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ABDEL SALAM AREF/IN DEN AUSLAGEN BAGDADS

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Die Bevölkerung von Bagdad hat mit Gelassenheit zur Kenntnis genommen, daß die Bilder des „getreuen, einzigen Führers“, wie man General Kassem nannte, eines Tages aus den Auslagen genommen und alsbald durch Bilder des früheren Obersten, seither zum Marschall avancierten Abdel Salam Aref ersetzt wurden. Das war in jenen Februartagen, als auf den Straßen der irakischen Hauptstadt noch die mit revolutionären Militärs vollbesetzten Jeeps und Lastautos hin und her rasten und Uniformierte mit Armbinde und Maschinenpistole an vielen Stellen der Stadt die Personalpapiere kontrollierten.

Seither erschien auch in vielen europäischen Zeitungen das altmodisch wirkende Bild des jovial dreinblickenden Abdel Salam Aref, wie er noch in Oberstuniform im Kreise seiner zahlreichen Familie sitzt. Das Bild sollte vermutlich für den Mann werben, dem man heute schon insgeheim gnadenlose Härte vorwirft; er hat nach dem in wenigen Stunden errungenen Sieg der Revolution am 8. Februar dem in der Mausefalle sitzenden Kassem, der ihn telephonisch stundenlang darum bat, das Leben nicht geschenkt. Und er hat auch dem Morden nach dem Sieg noch lange Zeit nicht Einhalt geboten. Aber das stand wahrscheinlich auch nicht in seiner Macht.

Kassem hat, es ist gar nicht so lange her, einmal in einer ähnlichen Situation - nur die Rollen waren verkehrt — eine Ausnahme gemacht: Er ließ Aref, der zum Tode verurteilt war, nicht hinrichten, sondern gab ihm, am dritten Jahrestag der — bisher vorletzten — irakischen Revolution,' am 14. Juli 1961, die Freiheit. Das war von seinem Standpunkt aus gewiß ein Fehler, aber Kassem beging ja viel mehr Fehler dadurch, daß er sonst seine Gegner, die verschiedenen Lagern angehörten, teils grausam ermorden oder hinrichten ließ, teils aufeinander hetzte — den Rest besorgte dann die jeweils stärkere Partei; seinerzeit also jene weitverzweigte Untergrundorganisation, die man einfachheitshalber die kommunistische nannte. Aber Kassem hatte auch Höheres vor: Bodenreform, wirtschaftliche Reformen, die dem armen Land den

Wohlstand bringen sollten. Er kam nur wegen der Kämpfe und der Strafexpeditionen nicht dazu.

Was Aref und seine Hintermänner vorhaben, weiß man noch nicht. Es ist aber wichtig, sich vor Augen zu halten, daß in dieser neuen Revolution die letzten Machtkämpfe noch wahrscheinlich bevorstehen. Marschall Aref wurde jedenfalls vor kurzem durch den Revolutionsrat, der die eigentliche Macht im Lande in Händen hat, zum Präsidenten der Republik ernannt, mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß er so lange auf seinem Posten bleibt, bis die Periode des gegenwärtigen Transitoriums anhält. Trotzdem ist Marschall Aref heute zumindest die Gallions-figur des irakischen Staatsschiffes — oder doch vielleicht mehr? Man weiß es eben nicht.

Einst war er der engste Mitarbeiter des Generals Kassem. Mit ihm zusammen bereitete er den Staatsstreich vor, dem am 14. Juli 1958 der König und seine Ratgeber zum Opfer fielen. Kurze Zeit darauf erklärte Aref, er sei nur „der Sohn“ des Generals Kassem. Er wurde Vizepräsident des Ministerrates und Innenminister. Und die Differenzen zwischen ihm und Kassem, hauptsächlich wegen der Weigerung Kassems, sich Nassers panarabisches Konzept zu eigen zu machen, waren plötzlich da. Sie wurden immer tiefer und augenfälliger. Im Oktober 1958 mußte Aref seine Ämter zurücklegen: sein Auftrag lautete: Botschafter in Bonn. Nach einem scharfen

Wortwechsel mit seinem „brüderlichen Freund“ Kassem zog er seine Pistole. Er wurde durch die herbeistürzende Leibgarde entwaffnet, mußte sich setzen und — ein Glas Milch trinken. Kassem begleitete ihn persönlich auf den Flugplatz; die beiden „Brüder“ umarmten sich. Aref behagte jedoch die Bonner Luft nicht. Nach drei Wochen war er wieder da. Nun wurde er sofort verhaftet, zum Tode verurteilt, allerdings auch begnadigt und lebte seither in einem Villenvorort Bagdads das bequeme Leben eines pensionierten Offiziers. Aus dieser Zeit stammt wohl das erwähnte Familienbild. Das war aber nur der Schein, der bekanntlich nicht nur im Nahen Osten trügt.

Abdel Kerim Kassem und Abdel Salam Aref gehören der politisch wichtigsten Gesellschaftsschicht in arabischen Ländern an, wo es einstweilen noch kaum einen gebildeten Mittelstand und nur wenige Intellektuelle gibt, und wo daher die von allen mit Recht als dringend empfundene politische und soziale Reform der Offizierskaste überlassen bleibt. Aref und die starken Männer hinter ihm stützen sich auf die Baath-Partei und auf bürgerliche Nationalisten, die jedoch aus den Erfahrungen ihrer Freunde in Syrien den Schluß zogen, daß sie wahrscheinlich besser fahren werden, wenn sie als gleichberechtigte, unabhängige Partner Ägyptens ihr Land zu konsolidieren versuchen. Dem Marschall Aref eröffnet sich da ein dankbares Betätigungsfeld.

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