6780250-1969_40_10.jpg
Digital In Arbeit

800 Millionen Bäuche

Werbung
Werbung
Werbung

Ottawas unermüdliche Bemühungen, die’Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit China zu erreichen, sind von dem heißen Wunsch begleitet, vor allem die Weizenexporte zu steigern. Bereits 1m Vorjahr kletterte der Wert der kanadischen Ausfuhr auf 163,2 Millionen Dollar und sicherte der Volksrepublik China den siebten Platz unter den Kunden. Der Löwenanteil des kanadischen Chinageschäftes entfiel auf Weizen (73,758.844 Scheffel), doch auch die Bergwerksgesellschaften hofften auf gute Umsätze. Bereits im Vorjahr war die Volksrepublik China — nach USA und Großbritannien — der drittbeste Kunde für Kanadas Zink (13.007 Tonnen), und auch die Nickelexporte waren vielversprechend. Heute ist es kein Geheimnis mehr, daß Ottawa bereit ist, die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan abzubrechen, wenn Peking dies zur Bedingung macht. Kanadas Weizenberge werden immer höher — und die 800 Millionen Bäuche der Volksrepublik China könnten hier Wandel schaffen.

Kanadas junger Premierminister Pierre Trudieau hat bereits vor den letzten Wahlen am 29. Mai 1968 erklärt, daß die von ihm geführte Regierung diie Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Peking anstrebe. Trudeau hat China bereist und ist, wie viele Kanadier, von dem fernen Osten und den sich hier bietenden Möglichkeiten fasziniert (Auch Kanadas Interesse an Japan 1st bedeutend. Bei der Weltausstellung in Osaka werden nicht weniger als vier Pavillons — jener Kanadas und der Provinzen British Columbia. Ontario und Quebec — das zweitgrößte Land der Erde bei Expo 70 repräsentieren. W. A. C. Bemett der dynamische Premier von Kanadas westlichster Provinz. behauptet: „Große Berge separieren British Columbia von Ottawa, doch zwischen uns und Japan ist nur ein friedliches Meer.”)

Nach einer Übersicht sank die Zahl jener, die sich zu der von Premier Pierre Trudeau geführten liberalen Regierungspartei bekennen, seit November von 52 Prozent auf 39 Prozent, wobei der Großteil der Stimmenverluste auf den „Goldenen Westen” entfiel, in dem die riesigen Weizenüberschüsse Immer ernstere Probleme schaffen. Schon hat die „Winnipeg Free Press” — die maßgebendste Zeitung der Prärie — berichtet, daß dieser Uberschuß die größte Krise in der Geschichte der Weizenproduktion des westlichen Kanada verursacht habe. Die riesigen Weizenfelder der Prärie erstrek- ben sich über 24,4 Millionen Acres (1 Acre — 0,40467 Hektar), und verläßliche Schätzungen erwarten, daß die neue Ernte 650 Millionen Scheffel übersteigen wird.

Kanada erhofft sich von der diplomatischen Anerkennung Pekings eine dynamische Steigerung des Chinageschäftes. Anderseits ist die Ausfuhr nach Taiwan für Kanada relativ unwichtig. Der wichtigste Export nach Taiwan im Vorjahr waren 52.000 Tonnen Rübsamen (für Speiseöl) im Werte von mehr als 4,5 Millionen Dollar. Kanadas Ausfuhr nach Taiwan hatte bloß den Wert von 16,9 Millionen Dollar, während die Importe mit 34.4 Millionen Dollar mehr als doppelt so groß waren. Die Volksrepublik China allerdings hat 800 Millionen Einwohner, Taiwan bloß 13 Millionen.

Taiwans Kardinal Yu-pin hat während seines Besuches in Ottawa die Kanadier gewarnt, daß eine diplomatische Anerkennung Pekings zu gefährlichen „subversiven” Aktivitäten führen werde. Die kanadische Regierung ist bereit, dies in Kauf zu nehmen. Außenminister Mitchell Sharp antwortete auf die Bemerkung, warum Kanada denn die Volksrepublik China anerkennen wolle, mit der klassischen Riposte des Alpinisten. der nach dem Motiv seiner Versuche. den Mount Everest zu besteigen, befragt, konterte: „Weil er da ist!”

Im roten Buch

Idealisten glauben, daß Kanada ein gutes Image in China habe. Sie basieren ihre Meinung zum Teil darauf. daß sich ein Kanadier am chinesischen Festland einer außerordentlichen Achtung erfreut. Der Montrealer Arzt Dr Norman Bethune, der — während des „Sino-Japanese”- Krieges — chinesische Soldaten betreute. ist von Mao in seinem berühmten kleinen roten Buch verewigt. ebenso mit einer Briefmarke Dr. Bethune. der vor seinem Eintreffen in China in Spanien auf seiten der Republikaner als Arzt tätig war, starb an den Folgen einer Blutvergiftung am 13. November 1939 in einem nordchinesischen Dorf.

Kanadische Realisten folgern, daß die 800 Millionen Einwohner Rotchinas ein lockender Markt für den guten Prärieweizen sind. Die diplomatische Anerkennung Pekings gilt ihnen als geringer Preis.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung