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12:3 für die Erhaltung

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Architekt Friedrich Achleitner:

Es geht hier in erster Linie um ein städtebauliches Problem. Die Rauchfangkehrerkirche ist keine architektonische Spitzenleistung, aber sie bestimmt das Gesicht der Wiedner Hauptstraße, sie war da, und die Umgebung hat sich nach ihr geformt. Von einer Verkehrsbehinderung kann keine Rede sein, außerdem hat die Straße durch die Aufeinanderfolge der drei Kirchen, der

Paulaner-, der Thekla- und der Rauchfangkehrerkirche, eine starke Rhythmik. Das weiß man auch — der neue Vorschlag, ein neues Wahrzeichen zu bauen, zeigt es, aber er ist absurd. Ebensogut kann man die Kirche stehenlassen. Ich bin davon überzeugt, daß die Kosten für ihre Erhaltung über-, die für Wettbewerb und neues Wahrzeichen untertrieben wurden. Meiner Meinung nach wollen die Verfechter des Abbruches einfach recht behalten, nachdem sie sich einmal festgelegt haben.

Architekt Diplomingenieur Carl A n b ö c k :

Wenn die Lösung des Problems so aussehen muß, daß die Kirche verschwindet, dann dürfte bei der Gemeinde oder bei der Diözese der gute Wille fehlen — es sollte doch möglich sein, das gar nicht so große Objekt zu erhalten. Gerade wo man neuerdings an seiner Stelle ein neues Symbol errichten will, fragt sich um so mehr, warum man die Kirche erst einmal wegreißen muß. Ich würde mir in solchen Fällen wirklich Verhältnisse wie in der Schweiz wünschen, wo man ein Plebiszit veranstaltet und die Pläne zur Schau stellt. Hierzulande ist man auf das angewiesen, was in der Zeitung steht; die kann selbst nur ergeben, die Mitteilung hinnehmen, daß die Erhaltung der Kirche 25 Millionen kosten würde — überprüfen kann sie das nicht.

Es mag komisch sein, daß man eine kleine Kirche zum Streitobjekt macht, aber sie ist nun einmal ein Bau mit einem bestimmten Musealwert. Es fragt sich, ob Wien es sich leisten kann, sie wegzureißen. Ich spreche nicht für ein falsches Barockgefühl, aber solche Gebäude bestimmen eben die Atmosphäre einer Stadt. Noch einmal: Sieht man den Fall als Politikum, dann mag eben nichts mehr zu machen sein, es wurde so beschlossen, und wir müssen akzeptieren. Sieht man ihn aber sachlich, dann muß man fordern, daß die Unterlagen veröffentlicht werden und jeder sie prüfen kann.

Architekt Professor Diplomingenieur Erich Boltenstern:

Ich habe absolut keine Zeit, und aus dem Stegreif will ich zu diesem Problem nichts sagen.

Architekt Diplomingenieur Johann Georg Gsteu :

Ich bin natürlich gegen den Abbruch. Ich habe mich damals am Wettbewerb für die neue Kirche beteiligt und kenne das Problem genau: Der Abbruch würde den Rhythmus der Wiedner Hauptstraße, bestimmt durch die Aufeinanderfolge der drei Kirchen (Paulanerkirche, Theklakirche und Floriani-kirche) empfindlich stören. Das scheint mir am wichtigsten, und ich bin daher schon in meinem nicht ausgeführten Projekt der neuen Kirche für die Erhaltung der alten eingetreten.

Architekt Professor Doktor Clemens Holzmeister:

Ich habe bereits in einem Brief an Bürgermeister Marek meine Meinung ausgedrückt, daß es sehr schade wäre, wenn diese Kirche demoliert werden müßte!

Architekt Josef H o r a c e k :

Ich finde es bedauerlich, wenn in einer solchen im besten Sinn geklärten Frage die verständliche Sorge um ein liebgewordenes, aber nicht mehr brauchbares Relikt plötzlich in solcher Weise auftaucht. Der geplante Wettbewerb wird die städtebauliche Frage lösen und könnte die Stellung der neuen Kirche durchaus verbessern, daher soll man hier ebenso verfahren wie jede andere Zeitepoche und Besseres an die Stelle dessen setzen, was reif zum Abbruch geworden ist. Jede Zeit muß den Mut aufbringen, zwingende Notwendigkeiten nach bester Uber-legung und mit bestem Formgefühl zu setzen.

Technischer Rat Architekt Josef L. Kalbae:

Es ist zu spät, jetzt, da die neue Kirche steht, zu fragen, was wir mit der alten machen sollen beziehungsweise was dort städtebaulich geschieht. Außerdem ist seit Jahrzehnten die Position der Kirche durch die Umgebung überspielt worden und damit in ihrer Wirkung wesentlich beeinträchtigt. Man kann ferner aus einem Haus, das eine Funktion hat, also aus einer Kirche, kein Denkmal machen, das wäre ein Anachronismus, ja pietätlos. Daher wäre es meiner Meinung nach am besten, das Problem durch einen Wettbewerb zu lösen, aber ohne jede Voraussetzung; es dürfte also nicht heißen, der Bildstock hinter der Kirche müsse eingebaut werden und so weiter. Ich könnte mir vorstellen, daß eine Lösung entsteht, die eine gewisse Poesie aufweist, mit dem Verkehr harmonisiert, eventuell mit einer modernen Brunnenanlage. Die ganze Umgebung müßte einbezogen werden. Jedenfalls bin ich für den Abbruch der Kirche. Sie hat ja keine Funktion mehr.

Architekt Diplomingenieur Ferdinand Kitt:

Erstens: Die Kirche ist kein Hindernis für den Autoverkehr. Zweitens: Die unterirdische Straßenbahn kann man sehr wahrscheinlich an ihr vorbeiführen, von der Stadt aus gesehen links. Drittens: Wenn es nötig ist, könnte man auf den Vorschlag, der in einem Leserbrief gemacht wurde, zurückgreifen und eine Fahrbahn durch die ehemalige Kirche hindurchführen. Wer sollte denn heute ein neues Wahrzeichen entwerfen, das eine Barockfassade ersetzen könnte? Ist das eine Aufgabe für die heutige Architektur? Dieses neue Wahrzeichen halte ich für eine „Schnapsidee“!

Die Architekten Friedrich

K u r r e n t und Johannes Spalt:

Wir, das heißt die Mitglieder der „Arbeitsgruppe 4“, haben seinerzeit schon die Baubeschreibung unseres Projektes für eine neue Kirche mit der Feststellung begonnen: „Die Wiedner Hauptstraße erhält ihre besondere Charakteristik durch die Stellung und Lage der drei Kirchen, die, raumbildend angeordnet, besondere Akzente bilden. St. Florian als äußerste steht heute mitten im Verkehrsstrom. Nichts rechtfertigt, die Kirche abzureißen.“ Das gilt heute noch mehr denn je. Der Abbruch der Florianikirche würde dem Stadtbild von Wien einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen oder, um es mit den Worten von Adolf Loos auszudrücken: „Die bessere Einsicht kann zerstörte Kulturdenkmäler nicht wieder aufbauen.“

Architekt Professor Otto Niedermoser:

Ich bedaure, daß dieses Gebäude fallen soll, da ich es für einen liebenswürdigen städtebaulichen Akzent halte, der auch verkehrstechnisch nicht von Nachteil sein dürfte. Das Gebäude, das —zugegeben—keinen sehr hohen künstlerischen Rang besitzt, gibt einen menschlichen Maßstab in der trostlosen „Gegend“ der Wiedner Hauptstraße. Der fehlende Verwendungszweck sowie die angegebenen sehr hohen Mehrkosten für den Ausbau der Unterstraßenbahn an dieser Stelle machen natürlich die Erhaltung bedenklich, aber ich meine, man müßte sich doch sehr bemühen, einen vernünftigen Zweck für dieses Gebäude zu finden und durch eine Überprüfung der Straßenbahnplanung die Mehrkosten erträglich senken können.

Architekt Professor Doktor Roland Rainer:

Ich möchte zunächst feststellen, daß ich davon überzeugt bin, daß keine echten verkehrstechnischen Gründe für den Abbruch vorliegen, denn der gesamte Wiener Gemeinderat, darunter Baustadtrat Heller selbst, hat für ein Planungskonzept plädiert, das die Ablenkung des Verkehrs von der Triester Straße nicht in die Wiedner Hauptstraße, sondern in den Straßenzug Arsenalstraße und Prinz-Eugen-Straße einerseits, über den Gaudenzdorfer Gürtel durch das Wiental anderseits vorsieht. Außerdem hat die gemeinderätliche Planungskommission unter Bürgermeister Jonas beschlossen, daß die Stadt nicht dem Verkehr zu opfern, sondern der Verkehr der Stadt anzupassen ist. Schließlich wird die Straßenbahn in der Wiedner Hauptstraße unter die Straße verlegt, was eine weitere Entlastung bedeutet.

Es muß ferner darauf hingewiesen werden, daß es sinnlos wäre, die Wiedner Hauptstraße bei der Rauchfangkehrerkirche auszuweiten, wenn bei der Paulanerkirche ein Engpaß erhalten bleiben soll. Wollte man konsequent vorgehen, würde der Abbruch der Florianikirche also auch einen Angriff auf die Paulanerkirche bedeuten, abgesehen davon, daß auch die meisten Bäume auf der Wiedner Hauptstraße ebenfalls verschwinden würden. Der für das Stadtbild Wiens sehr charakteristische Bezirk Wieden würde seines Gesichtes entscheidend beraubt.

Zur Kostenfrage: Wie groß ist das Baubudget Wiens? Drei Milliarden Schilling! 12 Millionen, also die echten Kosten für die Unterfangung der Kirche, wären vier Promille davon, nicht einmal ein halbes Prozent. Und da es sich hier um ein Denkmal handelt, welches der Stadt viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte erhalten bliebe, muß man doch feststellen, daß der Aufwand von nicht einmal einem halben Prozent eines Jahresbaubudgets kein untragbares Opfer darstellt angesichts der Tatsache, daß bei der Forumdiskussion im Auditorium maximum vor etwa fünf Jahren nicht nur Vizebürgermeister Slavik als Finanz-, sondern auch Vizebürgermeister Mandl als Kultur-, und schließlich Stadtrat Heller als Baureferent sich zur Erhaltung des Wiener Stadtbildes bekannt haben.

Architekt Professor Norbert Schlesinger:

Sie werden mit meiner Meinung nicht erfreut sein, ich bin für das Abreißen. Ich bin ein moderner Architekt und finde die Kirche auch nicht so „gigantisch“. Wien hat soviel Wertvolles in schlechtem Erhaltungszustand, für das etwas getan werden müßte!

An Stelle der Kirche? Ich bin dafür, den Platz freizulassen.

Architekt Professor Doktor Karl Schwanzer:

Ich finde es merkwürdig, daß die Öffentlichkeit nie genau erfahren hat, was dort eigentlich geplant wird. Man müßte die Pläne korrekterweise durch die Volksmeinung prüfen lassen, soviel zur Vorgangsweise. Zur Sache selbst: Wer mit Architektur und mit Kultur überhaupt zu tun hat, ist natürlich dagegen, daß ein würdiges und schönes Bauwerk zerstört wird. Wenn die Verhältnisse den Abbruch erzwingen, wenn sich etwa durch die Stellung eines Bauwerkes immer wieder Unfälle ereignen, ist das anders, das Kostenargument allein aber überzeugt nicht. In zehn oder in fünfzig Jahren fragt niemand mehr, was die Erhaltung der Kirche gekostet hat, es fragt ja auch niemand mehr, was die Wiederherstellung der im Krieg schwerbeschädigten Bauten gekostet hat. Wir freuen uns, sie zu haben. Wien hat schon soviel Geld für solche Zwecke ausgegeben — wir könnten uns auch die Erhaltung der Rauchfangkehrerkirche erlauben. Die Gegend, in der sie steht, ist doch mit Baudenkmälern nicht so reich gesegnet.

Dabei bin ich mir dessen bewußt, daß zum Leben auch die Zerstörung des Alten gehört und daß nur so Neues und Besseres entstehen kann. So lange aber die Resultate der bisherigen Entwicklung dies nicht erhoffen lassen, ist es sinnvoller, einem nicht baufälligen, schönen alten Bauwerk wenigstens einen weiteren Aufschub zu geben. Daß d^e Wiener immer nur dann einen „Wirbel“ machen, wenn Altes weggerissen werden soll, das Neue dagegen, das man stattdessen hinbaut, widerspruchslos akzeptieren, wie immer es auch aussieht — das ist eine andere Sache.

Diplomingenieur

Wolfgang Windbrechtinger:

Ich bin ein ganz eifriger Verfechter der Erhaltung, denn die Florianikirche ist städtebaulich für den 4. Bezirk eine wichtige Dominante, die durch ein anderes Wahrzeichen nicht ersetzt werden kann. Die Gemeinde hat zugegeben, daß eine verkehrstechnische Lösung zu ihrer Erhaltung möglich wäre. Was die Kosten betrifft, so bin ich der Ansicht, daß die genannten Zahlen ziemlich aus der Luft gegriffen sind. Ich kann sie jedenfalls nicht überprüfen.

Mein Vorschlag wäre, den Abbruch der Kirche bis zur Beendigung des Wettbewerbes für ein neues Wahrzeichen aufzuschieben und die Pläne für jenes Quasiwahrzeichen der Bevölkerung vorzulegen, bevor man endgültig entscheidet. Denn ich finde nach wie vor, daß die Mitsprache der Bevölkerung eine wichtige Rolle bei der Stadtplanung spielen soll. Auf ein halbes Jahr Gnadenfrist kommt es hier nicht mehr an. Mit einigem gutem Willen läßt es sich machen. Ich finde die ganze Sache unglaublich, allerdings auch die Lethargie der Wiener, der letzten Endes auch die Häuser in der Sterngasse zum Opfer gefallen sind.

Architekt Professor Eugen W ö r 1 e :

Die Kosten für die Erhaltung, die genannt wurden, müssen auf einen Irrtum zurückgehen, denn soviel kann das nicht kosten. Die unterirdische Straßenbahn könnte meiner Meinung nach ohne weiteres an der Kirche vorbeigeführt werden. Daß ihr Bau durch die Erhaltung der Rauchfangkehrerkirche verteuert würde, ist klar, aber die geschätzten Kosten sind zweifellos pessimistisch überhöht.

Gar keine Frage ist für mich, daß die Kirche erhalten werden muß, denn gewisse Bauwerke aus verschiedenen Epochen — es muß sich nicht um barocke handeln und es können auch architektonisch unbedeutende sein —, erzeugen so etwas wie eine Stadtstimmung, und die ist durch ein neues Wahrzeichen nicht zu ersetzen. Was soll denn das werden? Ein Kampanile zu der leider bei der Ausführung etwas verunglückten neuen Kirche?

Allerdings muß man eine echte Zuneigung zum Heute haben, um ein Bauwerk, wie es die alte Rauchfangkehrerkirche darstellt, erhalten zu wollen!

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