Zarko Petans Vatersuche

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Viele Autoren suchen ihren Vater, auch der Meister des satirischen Aphorismus ist nun so weit.

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Viele Autoren suchen ihren Vater, auch der Meister des satirischen Aphorismus ist nun so weit.

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Die Suche nach dem Vater ist ein Schlüsselerlebnis vieler Dichter. Peter Henischs "Die kleine Figur meines Vaters" ist ein Klassiker dieses Genres. Nun ist auch Zarko Petan so weit: "Mein Vater starb vor 37 Jahren. Mir scheint, dass ich an jedem Tag, der seit seinem Tod vergangen ist, etwas Neues über ihn erfahren habe." Der slowenische Altmeister des satirischen Aphorismus hat sich auf die schmerzvolle Suche nach dem Vater begeben, der ihm einst nicht sehr viel bedeutet hatte. Erst nach dessen Tod und mit zunehmendem Alter beginnt er sich dafür zu interessieren, wer diese verdrängte Person wirklich gewesen sein könnte. Er rekonstruiert Erinnerungen, befragt Verwandte und seinen Bruder und fährt an Orte, an denen der Vater gelebt und gearbeitet hat. Ihm wird bewusst, dass er "viele bittere Erinnerungen wachgehalten hat, um die Versäumnisse zu überdecken".

Die Spurensuche erfasst ihn so, dass sie sein eigenes Leben als erfolgreicher Schriftsteller zu erschüttern droht. Mit der literarischen Aufarbeitung gelingt ihm eine einfühlsame Annäherung an den Vater und an die eigene Vergänglichkeit. Er erhellt auch Teile der slowenischen Geschichte, die den Balkankrieg und die ethnischen Greuel verständlicher machen.

Die Eltern des kleinen Zarko verbindet "rastlose Arbeit und Geld". Beide haben kaufmännisches Talent, der Vater betreibt ein Kaffehaus in Maribor und ist unentwegt in irgendwelche Geschäfte verstrickt. Die Mutter unterstützt ihn dabei, vor allem, um den beiden Söhnen ein lebenslängliches Auskommen zu sichern. Der Vater ist ein schöner, starker, beeindruckender Mann, der immer beschäftigt ist. Weder macht er Urlaub noch interessieren ihn andere Dinge als Geschäfte und sein Kaffeehaus. Die Söhne schickt er auf ein teures Privatinternat nach Senj, denn er ist der Meinung, "nicht reich genug zu sein, um sich billige Dinge leisten zu können." Dabei ist er keiner, der über Gefühle spricht oder sie zeigt.

Also entwickelt der sensible Zarko eine innige Beziehung zur Mutter. Der Vater bleibt im Schatten. Er ist ein Mann mit starren Prinzipien, der mit seinen Geschäftspartnern in einer Welt der Fakten und Zahlen lebt. Der künstlerische Sohn geht einen ganz anderen Weg und entdeckt erst als alternder Mann den Stellenwert, den er trotzdem für seinen Vater hatte und dem im Grund nicht das Geschäft, sondern die Familie alles bedeutete. Einmal, in den letzten verworrenen Kriegstagen, rettete er den älteren Sohn unter Einsatz seines eigenen Lebens vor der Erschießung durch herumstreunende deutsche Soldaten.

In der Erinnerung wird dem Autor bewusst, dass mit der Enteignung durch die Kommunisten Identität und Lebensinhalt seines Vaters schlagartig zerstört wurden. Erst wurde das Kaffeehaus enteignet, später auch die Wohnhäuser in der Stadt, die der Vater als sichere Geldanlage für die Familie erworben hatte. Aus dem freien Unternehmer, der stolz darauf gewesen war, seinen Söhnen ein Vermögen gesichert zu haben, wurde ein arbeitsloser Pensionist, der nie wieder in sein Leben hineinfand, so sehr er sich auch bemühte.

Zarko Petan wuchs zwischen dem freien Geist und Ton daheim im multikulturellen Maribor und der sozialistischen Indoktrinierung zum regimetreuen Kommunisten auf. Er steht ihr kritisch und ablehnend gegenüber. Immer wieder gab es - für den Heranwachsenden undurchschaubare - Kämpfe zwischen politischen Gruppierungen und Volksgruppen. Der Hass war irrational und willkürlich. Einmal wird er - wie viele seiner intellektuellen Freunde - vom Geheimdienst inhaftiert und mehrere Monate gefangengehalten. Wegen regimekritischer Schriften wird er der Spionage verdächtigt und in einem langwierigen, zermürbenden politischen Prozess schliesslich freigesprochen.

Während des Gefängnisaufenthalts stirbt der Vater. Der Sohn ist von seinen eigenen Problemen so abgelenkt, dass er es emotional kaum wahrnimmt. Erst dreissig Jahre später erfährt er, dass der Vater jeden Abend in Ljubljana am Bahnhof auf den Abendzug gewartet hat, in der Hoffnung, den Sohn frei ankommen zu sehen.

Viele schmerzliche Versäumnisse sind mit Erinnerungssplittern an die politische Umerziehung des Vaters durch die Kommunisten verbunden. Sie ist lächerlich, peinlich und beängstigend. Die materiellen und ideologischen Mauern werden so hoch, dass sie das Leben drastisch beengen. Die Vier-Zimmer-Wohnung wird enteignet, man lebt nun in einem Raum. Küche, Bad und Toilette müssen mit anderen geteilt werden, was dem Vater unerträglich wird.

Auch die Unfähigkeit der Leute, die nun "sein" Kaffehaus führen, schmerzt ihn tief. Ebenso jede bauliche Veränderung, noch Jahre später. Immer wieder wird er willkürlich verhaftet und für Wochen eingesperrt: Als ehemaliger Unternehmer blieb er verdächtig.

Der alte Mann versucht, irgendwie zu überleben. Seine Frau stirbt. Er hat sich scheiden lassen, um einen Teil seines Besitzes für die Söhne zu retten: Verheiratete galten als eine juristische Person, ledige als zwei. In einer rührenden Zeremonie heiratet er sie knapp vor ihrem Tod nochmals, es ist ohnehin alles verloren. Die Söhne gehen ihrer Wege. Über seine Kümmernisse spricht er nicht. Nur seine Enkelin besucht er täglich. Ebenso das Cafe Union, wo er auch mit Zarko belanglose, vom Sohn eher als lästige Verpflichtung empfundene Gespräche führt.

"Alles was ich habe, würde ich geben, wenn ich noch einmal wenigstens eine Stunde mit meinem Vater im Kaffeehaus Union sitzen könnte": So viele Fragen sind unbeantwortet, so viel von der eigenen Identität bleibt dadurch für immer unscharf.

Ein schmerzliches, sensibles, stellenweise auch tragikomisches Buch, das zeigt, dass die Beziehung von Vätern und Söhnen "über den Rand der Welt" - so auch der Titel - hinausreicht und beachtet und gelebt werden will. Nicht nur aus emotionalen Gründen, sondern auch, um die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu verstehen, in die man hineingeboren wurde.

Über den Rand der Welt Lebenserzählung von Zarko Petan, Übersetzung: Käthe Grah und Madita Setinc Salzmann Edition Atelier, Wien 2000, 120 Seiten, geb., öS 220,-/e 15,99

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