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100 Jahre Protestantenpatent

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Am 8. April 1861 Unterzeichnete Kaiser Franz Joseph das Protestanten- patent, das ihm am 17. Februar vom Ministerpräsidenten, dem liberalen Erzherzog Rainer, vorgelegt worden war. Dem Monarchen mußte angeblich die Unterschrift geradezu abgerungen werden. Mit Dank und Jubel begrüßten die Evangelischen das Patent als ihre „Magna Charta“.

Der Papst freilich beklagte sich in einem Brief an den Kaiser, daß die Rechte der Nichtkatholiken in Österreich ständig erweitert würden. Die Katholiken beklagten sich, daß den Evangelischen weitergehende Freiheiten als ihnen zuteil geworden wären. Andererseits klagten die Evangelischen schon damals, daß nicht alle Hoffnungen und Wünsche, welche die Revolution 1848 erweckt hatte, erfüllt seien. Nicht nur Kaiser Ferdinand und der Kremsierer Reichstag, sondern auch das kaiserliche Patent vom 4. März 1849 hatte die Religionsfreiheit und die Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften zugesichert.

Doch die Aufhebung der Märzverfassung und die Rückkehr zum Absolutismus leitete 1851 die Konkordats- ära ein. Das Konkordat von 185 5 hatte zur Voraussetzung, daß die bereits gewährten Glaubensfreiheiten der nichtrömischen Kirchen aufgehoben würden. Dennoch seföte der Kultusminister, Graf Thun-Hohenstein, die Bemühungen um ein gemeinsames Protestantenpatent für Österreich, Ungarn und Siebenbürgen, und zwar für Lutheraner, Calvinisten und Unitarier (die die Dreieinigkeit leugneten), fort. Sein staatspolitisches Konzept einer groß- österreichischen Lösung stand dahinter: er wollte damit die besonders revolutionären Calvinisten befrieden und an Habsburg binden. Das mißlang.

Das Schicksal des Protestantenpatentes wurde durch die Niederlagen

Der, Absolutismus wurde liberale Regierung Rainer-Schmerling abgelöst. Schmerling griff sofort das Protestantenpatent auf. Auch für ihn war es ein Mittel des großen politischen Spieles. Was Österreich in Italien verloren hatte, sollte im Deutschen Bund gewonnen werden. Das Konkordat hatte einen schlechten Eindruck hinterlassen. Ein freiheitliches Protestantenpatent sollte Österreichs Ansehen wieder heben — eine Hoffnung, die sich freilich nicht erfüllte. Den Evangelischen aber gab es Glaubensfreiheit und Gleichberechtigung.

Die tatsächliche Bedeutung des Protestantenpatentes kann man nur im Vergleich mit den vielen Beschränkun gen des Toleranzediktes Josefs II. von 1781, das nur eine private Religionsausübung duldete, ermessen. Das Protestantenpatent regelte ebenso die staatsrechtlichen Beziehungen der epflgeliSjfhen;, Kirche .wie die bürgen .: licken und politischen Rechte der. Evangelischen. , Von den Zeitgenossen wurden eben diese persönlichen Rechte als das Wichtigste empfunden. Die Glaubensverschiedenheit begründete fortan keinen Unterschied im politischen Leben. Der Zugang zu öffentlichen Ämtern wurde freigegeben. Für die Erlangung akademischer Grade und Würden war keine Dispens mehr nötig. Die Evangelischen waren nun nicht mehr Staatsbürger zweiter Ordnung. Damit schien die bittere gegenreform a torische Alternative „Glaube oder Heimat“ überwunden.

Die Freiheit des Glaubensbekenntnisses, das Recht öffentlicher Religions- übung, die selbständige Ordnung, Verwaltung und Leitung der Kirche, finanzielle Zuschüsse wurden gewährt. Man darf Kirchen mit Turm und Glocken bauen, evangelische Bücher beziehen und gebrauchen, im Ausland studieren und mit evangelischen Vereinen des Auslandes in Verbindung treten. Man hat, auch bei rein evangelischen Amtshandlungen, die Stolagebühr nicht mehr dem katholischen Geistlichen zu entrichten. Evangelische Schulen, ein protestantisches Eherecht und Ehegerichtsbarkeit werden in Aussicht gestellt.

Das Reglement blieb

Freilich wurde die Autonomie der Kirche vielfältig eingeschränkt, dirigiert und kontrolliert. Die Kirche wurde durch den vom Kaiser ernannten Oberkirchenrat, also eine staatliche Behörde, geleitet. Superintendenten und Kirchengesetze mußten vom Kaiser bestätigt werden. So gehen im Protestantenpatent evangelische kirchenrechtliche Gedanken über die landesfürstliche Kirchenhoheit mit dem noch nicht überwundenen Staatskir- chentum des Josefinismus und den neuen Gedanken des Liberalismus eine eigentümliche Verbindung ein.

Die erste Generalsynode 1864 flehte den Kaiser an, die Prinzipien der Gleichheit vor dem Gesetz und der Gleichberechtigung aller Konfessionen, insbesondere aber die interkonfessionellen Fragen vollends zu lösen. Doch erst die Niederlage von Königgrätz brachte die Erfüllung. Die interkonfessionellen Gesetze vom 25. Mai 1868 regelten die Fragen der religiösen Kindererziehung, des Übertrittes, des Eherechtes und erklärten den Revers bei Mischehen als wirkungslos.

Damit schien die Gesetzgebung abgeschlossen. Aber die Handhabung der Gesetze muß nicht ihrem Sinn entsprechen. Die Kirchenverfassungen von 1864 und 1891 mußten sich, trotz der zugesagten Autonomie, von der Regierung 16 Abänderungen über das Protestantenpatent hinaus gefallen lassen, bevor sie die kaiserliche Sanktion erhielten. Die Einberufung der Synode, die Umgestaltung der Diözesen, die Neugründung von Pfarr- gemeinden mußten staatlich genehmigt werden. Man hat Anlaß, daran zu denken, was Karl Eder („Der Liberalismus in Altösterreich“, S. 185) ausführt: Ein stummer, aber sehr entscheidender

Machtfaktor war die in den Ministerien zäh und fest verankerte Hochbürokratie. Es war ihr ein unerträglicher Gedanke, daß eine solche Macht wie die Kirche in Österreich ganz frei sein soH.it :" öaji:iGegentöil ,'tchian- ihr- richtig, obwohl,es den Grundsätzen des Liberalismus' ins Geeicht schlägt. Eder sagt dies in Bezug auf die katholische Kirche. Wieviel mehr mußte die evangelische Minderheit dies zu spüren bekommen.

Nur in Unglückstagen?

Die Geschichte des Protestantenpatentes zeigt die schmerzliche Erfahrung der evangelischen Österreicher, daß es ihnen scheinbar immer nur dann gut oder besser ging, wenn der österreichische Staat in eine Krise geriet. Ob es nun der Zusammenhang der Türkenkriege mit der steirischen Religionspa- zifikation oder der Bruderzwist im

Hause Habsburg mit den Zugeständnissen des Kaisers Matthias an die Protestanten, ob Josefs II. Religionspolitik, die sich so verschieden für Katholiken und Evangelische auswirkte, ob es die Revolution von 1848, die Niederlagen von Solferino und Königgrätz waren: die Krise des Staates brachte den Evangelischen Erleichterungen. Und es waren Krisen, die wahrlich nicht von den evangelischen Österreichern herbeigeführt waren. Immer aufs neue erfuhr man, daß die Freiheiten nur widerwillig gewährt wurden, und was die Gesetze gewährten, schränkte ihre Handhabung wieder ein. Mit ein wenig Einfühlungsgabe versteht man, daß das Geschichtsbild des evangelischen Österreichers, sein staatsbürgerliches Bewußtsein, seine gefühlsmäßigen Reaktionen, seine politische Einstellung durch solche harten Tatsachen in eine ganz bestimmte Richtung gezwungen wurden. In diesen historisch-politischen, aber auch psychologisch bedeutsamen Zusammenhängen muß man auch solche Erscheinungen wie die Los-von-Rom-Bewe- gung oder ähnliches beurteilen.

Das Protestantenpatent war 1918 fragwürdig geworden, denn der Summ- episkopat des Kaisers war mit der Monarchie weggefallen. Die Kirche wollte, daß der Oberkirchenrat aus einer Staatsbehörde zu einer kirchlichen umgewandelt werde und daß, wie längst schon in Ungarn, ein Bischof an die Spitze der Kirche trete. Aber der Ministerrat der Republik verhinderte es, indem er die Rechte des Summepiskopates aus dem Protestantenpatent für sich beanspruchte. Es ist eigentlich unbegreiflich, daß es niemals der Synode oder einer anderen kirchlichen Stelle oder Persönlichkeit einfiel, gegen die Beschränkung der Autonomie im Protestantenpatent und gegen Staatseingriffe das Reichsgericht (heute: den Verfassungsgerichtshof)

anzurufen und die in Artikel 15 des Staatsgrundgesetzes verbürgte Autonomie in Anspruch zu nehmen.

Um die Groteske vollzumachen: es blieb dem Nationalsozialismus Vorbehalten, durch eitt Gesetz,; welches dift Kirchen privatisieren und finanziell zugrunde richten sollte, 1939 der evangelischen Kirche die eigenständige Ordnung zu geben. Nun wurde der Oberkirchenrat zur kirchlichen Behörde, und der Bischof übernahm die geistliche Leitung. Vom Protestantenpatent waren 1945 nur mehr wenige Paragraphen in unbestrittener Geltung. Es ist längst nicht mehr die Magna Charta der Protestanten. Die Bahn ist frei für ein modernes Gesetz, das aus einer neuen großzügigen Konzeption heraus dem Staate gibt, was des Staates ist, und der Kirche gewährt, was ihr nach ihrem Wesen gebührt.

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