermeidbarkeit eines solchen Ereignisses drastisch vor Augen zu führen. Die laut Text über die "Welt" hereinbrechenden Heuschrecken sind mit Kampfhubschraubern verglichen worden, und auch der US-amerikanische Film "Apocalypse now" ist ebenso wie andere Weltuntergangsfilme ein beredtes Zeugnis für die Wirkmächtigkeit des Themas.

Blutige Spuren

Modell zwei ist kleiner dimensioniert. In diesem Fall werden begrenzte Räume als Schauplätze herangezogen, die mittels (auch) gewaltsamer Maßnahmen zu "Welten" gemacht und dann als "Welten" verteidigt werden. Der Zeitbogen ist keiner, der bis ans "Ende der Zeiten" reicht, sondern hängt nur an den Lebensdaten einzelner Persönlichkeiten oder an bestimmten Herrschaftssystemen. Der Aufstieg des Römischen Reiches war an eine lange Kette kriegerischer Akte gebunden, die keineswegs nur als Reaktion auf Angriffe von außen begründet werden können. Die byzantinischen Kaiser und, nach ihnen, die osmanischen Sultane in Konstantinopel beanspruchten über Jahrhunderte, den Mittelpunkt der "Welt" darzustellen und zu deren Erhalt auch zu den Waffen greifen zu müssen. Karl der Große heißt auch deshalb so, weil er mittels Gewalt ein großes Reich errichtet hat: Blutige Spuren prägten das Schicksal der Langobarden, Alpenslawen, Awaren, Bajuwaren und Sachsen. Dschingis Khan wird nachgesagt, die "Weltherrschaft" angestrebt zu haben und zwecks deren Umsetzung eine große Zahl von Ländern verwüstet und zahllose Völkerschaften unterjocht zu haben.

Auch die Ausbreitung des Islams im Frühmittelalter beruhte auf dem aus dem Koran abgeleiteten Anspruch, es lohne sich im Interesse des Erwerbs göttlicher Gnade, die Menschen jener "Welten", die keine Schriftreligion aufweisen, mit Krieg zu überziehen und ins "Haus des Friedens" überzuführen.

Das dritte Modell führt in jüngere Jahrhunderte. Nun wusste man, was zum Globus zählt, und wusste daher auch, was "man" noch wo holen könne, um im Wettlauf mit anderen Mächten nicht ins Hintertreffen zu geraten (Ressourcen, strategische Positionen, Prestigegewinn). Regionale Konflikte zwischen Rivalen -und sei es zur Herstellung oder Verhinderung großräumiger Hegemonie - konnten daher schrittweise zu Eskalationen führen, infolge derer etliche Weltteile in den Sog von Kriegen gerieten.

Dazu gehören die beiden Weltkriege, die beide nicht als Weltkriege konzipiert waren, aber an verschiedenen Stellen des Globus ausgetragen wurden. Dazu gehören im zeitlichen Vorlauf z. B. der Kampf um die "globale" Seeherrschaft zwischen England und Spanien oder der Aufstieg und Niedergang Frankreichs im Zeitalter Napoleons, der sich nicht nur vor Moskau oder bei Waterloo abgespielt hat, sondern auch in Ägypten oder in Nordamerika. Dazu ist auch der Ost-Westkonflikt zwischen den USA und der Sowjetunion zu zählen, der an sehr verschiedenen Örtlichkeiten der Welt offen oder versteckt ausgetragen wurde.

Modell vier führt in die Gegenwart. Eine der Spielarten ist das Dschihad-Motiv in Kreisen, die ohne ausreichende Kenntnis der Vielfältigkeit und Chronologie islamischer Denkansätze vermeinen, Gewalt "gegen die ganze Welt" (auch mittels der eigenen Aufopferung) sei im Namen Allahs gerechtfertigt.

Virtuelle Kampfzonen

Eine andere Spielart ist all dies, was nur unzureichend mit Cyber War umschrieben wird. Die virtuelle Kategorie Cyber Space deckt in der Tat "die ganze Welt" ab, doch hat ein Krieg im und um das Internet verschiedene Gesichter: Einmal kann es sich um die großflächige Ausschaltung elektronischer Schaltkreise handeln, um hiermit allseits Chaos zu erzeugen (z. B. keine Heizung, kein Kühlschrank, kein Autoverkehr, keine Lebensmittelversorgung, kein Handyempfang); ein anderes Mal sind es Würmer, Viren, Trojaner und dergleichen Schadenselemente, die elektronische Systeme unterwandern und zumindest teilweise zerstören sollen; ein drittes Mal geht es um das unerlaubte Eindringen in Datensätze, das zwecks Verhinderung äußerer Gewaltanwendung (Terrorismus) zu rechtfertigen sei.

So verschieden die Phänomene auch sind, haben sie doch mindestens dreierlei gemeinsam: Ob als bloße Vision oder in der Form realer Taten gehen derartige Phänomene immer von Menschen aus, sind also hausgemacht und als solche zu verstehen (nicht gleich bedeutend mit hinnehmen). In allen Varianten spielt die Idee von Gerechtigkeit eine gewisse Rolle - sei es zugunsten der Herstellung einer tatsächlich oder vermeintlich gerechten "Weltordnung", sei es zugunsten der Wiederherstellung fundamental verletzter Ehre, sei es im Sinne des immer währenden Ringens um die gerechte Verteilung von Macht und Einfluss. Das dritte Element hingegen kommt in der oftmals nur unterbewussten Sehnsucht zum Ausdruck, wonach irgendwann das mehr oder weniger militärische Ringen "um die Welt" ein Ende haben und ein idealisierter Urzustand wiederhergestellt sein werde -ob "zu ebener Erde" (Diesseits) oder "im ersten Stock"(Jenseits).

Der Autor ist Professor für Geschichte an der Universität Graz

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