Zeitgeister im unentwirrbaren Clinch
Tankred Dorst bediente sowohl die 68er als auch den Mystizismus, Regisseurin Beier begießt Artus' Ritter mit Farbe.
Tankred Dorst bediente sowohl die 68er als auch den Mystizismus, Regisseurin Beier begießt Artus' Ritter mit Farbe.
Zwei Selbstbedienungsläden haben fusioniert und ihr Angebot zusammengelegt. Aus den 300 Seiten des Stücks "Merlin oder Das wüste Land" von Tankred Dorst läßt sich für einen normalen Theaterabend nur eine mit erheblichen Zufälligkeiten behaftete Auswahl treffen. Aber auch der Fundus der weitgehend austauschbaren Regietheater-Effekte ist ein Selbstbedienungsladen. Regisseurin Karin Beier hat für ihre Inszenierung in Wiens Akademietheater in beiden Läden zugegriffen.
Wenn im Hintergrund einer leicht schrägen, zum Publikum hin abfallenden Bühne schon am Anfang eine Reihe von Kübeln bereitsteht, weiß der Kenner des heutigen Theaters, was ihn unweigerlich erwartet. Auch dann, wenn die Aufführung überzeugend beginnt und die Regie einen interessanten Zugang zum Stück gefunden zu haben scheint. Irgendwann werden die Schauspieler plötzlich dazu übergehen, teils sich, teils einander Farbe über die Köpfe zu schütten, irgendwann werden sich Ströme bunter Flüssigkeiten über die Bühne ergießen, und ab da wird der Text absaufen. Und so kommt es denn dann auch.
Das ein Jahrzehnt nach 1968 entstandene Stück war für einen Monster-Event gedacht, darum ist es fast halb so lang wie die "Letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus, wenn auch kein Zehntel so gut. Es war im Wandel des Zeitgeistes ein Tribut an beide Zeitgeister, den dahinscheidenden und den kommenden: Dem von 1968 huldigt es durch eine gemäßigt aufklärerische Neuinterpretation der Saga vom Zauberer Merlin, dem aufkommenden Irrationalismus mit Rittern und Grals-Mystik und viel Schwertergeklirre. Der Text bietet keine aufregenden Sätze, nichts, was wie der Blitz dreinfährt, aber doch einiges Gescheites, ein paar interessante Reflexionen. Die aber gehen im Regie-Schnickschnack unter.
Der Teufel gebiert Merlin. Aus einem platzenden Plastik-Uterus schwemmt es Michael Schottenberg auf die Bühne. Das ist noch kein Schnickschnack, da könnte noch was draus werden. Schottenberg spielt einen effektvoll zergrübelten Merlin, warum er meist nackt spielen muß ist unklar. Vielleicht, damit er seinen wollenen Penissimus, der wie ein leerer Sparstrumpf baumelt, zur Schau stellen kann. Auch daß die Ritter der späteren Tafelrunde zu Beginn wie Flohmarkthändler ihre Tischchen aufbauen, hat Sinn. Erzeugt Spannnung: Als was hat die junge Regisseurin diesen Text wohl gelesen?
Die Antwort, erahnbar durch die Kübel im Hintergrund, kommt viel zu früh. Entweder sie hat ihn einfach als Aufeinanderfolge von Angeboten für eine ziemlich konventionelle Regie gelesen - oder ihr Konzept mit einem zentnerschweren Gupf abgestandener Mätzchen erdrückt.
Das Stück endet mit dem Zweikampf Artus' mit seinem Sohn. Retten könnte diese Szene die Aufführung auch nicht mehr - doch mit ihr wird auch das starke Ende des Stücks verpfuscht. Mit ungeheurem Getöse demontieren die Ritter den Bühnenboden, schleudern die Bretter zur Seite, klappen die zum Vorschein kommenden Traggestelle zusammen und schmeißen sie krachend auf einen Haufen, auf daß überdeutlich werde, daß das Ganze nur Theater war.
Gespielt wird zum Teil sehr gut. Brigitta Furgler als Königin Ginevra ist fast so etwas wie ein Ruhepol im Theaterjahrmarkt. Doreen Nixdorf hat als Ritter Parzifal eine der Szenen, in denen ganz deutlich wird, worum es geht: Um die Errichtung einer schöneren Welt ohne Rücksicht auf Verluste, und darum, daß man eine schönere Welt nur unter Vermeidung unnötiger Verluste errichten kann.