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50 Jahre Zeit!

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Dr. Schulmeister: Man muß, glaube ich, auch berücksichtigen, daß Österreich in der Frage Südtirol seit 50 Jahren Geduld gehabt hat, nachdem Südtirol entgegen den Gesichtspunkten, nach denen die Friedens-macher von 1918/19 eine neue Welt errichten wollten, Österreich weggenommen wurde. Die Südtiroler sind eigene Landsleute, die durch Geschichte, Volk und Sprache der alt-österreichischen Welt zugehören. 50 Jahre lang hat Italien Zeit gehabt, gar nicht zu reden von der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, nach dem Gruber-De-Gasperi-Abkommen, um

dieses Problem zu bereinigen. Daß es von österreichischer Seite nicht an gutem Willen gefehlt hat, dafür sprechen schon die Namen derer, die damals Außenminister oder Regierungschef waren. Es ist nichts geschehen. Wenn man sieht, wie in der Welt sonst überall mit kleinen afrikanischen Gemeinschaften, Leuten, die nicht einmal den Status eines Volkes besitzen, sondern noch auf Stammesebene sind, Unabhängigkeit und Souveränität bewilligt werden, kann ich verstehen, daß es Menschen gibt, radikal gesinnte Menschen, die nach immerhin einem halben Jahrhundert sagen: Wir sind offenbar auf dem Holzweg; mit bloßer Diplomatie geht es nicht. Das ist tief bedauerlich, denn Gewalt ist nie ein Mittel, Probleme zu lösen. Das hat sich gezeigt beim Friedensvertrag von St-Germain, als man wider die Prinzipien Wilsons Südtirol von Österreich abtrennte. Heute ist das noch anachronistischer, da wir in Europa alle in einem Boot sitzen. Das muß man als Hintergrund sehen, um zu verstehen, daß der Akt, den der italienische Außenminister Fanfani gesetzt hat, eine beispiellose Herausforderung einer demokratischen Regierung eines kleinen Staates ist.

Österreich ist in einer Lebensfrage getroffen worden. Ich rede nicht von der EWG im besonderen, ich rede ganz allgemein von der Tatsache, daß Österreich auf Europa angewiesen ist. Die italienische Politik bezweckt, Österreich an den Rand der demokratischen Welt zu schieben, jenes Österreich, das unter anderem durch seinen Widerstand gegen den Kommunismus mitgeholfen hat, das demokratische Italien vor einem Vormarsch des Kommunismus zu bewahren. Daß der österreichische Bundeskanzler Klaus alles nur mögliche gemacht hat, sich im Land selbst dem Spott aussetzte, als er versuchte, , durch Gehedmtreffen Herrn Moro und Herrn Fanfani, dessen leidenschaftliches Temperament und Heftigkeit bekannt sind, von einem solchen Weg abzuhalten, ist bekannt. Die Dinge sind schlecht ausgegangen. Kaum war das „Paket“ so weit, daß die österreichische Bundesregierung die internationale Verankerung durchsetzen sollte, kam dieser Unglücksfall von der Scharte, wo aber nicht sofort österreichische Exekutive und österreichische Spezialisten zugelassen wurden, sondern zehn Tage später ein österreichischer Sachverständiger dort das findet, was die italienischen Sachverständigen nicht gefunden haben. Man wird alles tun müssen, um den Italienern in der Öffentlichkeit den Nachweis zu liefern, daß Österreich von sich aus alles mögliche unternimmt, um auf friedlichem Weg zu einer Einigung zu kommen. Aber dann muß auch Italien jetzt Handlungen setzen, sonst werden die letzten Dinge ärger sein als die ersten.

Dr. Portisch: Ich bin sehr einverstanden mit vielem, was Herr Doktor Schulmeister gesagt hat, ich finde nur, wir haben uns eine Blöße gegeben. Wenn wir die Italiener wirklich festnageln hätten wollen, hätten wir von uns aus in aller Härte alles tun müssen, um jeden Vorwurf berechtigt zurückweisen zu können, daß wir mit den Attentaten nichts zu tun haben und wir die Terroristen in keiner Weise fördern oder ihnen gar Hinterland bieten.

Dr. Schulmeister: Darf ich Sie darauf hinweisen, daß es den Italienern auch nicht gelungen ist, die sizilianische Maffia zu bewältigen?

Dr. Portisch: Selbstverständlich, das weiß ich genau. Es hätte vermutlich weitere Bombenattentate gegeben und vielleicht sogar stärkere, nur hätte man nicht mit dem Finger auf uns zeigen können. Die Burger, Klotz und Co. laufen ja bei uns frei herum, geben große Interviews, werden im Fernsehen gezeigt, werden zu Natdonalhelden gemacht. Das ist ja international nicht auszuhalten. Man wollte eben immer beides. Man wollte a) ein gutes Verhandlungsklima mit Italien, und b) wollte man im Inland der „fesche Bursch“ sein. Wenn wir immer scharfe Grenzmaßnahmen getroffen und durchgreifende Gerichtsverfahren durchgeführt hätten, hätten wir in der Frage Südtirol gegenüber Italien auch eine ganz harte Sprache sprechen können. Wir hätten uns dann derartige Junktimierungen nicht bieten lassen dürfen und müssen. So haben die Italiener von uns jede Ausrede geliefert bekommen.

Dr. Schulmeister: Wie war das in Italien?

Dr. Portisch: Ja, nur ist es so, daß wir von Italien etwas wollen!

Dr. Schulmeister: Wieso? Wir haben einen Vertrag...

Dr. Portisch: Trotzdem müssen wir doch international denken: Die Italiener sind es, die Konzessionen machen müssen. Wenn es umgekehrt wäre, wenn wir zu bestimmen hatten, was jetzt zu geschehen hat, könnten wir uns allerhand leisten. Das ist der österreichische Standpunkt ...

Dr. Schulmeister: Der österreichische Standpunkt ist die Erfüllung des Gruber-De-Gasperi-Abkom-mens!

Dr. Portisch: Wie immer Sie es drehen wollen: Wir brauchen die Konzessionen von den Italienern.

Dr. Stamprech: Wenn man realistisch denkt, müßte man nicht zurückblicken, sondern vorwärts. Denn auch scharfe Maßnahmen, früher gesetzt, sind ein Eingeständnis dessen, was uns Rom schon seit Jahren vorwirft. Dann hätte man eben gesagt: Die Österreicher wissen, daß bei ihnen die Terroristen zu Hause sind, daher unternehmen sie das. Aber es ist ja gar nicht so sicher, ob die Mehrzahl der Terroristen überhaupt auf österreichischem Gebiet zu Hause ist. Das ist auch eine Frage, die nicht geklärt ist! Wenn ich sage, wir sollten in die Zukunft schauen, meine ich folgendes: Wenn Österreich nun dem Wunsch Roms nachkommt und die Grenze gegen Terroristen sichert, dann hat auch Rom Konsequenzen zu ziehen: erstens die Junktimierung mit der EWG aufzugeben, und zweitens, was mir noch wichtiger erscheint, die Frage Südtirol im Sinne des „Pakets“' zu lösen.

Schramm-Schiessl: Die Italiener sind offensichtlich nicht in der Lage, auf ihrem' eigenen Boden für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Das, was sie uns vorwerfen, trifft sie selber. Die Anschläge sind auf italienischem Boden geschehen, und Beweise sind nicht erbracht worden, daß sie von Österreich gekommen sind. Wir wissen genau, daß es auch italienische Terroristen gibt, wir wissen jedoch bis heute nicht, ob sie vor Gericht gestellt wurden. Also Italien hat hier auch eine ganze Menge Schuld auf sich geladen. Im übrigen: seit wann ist eine solche Blockade eine Einbahn? Vom Bergiselbund wurde gefordert, daß die Österreicher ihren Urlaub nicht in Italien verbringen sollen. Ich halte eine derartige Forderung zwar nicht für richtig, weil man dadurch die Sache nur anheizt, aber sie zeigt, daß auch Italien in wirtschaftlicher Hinsicht einiges zu verlieren hat.

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