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1966: 20 Jahre „Verstaatlichte”

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Wenn Österreich heute im wirtschaftlichen und kulturellen Konzert der europäischen Staaten ein beachtetes Instrument spielt, so mag es vielleicht schwerfallen, sich in die Situation des Landes im Jahre 1946 zurückzuversetzen. Dieser Staat im Herzen Europas war 1945 ein aus unzähligen Wunden blutendes Land, mit verwüsteten Städten, zerbombten oder in der Folge demontierten Betrieben, in welchen hungernde und frierende Menschen arbeiteten. Im kommenden Jahr wird nun zum 20. Mal der Tag wiederkehren, an dem ein Experiment begann, dessen Ausgang unter den Verhältnissen des ersten Nachkriegsjahres für Österreich noch ungewiß war.

In voller Einmütigkeit faßten die Vertreter aller demokratischen Parteien Österreichs am 26. Juli 1946 im Nationalrat den Beschluß, die bedeutendsten Unternehmungen der Grundstoffindustrien, der Energiewirtschaft und die drei größten Banken des Landes der Obhut des Staates anzuvertrauen.

Nun begann ein schwerer Weg zum industriellen Wiederaufbau unseres Landes.

Die Aufbauleistungen der folgenden Jahre — das österreichische Wunder — haben von der verstaatlichten Grundstoffindustrie entscheidende Impulse erfahren.

Von Anfang an erfüllte sie auf Grund ihrer Preispolitik die Funktion eines Stabilisators innerhalb der Gesamtwirtschaft Österreichs und hat vor allem in den schweren Nachkriegsjahren gegenüber möglichen hohen Exporterlösen durch Niedrighalten der Inlandspeise die österreichische Wirtschaft allein auf dem Eisen- und Stahlsektor um 2,2 Milliarden Schilling, auf dem Kohlesektor um 6,5 Milliarden Schilling subventioniert und zum Wiederaufbau wesentlich beigetragen.

Aus den gleichen Erwägungen sind die Stickstoffpreise im Interesse der österreichischen Landwirtschaft seit 1951 (!) gleichgeblieben, obwohl in diesen 14 Jahren auch dort bedeutende Preiserhöhungen erfolgten.

Darüber hinaus haben die verstaatlichten Unternehmungen aber auch noch weitere bedeutende Belastungen von den Schultern der Allgemeinheit, das heißt Steuerzahlern genommen und auf ihre eigenen gehoben. So haben sie zum Beispiel zu den Ablöselieferungen an die Sowjetunion mit 909 Millionen Schilling beigetragen, den österreichischen Milchpreis im Jahre 1956 mit 300 Millionen Schilling gestützt, dem Land Niederösterreich für das Erdgasleitumgsnetz der Niogas 100 Millionen Schilling zugeschossen, an der Entschädigung der Vorbesitzer mit 90 Millionen Schilling beigetragen und bei der Übernahme der USIA-Betriebe 1,2 Milliarden Schilling flüssig gemacht.

Darüber hinaus haben diese Betriebe bis 1965 an den Staat Dividenden in der Höhe von rund 1 Milliarde und 900 Millionen Schilling abgeführt.

An Löhnen und Gehältern wurden 1956 rund 7 Milliarden Schilling ausbezahlt. Diese gigantische Summe, die über die Hände der Arbeiter und Angestellten vor allem in Handel und Gewerbe flössen, zeigt, welche Bedeutung diese Betriebe für unsere gesamte wirtschaftliche Entwicklung haben.

Besondere Bedeutung für den Aufschwung unserer gesamten Industrie kommt aber auch der Investitionstätigkeit der verstaatlichten Unternehmungen zu, für die in den Jahren von 1945 bis 1964 eine Summe von 27,2 Milliarden Schilling aufgewendet wurde. Von diesem Betrag wurden 21 Milliarden Schilling aus iselbsterwirtschafteten Erlösen, das heißt Eigenmitteln, aufgebracht, der Rest aus Krediten, die wieder zurückgezahlt werden mußten.

Nur etwas über 1 Milliarde Schilling wurde in diesen 20 Jahren vom Eigentümer, dem Bund, beigestellt, welcher über ein Nominalkapital von 6 Milliarden und 300 Millionen Schilling verfügt. Bezüglich der Steuerleistungen ist nur festzustellen, daß die verstaatlichten Betriebe keinen „Staat im Staat” darstellen, sondern dieselben fiskalischen Abgaben zu erbringen haben, wie die übrige Wirtschaft. Im Zeitraum von 1946 bis 1964 betrugen sie weit über 20 Milliarden Schilling.

Auf den verschiedenen Auslandsmärkten hat die verstaatlichte Industrie die Funktion eines Schrittmachers der gesamten österreichischen Exportwirtschaft übernommen. Ihre großen Außenhandelserfolge haben Österreich als bedeutendes Industrieland am Weltmarkt bekanntgemacht. Es ist diesen Unternehmungen gelungen, ihre Exportleistungen innerhalb der letzten 13 Jahre zu versechsfachen. In Schillingwerten ausgedrückt bedeutet dies eine Steigerung des Exporterlöses von nicht ganz 1,5 Milliarden Schilling im Jahre 1950 auf rund 10 Milliarden Schilling im Jahre 1964, womit die Exporterlöse der verstaatlichten Industrie in der Devisenbilanz Österreichs nach den Erlösen des Fremdenverkehrs an zweiter Stelle stehen.

Allein die Großaufträge der verstaatlichten Unternehmungen bedeuten eine Unzahl von Subaufträgen für die übrige österreichische Wirtschaft. So hat zum Beispiel die Simmering-Graz-Pauker AG. im Jahre 1964 Aufträge in der Höhe von über 420 Millionen Schilling, die VÖESt. im Ausmaß von rund 800 Millionen Schilling und die Österreichische Alpine-Montan-Gesellschaft in der Höhe von zirka 950 Millionen Schilling an Privatfirmen weitergegeben.

Aber es gibt keine geteilte Wirtschaft. Verstaatliche und private Unternehmen bilden gemeinsam jenes große Räderwerk der österreichischen Wirtschaft, dessen Motor um so schneller läuft, je reibungsloser und kräftiger alle Räder angetrieben werden.

Die höchste Dividend ensumme aller österreichischen Unternehmen zahlt die verstaatlichte österreichische Mineralölverwaltung. Fast 11 Prozent der Gesamtexportes Österreichs stellt ein einziges Unternehmen: die 1945 von rund 6000 Bomben total zerstörten verstaatlichten Vereinigten österreichischen Eisen- und Stahlwerke (VÖESt.).

So können wir heute, nach 20 Jahren erfolgreicher Aufbauarbeit, stolz auf die Leistung aller Österreicher, deren Eigentum dies Betriebe sind, zurückblicken. Wir können aber auch mit Zuversicht dem kommenden Jahr entgegensehen, obwohl wirtschaftliche Schwierigkeiten im EWG-Raum, vor allem in der Eisen- und Stahlindustrie, die zu Kurzarbeit, Einstellung von Öfen, Schließung von Kohlen- und Erzgruben und Arbeiterentlassungen führten, in ihren Auswirkungen auf die übrige europäische bzw. österreichische Wirtschaft kaum ausbleiben werden.

Voraussetzung für die weitere stabile Entwicklung unserer Gesamtwirtschaft ist die Aufrechterhaltung unserer Konkurrenzfähigkeit. ELIN-Transformatoren nach Amerika (Tennessey Valley) oder Kraftwerkseinrichtungen nach Thailand, österreichischer Edelstahl nach Australien oder Südamerika, ein VÖESt. LD-Stahlwerk nach China older Indien, um einige Beispiele zu nennen, zeigen — trotz der riesigen Entfernungen und Transportkosten — die Konkurrenzfähigkeit und Erfolge unserer verstaatlichten Industrie gegenüber der gesamten Weltkonkurrenz.

Bleibt der soziale Friede, der Österreichs Entwicklung seif 1945 auszeichnet, erhalten, so wird er das Fundament für eine weitere Aufwärtsentwicklung unserer Gesamtwirtschaft bleiben, im Interesse nicht nur der Aufrechterhaltung des errungenen Lebensstandards, sondern vor allem auch im Interesse der Sicherung alles bisher Erreichten.

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