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1854 - Besinn einer neuen Ära

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Das im folgenden in deutscher Uebersetzung gebrachte Dokument (das Original ist m französischer Sprache gehalten), enthält den Bericht der österreichischen Botschaft beim Heiligen Stuhl über die Feier der Dogmatisierung der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariä, die am 8. Dezember 1854 stattgefunden hat. Berichterstatter ist Lukas Conte Gozze, der als Legationsrat in Vertretung des Botschafters Grafen Moritz Esterhazy damals die Botschaft leitete.

, Der Bericht enthält Beobachtungen, die gerade aus dem Munde des Vertreters einer weltlichen Macht von großem Interesse sind. Es war damals der große Papst Pius IX. auf dem Thron, dem dieses Dogma ein tiefstes persönliches Anliegen war. Der Berichterstatter selbst verbirgt nicht seine Ergriffenheit über das Schauspiel der neuartigen kirchlichen Einheit, man kann sagen, der sich bildenden modernen Weltkirche, die sich von politischen Bindungen an die einzelnen Staaten loszureißen beginnt. Gerade in Oesterreich war sie im Begriff, die durch den noch immer anhaltenden Josephinismus gedrosselte Freiheit wiederzuerlangen. Sahen die Konservativen im Papsttum den Hüter des Prinzips der Erhaltung an, so konnten sie doch nicht verhindern, daß ihm immer mehr die äußerlichen Stützen entzogen wurden: das Fallen des Kirchenstaates ist kennzeichnend für diese Entwicklung. Zugleich aber geschah, besonders verstärkt durch die Unfehlbarkeitserklärung des Papsttums, ein wesentlich engerer Zusammenschluß .der Katholiken aller Länder mit dem Heiligen Vater, das geistige Verständnis für das Wesen der jprche lebte auf. Es ist kein Zufall, daß diese neue „Phase", ja diese „Aera“ durch das Mariendogma angekündigt wird und im Zeichen Mariens steht. Kirche und Maria sind nicht zu trennen. Es ist erstaunlich, wie klar hier der kaiserliche Berichterstatter gesehen hat.

Die am Ende des Berichtes erwähnte St.-Pauls- Basilika in Rom, jenes prachtvolle altchristliche Gotteshaus, war im Jahre 1823 fast vollständig abgebrannt und seither wiederaufgebaut worden.

An Seine Exzellenz den Herrn Grafen von B u o 1-Schauenstein (Minist des Kais. Hauses und des Aeußeren) Rom, am 9. Dezember 1854 Hochgeborener Graf!

Der religiöse und theologische Akt, der den frommen Glauben an die „Unbefleckte Emp fängnis“ als Dogma und Glaubensartikel festlegen’sollte, ist gestern in der St.-Peters-Basilika inmitten aller Pracht eines Papstamtes in Gegenwart von mehr als zweihundert Kardinälen und Bischöfen und bei einem gewaltigen Zustrom von einheimischem und fremdem Volk vor sich gegangen.

Während der Heilige Vater, auf seinem Throne sitzend, das auf diese Lehre bezügliche Dekret „ex cathedra“ verlaß, wurde er trotz seiner merkbaren Bemühung der Zurückhaltung von einer so lebhaften Erregung erfaßt, daß er mehr als einmal gezwungen war, die Lesung zu unterbrechen. Seine Heiligkeit hat sie unter strömenden Tränen der Freude und der religiösen Begeisterung beendet. Als es dem Heiligen Vater gelungen war, sein Gefühl zu meistern, ließ er der Verlesung des Dekretes eine glühende und ganz dem Augenblick angepaßte Ansprache folgen.

Wenn man es wagte, auf so hohe und heilige Dinge einen im gewöhnlichen Leben und in der Literatur allzu leichtfertig gebrauchten Ausdruck anzuwenden, dann müßte man ihn hier in der vollen Echtheit seiner Bedeutung verwenden:

Es war einimhöehstenMaßepak- kendes Schauspiel!

Alle guten Katholiken und nicht weniger die Abgefallenen und Ungläubigen sehen in dieser Feierlichkeit, wie in allen Begebnissen bei der durch sie veranlaßten Versammlung, die Verherrlichung der Religion und der katholischen Kirche in aller alten Frische ihrer geheimsten und tiefsten Lehren, in all ihrer Wirkung auf die Geister und in aller erneuten Kraft ihrer mächtigen Organisation.

Man sagt sich mit Recht, daß ohne Rücksicht auf örtliche Verschiedenheiten dies eine öffentliche Kundgebung ist, durch welche die katholische Kirche sich über alles, was sie entgegen dem Zeitgeist seit etlichen Jahren gewonnen und wiedergewonnen hat, Rechenschaft gibt. Vor allem aber ist es die bemerkenswerte Verbundenheit, die Verehrung, Untertänigkeit und Anhänglichkeit, die der Episkopat dem Heiligen Stuhl gegenüber bewiesen hat, der Eifer aller nach Rom geeilten Prälaten, bei jeder Gelegenheit ihre feste und unbedingte Zustimmung zu den Lehren und zu den Unternehmungen des Papsttums in allem, was den Glauben und die Regierung der Kirche betrifft, zu bezeugen, eine Zustimmung, die sich hier als viel fester und unbedingter bewiesen hat, als man es sich im allgemeinen erwartete — es ist besonders, sage ich, dieses Schauspiel, das alle ernsten und überlegten Beobachter verblüfft. Man spürt, daß dieses Ereignis vor allem dadurch tatsächlich eine Phase, wenn nicht eine Aera in der Geschichte der Kirche bezeichnet, und der Politiker ist gezwungen, seinerseits davon Kenntnis zu nehmen wegen des unfehlbaren Einflusses, den dieser Geist nach verschiedenen Richtungen hin auszuüben imstande ist.

Die direkte und sozusagen bis ins einzelne gehende Einflußnahme des römischen Hofes auf das Verhalten der ganzen Kirche und aller lokalen Kirchen ist täglich im Steigen begriffen und die Versammlung von 150 Bischöfen, die zu diesem Anlaß aus allen Teilen der Welt zusammengeeilt sind, wird wunderbar dazu beitragen, dieses Anwachsen noch zu verstärken und vor allem offenbar zu machen.

Ich glaube, daß die katholischen und nichtkatholischen Regierungen politisch nichts za fürchten, vielmehr alles von dieser Konzentration des Einflusses zu erhoffen haben werden. Der römische Hof beurteilt sehr gut die Veränderungen in fast allen sozialen Belangen. Er erkennt seine Sendung nicht weniger als seine wirklichen Interessetj inmitten dieser Veränderungen. Unter Verzicht auf alle eigentlich politischen Prätentionen beschränkt der Heilige Stuhl jetzt sein Streben auf seine Tätigkeit für die Kirche, und in dieser Tätigkeit kann man zwei in gleicher Weise wohltuende Prinzipien erkennen, die in letzter Zeit die Art ihres Einflusses charakterisiert haben, nämlich unbeugsame Konsequenz in den Prinzipien selbst, Klugheit und konstante Maßhaltung in allen Anwendungen und Entscheidungen.

Je mehr das politische und religiöse Leben der Völker lebendiger und im guten wie im schlechten Sinne erregter wird, um so mehr werden sich die anständigen und ehrenhaften Regierungen meiner Ansicht nach zu beglückwünschen haben, daß sie im Zentrum der Kirche einen mäßigenden Stützpunkt bei allen

Beziehungen zu den lokalen Kirchen und in allen Schwierigkeiten, die durch oft unvermeidbare Zusammenstöße zwischen den beiden Mächten an ihren verschiedenen Berührungspunkten verursacht werden, finden können.

Die Stadt Rom hat sich durch eine ebenso spontane wie allgemeine Beleuchtung und durch Werke der Frömmigkeit und der Wohltätigkeit aller Art den freudigen Absichten der Kirche bei dieser Feier angeschlossen.

Heute sind alle in Rom anwesenden Kardinäle und Bischöfe- ins Konsistorium berufen worden, wo der Heilige Vater eine, wie man annimmt, im besonderen durch die Ereignisse diktierte Ansprache halten wird, wobei er es jedoch nicht versäumen wird, Dinge von allgemeinem Interesse zu behandeln.

Morgen wird man die Einweihung der Sankt- Pauls-Basilika feiern, wonach eine große Zahl der Prälaten sich beeilen wird, die Heimfahrt anzutreten, um zu Weihnachten in der eigenen Diözese sein zu können.

Genehmigen Euer Exzellenz den Ausdruck meiner tiefen Ehrfurcht.

Gozze m. p.

(Original im Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, Rom-Berichte 1854.)

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