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1000 und 1 Jahr

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Polen feierte im vergangenen Jahr das tausendjährige Bestehen seines Staatswesens und gleichzeitig den tausendjährigen Übergang zum Christentum des Fürsten Mieszko.

Es gibt in Polen eine ganz besondere Polarität: seit 21 Jahren regieren hier Marxisten, und dennoch darf man dieses Land keineswegs als marxistisch ansehen, es sei denn, man nimmt das Prinzip „cuius regio, eius religio“ an. Marxismus als Massenideologie war hier immer unbekannt. Die einzige orthodox-marxistische Partei, die Kommunisten, bildeten eine kleine elitäre Gruppe von geringem politischem Einfluß. Ihre politische Rolle verringerte sich noch durch eine langjährige Delega-lisierung. Schwerer jedoch als die Polizei Verfolgungen erwiesen sich die Hiebe, die ihr durch Stalin versetzt wurden, der ja 1938 die polnische kommunistische Partei auflöste und die ganze Elite ihrer Anführer in Konzentrationslager steckte und in den Tod schickte.

Das Katholische

Das polnische Volk war vor dem Kriege durch Brauchtum, Sitte und Tradition tief mit dem Katholizismus verbunden, ein Teil der Intelligenz, die dem Kleinadel entstammte, ebenfalls. Dagegen bekannten sich die Arbeiter- und Bauerngruppierungen wie auch die fortschrittliche Intelligenz des Bürgerstandes zum lilberalistischen Radikalismus, der jedoch vom Marxismus weit entfernt war.

Diese Situation bestand auch weiterhin nach dem Kriege, nur daß die Bedeutung des Katholizismus, als einziger zugelassener Alternative zum Marxismus, enorm zunahm. Dagegen gewann die Philosophie des Marxismus, trotz des kommunistischen Regimes, des Systems des Druckes der Schulung und Propaganda, kaum Popularität bei den Massen. Die polnische Gesellschaft nahm die neue Situation an mit praktisch-nüchternem, ir. schweren historischen Erfahrungen eingeübtem Verstand. Aus geopolitischen Gründen akzeptierte die Gesellschaft ein Bündnis mit Rußland (eine große Rolle spielte hier das Fehlen einer offiziellen Anerkennung der neuen polnischen Grenzen durch den Westen!). Den Kommunismus zugleich als allgemeine Weltanschauung hinzunehmen, war sie nicht bereit.

Soll und Haben

Niemand zweifelt indes die Tatsache an, daß die Kommunisten in den Nachkriegsjahren in Polen Positives geleistet haben. Die Okkupation hatte die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse der Vorkriegszeit nivelliert und ein „Niemandsland“ hinterlassen. Als größte

Errungenschaften des kommunistischen Regimes im Nachkriegspolen sind zu vermerken: eine gewandte Durchführung der „Völkerwanderung“, die infolge des Verlustes unserer östlichen Gebiete an Rußland und des Anschlusses westlicher Gebiete bis zur Oder-Neiße stattfinden sollte. Aufbau, Integration und Demokratisierung des Landes. Eine radikale Zuwendung der Gesellschaft zur Industrie, Förderung der allgemeinen Bildung durch unentgeltliche Schulbildung und ärztliche Behandlung.

Die Debet-Seite dieses Zeitraumes war eine Folge der doktrinären Eigenschaften des kommunistischen Modells. Vor allem: mechanische, allgemeine Verstaatlichung, die jegliche Initiative paralysiert und die Entwicklung ganzer Gebiete des Wirtschaftslebens (Handel, Dienst am Kunden, Gewerbe) hemmt, und übermäßige Kostenberechnung, Zentralisierung der Planung, was wiederum chaotische Zustände nach sich zieht, schließlich die in der Landwirtschaft begangenen Fehler, auf die zum Glück die Führung der polnischen kommunistischen Partei nach dem Jahre 1956 verzichtetei Dank diesem Verzicht befinden sich heute etwa 50 Prozent unserer Wirtschaft (Landwirtschaft) in privaten Händen. Im politischen Bereich liegt das Debet im autokratischen Regieren des Partei-Olympes und im kompromißlos realisierten Weltanschauungsuniformismus.

Presse eine enorme, von der Partei inspirierte Kampagne gegen die Kirche entfesselte. Meiner Ansicht nach war dieser Brief, obwohl er durch seine Historiosophie und einige unpräzise Formulierungen Zweifel erwecken konnte, für die Interessen Polens günstig, da er endlich eine nicht schematische und auch nicht politische Sprache, die für die westliche Welt verständlich war, gebrauchte. Die Führung der Partei geriet jedoch in großen Zorn: Sie war und ist der Meinung, daß niemand außer der Regierung das Recht habe, sich mit Außenpolitik zu befassen — eine Ansicht, die für die Mentalität autoritativer Regierungen typisch ist.

Die von der Kirche organisierten Feierlichkeiten knüpften an die Tatsache an, daß die Entstehung unseres Staatswesens mit der Christianisierung verbunden ist und daß die Geschichte dieses Staatswesens im Zeitraum von Hunderten von Jahren mit Katholizismus und Kirche in engster Verbindung stand.

Diesen Gedanken stellte man bei den Jubiläumsfeierlichkeiten der Partei die Konzeption eines laizistischen Polens und eine Historiosophie sozialer Natur entgegen, indem man bei dieser Interpretation der Geschichte auf verschiedene fortschrittliche und liberale polnische Staatsmänner zurückgriff und Volkspolen als die Krönung dieses radikalen Stromes in der Geschichte darstellte (man vermied jedoch mit Umsicht, Polen direkt ein marxistisches Land zu nennen). Man spannte Historiker ein, und im Eifer des Gefechtes erschienen beide präsentierten historio-sophischen Konzeptionen polemisch vereinfacht, schematisiert, und keines dieser Schemata ist der Wahrheit nahe.

Zwei Profile

In jeder Stadt, in der Polens Bischöfe Feiern zum 1000jährigen Bestehen des polnischen Staates abhalten ließen —, gewöhnlich nahmen daran große Scharen frommen Volkes teil —, inszenierte um dieselbe Stunde auch der Staat Festivitäten.

Von jedem Standpunkt aus betrachtet, war es ein Fehler der Regierung, den schon in Aussicht stehenden Besuch Papst Pauls VI. zu verhindern. Der Besuch des Heiligen Vaters hätte für Polen und die ganze Welt eine enorme Bedeutung bekommen können und wäre den Koexd-stenzbemühungen (Gromyko besuchte kurz nach der Absage den Papst) dienlich gewesen.

So also sah es aus. Während ioh diese Worte schreibe, dauert diese dualistische Antinomie, deren Symbole die Namen Gomulka und

Wyszynski sind (die polnische öffentliche Meinung geht dahin, daß sie in beiden wegen ihrer kompromißlosen, manchmal fanatischen Inbrunst eine Charakterähnlichkeit sieht) noch immer an. Es gibt in Polen darüber die gegenteiligsten Meinungen. Ich persönlich bin dagegen, prinzipielle, ideelle Weltanschauungs- oder politische Konflikte zu verheimlichen oder künstlich zu nivellieren. Sie sollten sich jedoch im Leben der Gesellschaften den Weg eines legalen und offen polemischen Kampfes bahnen; man müßte dafür entsprechende liberale, gesetzliche Formen finden. Dies ist unerläßlich auch in einem von Marxisten regierten Staate! Der beste Weg wäre in Polen die Rückkehr zu Reformen, die die Wiederherstellung einer politischen Demokratie, der Freiheit des Wortes und der Überzeugungen bezwecken würden; denn eben dies war uns ja im Oktober 1956 versprochen worden. Es wurde dann nicht realisiert. Die Unterstützung, die 1956 den vorgeschlagenen Reformen sowohl vom polnischen Episkopat wie auch von der ganzen Gesellschaft erteilt wurden, zeigt deutlich, welcher Weg zu Einheit und innerem Frieden führen könnte.

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