Wut auf die Aufsteiger

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Olah mit Androsch und einem Schuß Lütgendorf: Ein etwas zu starker Pausencocktail. Sozialdemokratie

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Olah mit Androsch und einem Schuß Lütgendorf: Ein etwas zu starker Pausencocktail. Sozialdemokratie

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Lemminge folgen ihrem Todestrieb und stürzen sich in die Tiefe. Wenn der Protagonist eines Romans über die jüngere österreichische Geschichte diesen Namen trägt, kann es kein Zufall sein. Der Trieb, dem dieser Theodor Lemming, seines Zeichens hoffnungsvoller aufmüpfiger Sozialist, folgt, ist der Zeitgeist: "Halten Sie einmal einen auf, der sich schon demnächst eine größere Wohnung, ein teureres Auto und eine jüngere Frau würde leisten können. Halten Sie so einen einmal auf."

Dies ist nicht die einzige Bösartigkeit in diesem als Schlüsselroman über die Sozialdemokratie der siebziger Jahre ausgeschilderten Werk. Eine gewisse Wut des Autors ist spürbar, eine Wut, die nivelliert, oben und unten, links und rechts vergessen läßt. Gelegentlich scheint es so, als ob der Autor Michael Amon von dieser Wut getrieben würde. Gleich an dieser Stelle muß jedoch bereits ein Aber dazugesetzt werden, denn es gibt ja tatsächlich nicht wenige Auswüchse, Irrungen oder wie immer wir es nennen wollen in der Entwicklung der Sozialdemokratie, die das Hochkommen von Wut als gerechtfertigt erscheinen lassen. Nach der kulinarischen Erinnerungsarbeit über die siebziger Jahre folgt nun eine politische Abrechnung mit den Illusionen jener hoffnungsvollen 68er, die in politische Positionen aufgestiegen sind, in einer Zeit, die zu Hoffnung Anlaß gab: "Und daß auf dunkle Zeiten manchmal ein wenig Licht folgt, das hatten klügere Geister, als wir es waren, schon lange vor uns entdeckt. Trotzdem, diese kleine Menge Licht reichte aus, um uns im besten Licht erscheinen zu lassen. Gegen einen dunklen Hintergrund ist leicht strahlen. Wir strahlten gerne, wir waren stolz darauf, die Anständigen zu sein."

Der Roman ist eine Abrechnung in Form eines fortlaufenden bissigen Leitartikels, mit vielen klugen Sätzen, Eine Pointensammlung. "Im Siegestaumel sahen wir leider nicht, daß eben dieses Wort aus zwei Teilen besteht: der Sieg war das eine, aber bereits zu taumeln, das war das andere. Vom Taumeln zum Stolpern ist es nicht weit, und es dauert nur kurz: gerade so lange, wie eine Ära währt."

Die Geschichte eines Aufsteigers im Österreich des Wiederaufbaues und mit katholischer Vergangenheit wird schnell abgespult: "Theodor war ein stummer Katholik. Obwohl er sich fürchtete, daß Gott ihn sah, fühlte er sich doch unbeobachtet. Vielleicht ist Gott ein blinder Katholik."

Lachsbrötchen, Oberskren und Kaviar, täglich genossen, stumpfen ab. Nicht viel anders ist es leider mit dem Wortmenü, das der Autor scharfzüngig auftischt. Regiert die Sprache das Denken des Autors, der nie um ein Wortspiel verlegen ist? In seiner atemlosen Jagd nach Pointen wäre ein Innehalten angebracht, doch dies gönnt uns der Autor nicht, denn seine Figuren leben nur in dieser sprachlichen Welt, in einer artifiziellen künstlichen essayistischen Welt. Und wenn dann noch die Bezüge zu Gesellschaften und eben erst gesunkenen Schiffen und den Hofnarren einer neuen Bourgeoisie aufdringlich wie eine Prostituierte um Mitternacht in Vierteln mit zweifelhaftem Ruf das Rampenlicht betreten, dann ist das zuviel des Guten, dann ist Michael Amon vielleicht einer der "ewig Rechtzeitigen".

Was für einen Essay und für den Zeitgeist reicht, muß nicht auch für einen Roman genug sein. Doch dieser Kritik muß abermals sofort eine Selbstentgegnung folgen. Denn wer sich so weit vorwagt, daß er den integrativen Bestandteil der Erinnerung an den 12. Februar in der Sozialdemokratie mit dem Stellenwert vergleicht, den der Kreuzestod Christi bei den Christen einnimmt, der rüttelt nicht nur an Traditionen, der wagt es, sich zwischen alle Stühle zu setzen: "So wie die Christen alljährlich die Hinrichtung ihres Religionsgründers feiern und dabei versuchen, einem sinnlosen und überflüssigen Tod einen späten und tieferen Sinn zu verleihen, so ähnlich versuchten wir es mit dem 12. Februar und scheiterten ebenso kläglich wie einst unsere Helden."

Lemming macht seinen Weg, einen weiten Weg von den Vietkongfahnen am Rathausplatz über die Joints im Hyde Park bis ins Ministeramt und ins Sacher. Eine Hilfe auf diesem Weg ist die Verbindung mit Adelheid, die der sozialistischen Aristokratie entstammt: "Du ehelichst die Enkelin eines ehemaligen Bundespräsidenten, die Tochter eines roten Oberstaatsanwaltes ... und schon öffnen sich ein paar Türen und wenigstens ein kleiner Hauch von Geschichte umweht dich, wenn schon die Idee selbst längst hinweggehaucht ist."

Lemming wird Bautenminister und leitet später das Innenministerium, und wie es der Aufstieg so will, häufen sich die dunklen Geschäfte, und alles endet wieder mit katholischen Metaphern: "Das war der Lemming, wie ich ihn einst gekannt hatte. Er hat sich geopfert, und niemand außer mir wußte es. Er ließ sich ans Kreuz schlagen und nahm alle Schuld von uns. Wie katholisch, wie entsetzlich katholisch."

Die Waffengeschäfte Lemmings bleiben unentdeckt, und das fiktive Tonbandprotokoll des besten Freundes endet. Es folgt ein fiktives Nachwort des Herausgebers mit dem Hinweis, daß es natürlich nie ein Tonband gegeben habe, der Einsicht, daß die Sprache des Erzählers "viel zu sehr auf die Pointe hin kalkuliert ist" und einer Bekräftigung: "Natürlich gibt es Lemming, er heißt nur anders. Es gibt eine Wahrheit, aber vielleicht habe ich sie falsch buchstabiert."

Am Buchstabieren ist es sicher nicht gelegen, aber vielleicht hat der Autor einfach zuviel gewollt. Eine Mischung aus Olah und Androsch mit einem Schuß Lütgendorf ist doch ein zu starker Cocktail für ein Pausengeplauder auf dem Ball des Zeitgeistes.

Lemming - Geschichte eines Aufstiegs Roman von Michael Amon, Edition Atelier, Wien 1998, 224 Seiten, geb., öS 280,-

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