Zeitgemäße Sicherheitspolitik/Zeitgemäße Sicherheitspolitik
Die einstigen Vorteile der Neutralität für unser Land haben sich in Nachteile verwandelt.
Die einstigen Vorteile der Neutralität für unser Land haben sich in Nachteile verwandelt.
Mit der Annäherung Österreichs an die EG setzte erstmals eine breitere Diskussion über die Neutralität und deren Verträglichkeit mit einem EG-Beitritt ein. Es war für alle Beteiligten, auch die österreichische Bundesregierung, bereits zu Beginn der neunziger Jahre erkennbar, daß spätestens mit dem Vertrag von Maastricht die Vision einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik an Bedeutung gewinne. Dies bedeutete für Österreich im Beitrittsfall die praktische Aufgabe des Neutralitätsprinzips. Mit dem EU-Beitritt schließlich hat sich Österreich uneingeschränkt zur Verwirklichung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) verpflichtet.
In Folge der Vertragsrevisionen von Maastricht und Amsterdam und der diesjährigen Regierungskonferenz in Köln treten deutlich die Konturen zukünftiger europäischer Sicherheitsarchitektur hervor: Die schrittweise Zusammenführung von WEU und EU, welche auf Ressourcen der NATO zurückgreifen kann, wird offenkundig.
Durch diese Entwicklungen stellen sich für die bisher Neutralen in der EU (beziehungsweise Nichtalliierten, wie sich Schweden und Finnland neuerdings bezeichnen) Fragen bezüglich ihrer zukünftigen sicherheitspolitischen Ausrichtung. In Österreich existiert nicht erst seit dem gescheiterten Optionenbericht eine lebhafte Diskussion. Gerade im Gefolge der vergangenen EU-Wahlen erhielt die Neutralitätsdebatte Aufschwung. Auch im gerade stattfindenden Nationalratswahlkampf wird die Frage nach der Ausrichtung heimischer Sicherheitspolitik zentral sein. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Vor- und Nachteile die Neutralität heute bringt. Die Frage nach den Vorteilen läßt sich leicht beantworten: objektiv betrachtet, gibt es heute keine mehr. Vor allem für Kleinstaaten wie Österreich, wird es im Hinblick auf die zunehmende Globalisierung schwieriger, auf internationale Entwicklungen Einfluß zu nehmen. Lösungen lassen sich nur im Verbund mit anderen Staaten erarbeiten und durchsetzen. Dies gilt in der Sicherheitspolitik mindestens ebenso. Die Zeit der Blockkonfrontation ist zu Ende und Neutralität macht keinen Sinn mehr, wenn man nicht weiß, wem gegenüber man sich neutral verhalten soll. Neutralität heute beschränkt und engt den eigenen Handlungsspielraum ein.
Damit kommt man zu den Nachteilen der Neutralität: Für Vermittlerdienste werden heute kaum mehr neutrale Staaten herangezogen. Grund dafür, ist einerseits der Verlust des Vertrauensvorschusses der Neutralen, weil im heutigen Europa Solidarität, internationale Kooperation und gemeinsames Lösen anstehender Problemen zählen. Andererseits suchen fast alle Staaten Europas die direkte Mitgliedschaft der NATO. Durch den NATO-Russland-Vertrag liegt eine engere institutionelle Bejahung zwischen den ehemaligen Kontrahenten vor, als sie von außenstehenden Neutralen herbeigeführt werden könnte.
Die Neutralität beschränkt die Zugangsmöglichkeiten im militärischen Bereich, etwa im Falle militärischer Zusammenarbeit. Hier ist Österreich eingeengt, und kann nicht alle Kooperationen eingehen, welche in Hinblick auf europäische Solidarität sinnvoll und wichtig wären.
Die gemeinsame Erklärung der EU zum Kosovo-Konflikt wurde im Rahmen des EU-Gipfels in Köln auch von Österreich verabschiedet. Darin wurden die NATO-Luftschläge gegen Serbien als notwendig und gerecht erachtet. Allerdings verweigerte Österreich unter Berufung auf die Neutralität den Überflug von NATO-Flugzeugen. Falsch verstandene Neutralität führt so zur Diskrepanz zwischen einer gemeinschaftlich getragenen politischen Entscheidung und tatsächlichem Verhalten in Form von nicht ernst gemeinter Solidarität.
Abschließend ist festzustellen, daß die Neutralität heute zwar der Österreichischen Verfassung entspricht, nicht jedoch dem Gebot einer präventiven Sicherheitspolitik, die Stabilität gemeinsam erhalten kann. In einem zusammenwachsenden Europa, wird nicht die Neutralität, sondern vor allem eine ehrlich gemeinte und auch tatsächlich praktizierte Solidarität von den europäischen Partnern geschätzt und notwendig.
Die Neutralität hat mit Ende des Kalten Krieges die Sicherheitsfunktion für unser Land verloren. Ihre Vorteile für unser Land aus Zeiten des Kalten Krieges (Vertrauensvorschuß, Gute Dienste) haben sich in Nachteile umgekehrt. Sie ist heute nicht mehr aktuell, da man als EU-Mitglied anderen EU-Mitgliedern gegenüber nicht mehr neutral sein kann. Außenpolitische Berechenbarkeit, Solidarität, internationale Kooperation und gemeinsame Problemlösung zählen im heutigen Europa mehr als neutralistische Teilnahmslosigkeit.
Der Autor ist Bundesminister für Landesverteidigung und ÖAAB-Bundesobmann.
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