Zeitgenössisches als Einstiegsdroge

19451960198020002020

Das Opernpublikum wird immer älter. Ein Kinderopernzelt am Dach der Wiener Staatsoper soll Kinder für Oper begeistern.

19451960198020002020

Das Opernpublikum wird immer älter. Ein Kinderopernzelt am Dach der Wiener Staatsoper soll Kinder für Oper begeistern.

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist das wichtigste, das ich während meiner Direktion je verkündet habe und verkünden werde." Mit diesen Worten präsentierte Ioan Holender, Direktor der Wiener Staatsoper, kürzlich ein Projekt, das das Gesicht der Staatsoper in mehrfacher Hinsicht verändern wird: Auf der großen Dachterasse des Hauses am Ring wird ein buntes Zelt errichtet, in dem ausschließlich Opern für Kinder aufgeführt werden. "Staatsoper für Kinder - mobilkom" wird das erste für Kinder gebaute Musiktheater Österreichs heißen. "Lächeln sie nicht über den Namen", rügte Holender die bei der Präsentation anwesenden Journalisten: "Früher hat das Kaiserhaus bezahlt, und da benannte man Gebäude nach Kaiser Franz Joseph. Heute zahlen die Unternehmen."

Wie bei allen anderen Opernhäusern auch, klafft in der Publikumsstruktur der Staatsoper eine bedrohliche Lücke: die 20- bis 30jährigen bleiben aus. Es ist eine Generation, die größtenteils ohne Oper und klassische Musik herangewachsen ist. Nur mehr für kleine gesellschaftliche Kreise ist es selbstverständlich, Kinder in die Oper zu schicken. Und auch in den Schulen hat die Hochkultur abgedankt :Wo einst die Trommel für den klassischen Kultur- und Bildungskanon gerührt wurde, hat ein erweiterter Kulturbegriff Einzug gehalten. Daher der Eindruck vieler junger Menschen, Oper sei nur etwas für Opas. Der Opernbetrieb hat diesen Entwicklungen allzulange tatenlos zugesehen. "Man hat sich selbst genügt", beschreibt Holender die lange vorherrschende Mentalität.

Das Ziel der Kinderoper ist es, Kindern die Faszination der Oper zu vermitteln. In früheren Zeiten galten Mozarts "Zauberflöte" und - seltsamerweise - Wagners "Meistersinger von Nürnberg" als Einstiegsdrogen, heute setzt man auf eigens für Kinder komponierte Werke - obwohl schon Ruggiero Leoncavallo und Franz Lehar Kinderopern schrieben.

"Kinder sind für zeitgenössische E-Musik sehr offen, denn sie wissen noch nicht, wie Musik zu klingen hat", meint Michael Sturminger, der im September die Eröffnungspremiere "Das Traumfresserchen" inszenieren wird. Wenn er recht hat, ist es gut. Wenn er irrt, dann ist eine weitere Generation für die Oper verloren. Denn Kinder sind ein "brutales Publikum" (Sturminger). "Kinder stehen auf und gehen, Erwachsene bleiben da und langweilen sich auf hohem Niveau. Bei Erwachsenen kann man durch raffinierte Instrumentation bluffen, bei Kindern nicht. Da muß eine Sache wirklich auf den Punkt kommen", weiß Wilfried Hiller, Komponist des "Traumfresserchens".

Das Zelt auf der großen Dachterasse der Wiener Staatsoper wurde von Architekt Wilhelm Holzbauer auf Basis der Kinderpsychologie geplant. Eine schräg ansteigende Zuschauertribüne bietet rund 140 kleinen Besuchern optimale Sichtverhältnisse. Das jederzeit wieder demontierbare Gebäude wird im Sommer dieses Jahres erstmals errichtet. Es ist mit modernster Technik windsicher, schallgeschützt und beheizbar konstruiert.

Auf Kritik ist Ioan Holender vorbereitet, denn einige Besucher der Wiener Staatsoper fürchten nichts mehr als Veränderungen. Als der Staatsoperndirektor unlängst äußerte, über eine Reduktion der Stehplätze nachzudenken, hagelte es Proteste. Dabei ist die Auslastung der Stehplätze in sechs Jahren von knapp 73 Prozent auf gerade 63 Prozent zurückgegangen. Holender: "Veränderungen sind immer ein Risiko, aber keine Veränderungen sind ein noch viel größeres Risiko."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung