Zehn kleine und ein großer Gesetzgeber

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Die Länderchefs geben keine Kompetenzen an den Bund ab. Das zeigen die Verhandlungen zur Bundesstaatsreform. Also bleibt weiterhin die Rodung im Gesetzesdschungel ausständig.

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Die Länderchefs geben keine Kompetenzen an den Bund ab. Das zeigen die Verhandlungen zur Bundesstaatsreform. Also bleibt weiterhin die Rodung im Gesetzesdschungel ausständig.

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Bei der Suche nach Strategien, um dem drohenden Budgetdefizit Herr zu werden, ist auch der Bundesstaat, beziehungsweise dessen föderalistische Struktur ins Visier genommen geworden. Die Anfragen sind berechtigt. Kann sich der Kleinstaat Österreich eine solche Organisationsform leisten? Brauchen wir auf zwei bis drei Ebenen mehr oder minder kundige, politisch legitimierte Organwalter und daneben noch Personalkörperschaften?

Etliche deutsche Bundesländer sind größer als Österreich; Vorarlberg und Burgenland haben gemeinsam nicht mehr Einwohner (etwa 630.000) als eine größere Stadt. Die meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union kennen keine bundesstaatliche Organisation. Jedenfalls ist die Union "bundestaatsblind". Das heißt, auf eine innerstaatliche Kompetenzverteilung - wie sie in Österreich existiert - wird von seiten der EU nicht eingegangen: Auch Länderangelegenheiten sind bei der EU vom Bund einzubringen. EU-Ziele wirken ungeachtet innerstaatlicher Kompetenzschranken. So sticht beispielsweise das Ziel der Freiheit des Warenverkehrs sowohl das österreichische Tiertransportgesetz als auch die Tierschutzgesetze der Länder aus.

Welcher Gestaltungsspielraum bleibt vor diesem Hintergrund den zehn österreichischen Gesetzgebern (neunmal die Länder, einmal der Bund)? Wo liegt die sachliche Rechtfertigung dafür, den Tierschutz in Vorarlberg anders zu regeln als im Burgenland? Ist er überdies wirklich anders geregelt? Die Antwort lautet: im wesentlichen Nein! Was für den Tierschutz gilt, läßt sich über Jagd- und Fischereirecht zwanglos bis zum Jugendschutz und den Bauordnungen fortsetzen. Weder in den jeweiligen Schutzobjekten noch im Organisationsrecht sind wirklich entscheidende Unterschiede festzustellen.

Im Vergaberecht - das ist die Regelung des Verfahrens, nach dem öffentliche Stellen einen Auftrag vergeben dürfen - sind die Vorgaben der EU verhältnismäßig klar. Der internationale Wettbewerb darf nicht ausgeschaltet werden. Zur Umsetzung in Österreich mußten ein Bundesgesetz und neun Landesgesetze erlassen werden. Die Qualität der getroffenen bundesgesetzlichen Regelung war derart, daß bald eine Wiederverlautbarung notwendig war und der Verfassungsgerichtshof mehrmals tätig werden mußte.

Normativer Dschungel Im Dienstrecht ist der normative Dschungel noch unübersichtlicher. Während Arbeitsrecht und Arbeitnehmerschutz Bundessache sind, ist bei dem dazu analog zu sehenden Dienstrecht nur das der Bundesbediensteten Sache des Bundes. Für das Dienstrecht der Landes- und Gemeindebediensteten ist der jeweilige Landesgesetzgeber zuständig.

Im Gegensatz zu der in Österreich an der Person des Dienstgebers orientierten Betrachtungen des Arbeitnehmerbegriffs geht die EU grundsätzlich von einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff aus. Gleich ob der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst tätig ist, sollen für ihn die gleichen (Schutz-)Normen gelten. Andere Regelungen sind nur für Beamte mit spezifisch staatlichen Tätigkeiten zulässig. Das führt etwa im Bereich des Arbeitnehmerschutzes zu folgender verwunderlichen Situation: Um der Vielzahl von EU-Richtlinien zu entsprechen, wurde für die in der Privatwirtschaft Tätigen vom Bundesgesetzgeber das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) beschlossen. Dieses bedarf zu seiner konkreten Umsetzung noch vieler Verordnungen, die vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu erlassen sind. Das ASchG gilt aber - ausgenommen die Betriebe der öffentlichen Hand - nicht für öffentliche Bedienstete. Für den Bundesbereich mußte daher vom Bundesgesetzgeber das Bundes-Bedienstetenschutzgesetz beschlossen werden.

Da die konkrete Umsetzung ebenfalls verordnungsmäßiger Regelungen bedarf und als Verordnungsgeber für den Dienstbereich des Bundes die Bundesregierung agiert, werden von der Bundesregierung die von der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales erlassenen Verordnungen durch eigene Verordnungen der Bundesregierung für verbindlich erklärt. Das alles gilt aber nicht für die Landes- und Gemeindebediensteten.

Mehr Dienstunfälle?

Hier ist wieder der Landesgesetzgeber gefordert, der in einigen Ländern seit dem EU-Beitritt den dortigen Vorgaben mehr oder weniger entsprechende Landesgesetze beschlossen hat. Vielfach mangelt es noch an den entsprechenden Landesgesetzen und der Übernahme der Verordnungen. Ein Bundesland hat sogar in diesem Bereich überhaupt keine gesetzlichen Regelungen! Trotzdem ist nicht bekannt geworden, daß dort die Dienstunfälle signifikant höher wären, oder die öffentlich Bediensteten ihre Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen verrichten müssen. Was bedeutet das? Kommt es bei der Gestaltung von Lebensverhältnissen vielleicht doch auf etwas anderes an, als daß Abgeordnete Gesetze beschließen?

Einst hat ein Jurist, Staatsmann und Philosoph geschrieben: "Gesetze haben sie überaus wenige. Denn dank ihrer Verfassung kommen sie mit ganz wenigen aus. Das tadeln sie denn auch in erster Linie bei anderen Völkern, daß dort unzählige Bände von Gesetzen und Kommentaren noch nicht genügen. Sie selber halten es dagegen für höchst unbillig, irgendjemanden auf Gesetze zu verpflichten, die entweder zu zahlreich sind, als daß es möglich wäre, sie zu lesen, oder zu dunkel, als daß sie jedermann verstehen könnte."

Diese Aussage von Thomas Morus bezieht sich auf sein "Nirgendland" (Utopia) und stammt aus dem Jahr 1516. Die Forderung ist heute dem Grund nach noch wichtiger als vor 500 Jahren.

Der Autor ist Hofrat am Verwaltungsgerichtshof.

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