Zarengeld für Weimars darbenden Musenhof

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Die überfällige Biographie Maria Pawlownas erhellt die Kulturpolitik der Herrscherhäuser.

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Wenn von Standortvorteilen die Rede ist, mit denen eine Stadt Wirtschaftsbetriebe anlocken kann, kommt gelegentlich auch die Kultur ins Spiel. In einem Jahr, da die Weimarer Klassik so viel Aufmerksamkeit genießt, könnte man an diesem klassischen Beispiel darüber nachdenken, wie Kultur Geld ins Land locken und einem Gemeinwesen bescheidenen Umfangs politische Bedeutung bringen kann. Der Anstoß ist dem Historiker Detlef Jena und seinem Buch "Maria Pawlowna - Großherzogin an Weimars Musenhof" zu danken.

In populären Goethe-Biographien findet man selten ihren Namen. Immerhin hat sie 55 Jahre in Weimar gelebt und den oft notleidenden Musenhof entscheidend gefördert. Sie stand mit Goethe und anderen Größen ständig in Kontakt, hat Franz Liszt (wenn auch nur vorübergehend) nach Weimar geholt und sich besonders in der schweren Zeit des Übergangs nach dem Tode Goethes und ihres Schwiegervaters, des Großherzogs Carl August, bewährt. Die Armut, die Anna Amalia von Braunschweig vorgefunden hatte, nachdem sie nach Sachsen-Weimar-Eisenach geheiratet hatte und - schon nach zwei Jahren Witwe - für ihren Sohn Carl August die Regentschaft führte, ist bekannt. Das Ärgste war überstanden, als Carl August 1799 den vermessenen Gedanken faßte, für seinen Sohn Carl Friedrich um eine Tochter des Zaren zu werben. Maria Pawlownas Schwester wurde damals schon von Mecklenburg-Schwerin umworben. Deutsche Prinzessinnen waren ja im Hause Romanow zahlreich vertreten. Aber das kleine Weimar? Immerhin hatte man in St. Petersburg längst vom dortigen "Musenhof" gehört, und der Dichter Friedrich Maximilian von Klinger, in russischen Diensten, bewährte sich als Mittler des Kulturaustauschs.

Solche dynastische Ehen wurden keineswegs im Himmel geschlossen, sondern nach ausgiebigen Vertragsverhandlungen. Der Weimarer Abgesandte mußte mit kargen Spesen auskommen, als er auf die große Reise geschickt wurde. Und als das Vertragswerk fertig und der junge Erbprinz zur Vorstellung am Zarenhof eingeladen war, mußte er in Preußen einen Kredit aufnehmen, um überhaupt reisen zu können. Wie anders sah die Gegenseite aus! Schon zur Verlobung gab es einen Maskenball im Winterpalais, an dem 13.000 Personen teilnahmen. Bei der Vermählung im Sommer 1804 durch zwei hohe orthodoxe Würdenträger (der protestantische Superintendent nahm teil) trug die Braut Schmuck im Wert von zwei Millionen Rubel.

Bevor das Brautpaar in Weimar einzog, kam der "Trousseau", die mobile Aussteuer, auf etwa 80 Wagen, gezogen von 110 Pferden: Möbel, Tafelgeschirr, Gold- und Silberarbeiten, Vasen, Gobelins, Spiegelwände, Samoware, Küchengeschirr, Tischwäsche - alles wurde zunächst in zehn Räumen des Schlosses ausgestellt und der Schaulust der Weimarer zugänglich gemacht. Dazu gehörte die komplette Ausstattung für eine russisch-orthodoxe Kapelle, die im Schloß eingerichtet werden mußte.

Es versteht sich, daß der "Musenhof" in Bewegung geriet: Schiller dichtete am "Demetrius", den er nicht mehr vollenden konnte, der alte Wieland bestieg nochmal den Pegasus und dichtete Empfangsverse, auch Goethe war natürlich zur Stelle. Er sollte sich in den folgenden Jahren als Berater und Vertrauter vielfach bewähren und die junge Prinzessin behutsam in die Weimarer Verhältnisse einweihen. Ungeheuer lernbegierig war sie ja.

Maria blieb in Kontakt mit ihrer Heimat. Ihr Bruder, Zar Alexander, war bald in die napoleonischen Kriege verwickelt, die Prinzessin in Gefahr, vom Ursupator, der fast ganz Deutschland unterworfen hatte, in Geiselhaft genommen zu werden. Einmal mußte sie bis nach Schleswig ausweichen. Bei aller Beeinträchtigung durch die Kriegshandlungen bis 1814 ist es doch erstaunlich, wie Maria Pawlowna zahlreiche Aufgaben für sich fand und nach besten Kräften löste. Es ging vor allem um die Linderung akuter Nöte und die Betreibung von Bildungseinrichtungen - von der Berufsbildung für Waisenkinder bis zur Universität Jena. Maria hatte große, wenn auch nicht unerschöpfliche Geldmittel und setzte sie klug ein. So klug, daß all ihre aufwendigen Wohltaten, ihre Förderung der Künste und Wissenschaften am Ende das Vermögen, über das sie auch in der Heimat noch verfügte, nicht verringert hatten.

Sie stand zwischen den Fronten, auch nach dem Sturz Napoleons. Die autokratische Tradition Rußlands und die behutsamen Liberalisierungsansätze in Mitteldeutschland, schließlich die Revolution von 1848/49 forderten ihre diplomatisch ausgleichende Kunst heraus. Sie interessierte sich für die Gründung von Sparkassen ebenso wie für Garten- und Landschaftspflege, für Baumschulen und Krankenhäuser. Da die Gründergeneration des Musenhofes langsam abtrat, war sie auf Nachwuchs bedacht, suchte ihn in der Musik ebenso wie in neuen Gelehrten für Jena. Dabei wurde selbst im Zeichen der "Heiligen Allianz" nicht allzu streng auf das studentenbewegte Vorleben geachtet. Weimar blühte wirtschaftlich auf und blieb kulturell international im Gespräch.

Erstaunlich, daß sich in der Goetheforschung noch eine solche Lücke finden ließ. Gewiß, man kannte die "Kaiserliche Hoheit" von Weimar. Jeder weiß, daß die "Russische Kirche" bei der Fürstengruft und das Hotel Russischer Hof nicht Andenken an die sowjetische Besatzungsmacht sind. Aber die ganze Vielschichtigkeit ihrer großen Persönlichkeit und ihr vielseitiges Wirken dürften erst von Detlef Jena einem breiteren Publikum nahegebracht worden sein.

Maria Pawlowna - Großherzogin an Weimars Musenhof. Von Detlef Jena. Verlag Styria in Koproduktion mit Friedrich Pustet, Graz 1999. 383 Seiten, Stammtafel, Register, SW-Abbildungen, geb., öS 395,-/ e 28,70

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