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Abendländische Kirchenfreiheit

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Zur Geschichte des christlichen Altertums gibt es bereits verschiedene Quellensamm-lungen. Dennoch wird jeder Freund der alten Kirchengeschichte die neue Quellen-sanimlung freudig begrüßen, die Hugo Rahner mit dem Tifcl herausgab: „Abendländische Kirchenfreiheit. Dokumente über Kirche und Staat im frühen Christentum.“ Verlag Benzinger, Einsiedeln, 1943. Professoren der Kirchengeschichte werden das Buch für Vorlesungen ebenso gut benützen können wie Theologen zur Vertiefung ihres kirchengeschichtlichen Studiums.

Aus der ganzen reichen Entwicklung des frühen Christentums ist nur das Problem des Verhältnisses von Staat und Kirche herausgehoben. Hier schauen wir es im treuen Zusammenwirken beider, im Kampf des Cäsaropapismus mit seinen Totalitätsansprüchen in ausführlichen Dokumenten aus allen Jahrhunderten bis ins neunte Jahrhundert. Wir sehen die Begegnung von Staat und Kirche in verschiedenen Gestaltungen und Folgen. Durch 39 zum Teil sehr ausführliche Dokumente wird das Problem klar beleuchtet. Die Auswahl der Quellen ist sehr sorgfältig und gut; es wurden auch wenig bekannte aber sehr charakteristische Dokumente aufgenommen.

Sehr wertvoll sind die jeden Abschnitt einleitenden Einführungen. Sie geben einen Gesamtüberblick über die Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Staat in dem jeweiligen Zeitraum und zeichnen so die geschichtliche Situation, aus der die einzelnen Dokumente herauswuchsen. Diese werden dadurch noch lebensvoller, als sie inhaltlich ohnehin schon sind. Gerade diese geschichtlichen Einführungen sind wertvolle Beiträge zur Kirchengeschichte, da sie auf Grund der neuesten Literatur gearbeitet sind und Stellung nehmen zu vielfach umstrittenen Fragen. Das gibt auch Anlaß zu Auseinandersetzungen mit abweidienden Auffassungen, wie sie in der Papstgeschichte von Erich Caspar oder in Werken des durch seine Quellenforschungen so hochverdienten E. Schwanz sich finden. Außerdem bieten diese Einführungen“ Gelegenheit, auch die Stellung voi. Autoren zu besprechen, von denen keine Dokumente aufgenommen sind. So ist die Stellung des heiligen Athanasius, des großen Vorkämpfers für den Glauben und die Freiheit der Kirche, nur in der Einführung behandelt. Vom großen heiligen Augustinus erklärt der Verfasser:

„Nur in den äußersten Umrissen können wir in diesem Zusammenhang von der Augu-stinischen Lehre zum Problem Staat und Kirdie sprechen; wir fügen unserer Dokumentensammlung audi keine Texte aus Augustinus ein, weil des Bisdiofs grübelnder, meist jenseits aller politischen Tagesfragen wandernder Geist sich* nur immer in verstreuten Worten zu den Kämpfen dieses Schlachtfeldes geäußert hat. Dennoch sind seine Gedanken von Kampfnaturen, wie Leo und Gelasius, in kirchenpolitische Tat umgesetzt worden.“ (Seite 172.)

Quellenkritische Forschung und glänzende Darstellung vereinen sich in diesen Einführungen.

An die Spitze stellt Rahner die Sätze: „Die Kirche muß allen Jahrhunderten und allen Staaten verkünden, was Christus als Erlöser herrisdi und herrlich für die Menschen verfügt hat. Und der Staat muß auf die Kirche horchen. Aber Verkünden und Horchen darf immer nur so geschehen, daß die von Gott dem Schöpfer für den Staat und Gott dem Erlöser für die Kirche gezogenen Grenzen der Eigenständigkeit nicht überschritten oder verwischt werden. Da es nun die gleichen lebendigen Menschen sind, die in der Kirche und im Staat sind, wird die Frage nach dem rechten Verhältnis von Kirche und Staat für alle Menschen und für immer schwer und erregend bleiben.“ (Seite 9.)

Die beiden Extreme, zwischen denen der Kampf seit Christus bis auf unsere Tage sich abspielt, sind staatskirchliche Kirchenherrschaft (Cäsaropapismus) und kirchliche Staatsherrs-haft (Papaltheorie). Alle Möglichkeiten der kämpfenden Auseinandersetzungen sah die Geschichte schon. Ungleich öfter war die Freiheit der Kirche bedroht und unterdrückt von der Übermacht des Staates.

„Die Dokumente, die uns von den Siegen und Niederlagen dieses altchristlichen Kampfes berichten, lesen sich heute, wie wenn sie für unsere Zeit geschrieben wären.“ (Seite 12.)

Aus Predigten und Gebeten, aus Apologien, Gerichtsprotokollen und Papstbriefen werden die Waffengänge dieses Kampfes in ihrer blitzenden Schärfe und herrlichen Christlichkeit vorgeführt.

In fünf großen Abschnitten schildert uns der Verfasser diesen Kampf, der sich immer mehr zu ergreifender und schließlich erschütternder Dramatik und Tragik steigert. Dabei gehen Ost und West immer mehr auseinander. Im Gegensatz zum Osten steigt die Kirche im Abendland im Papsttum zu immer größerer Freiheit auf und wird die Führerin der jungen Völker des Westens. Nicht bloß in Lehre, Disziplin und Liturgie, sondern auch im Verhältnis von Staat und Kirche trennen sich die Wege der Ost- und Westkirche immer stärker.

Der erste Abschnitt umfaßt die Märtyrerkirche. Sie sieht im Staat den Ausdruck des göttlichen Schöpferwillens, wahrt aber ebenso entschieden ihre Rechte und Freiheiten. Sie suchte die Mitte zwischen ja und nein, sprach das unsterbliche Nein bis zum Martertod gegen jeden absoluten Mächtanspruch des Staates auf religiösem Gebiet; sie sprach das Ja in glühenden Gebeten für den Staat und die Kaiser. Wie eine ahnungsvolle Schau ist es, wenn Origines spricht: „Wenn alle Römer den christlichen Glauben annehmen würden, was würde dann sein?“

Der zweite Abschnitt zeigt den „Kampf um die Freiheit in der Konstantinischen Reichskirche“. Sehr abgewogen ist das Urteil über Konstantins Kirchenpolitik. „Sein Ideal war ein positives Christentum möglichst farbloser Prägung.“ (Seite 74.) Für die Tiefe der theologischen Probleme fehlte ihm das Verständnis. Das wurde zum Verhängnis. Der Brief des greisen Hosius und die Akten des Papstes Liberius zeigen die furchtbaren Folgen.

Den Höhepunkt stellt der Kampf des großen Bischofs und Staatsmannes Ambrosius von Mailand dar. Mit ehrfürchtiger Bewunderung liest man die Ambrosius-Dokumente. Er schreibt an Kaiser Theodosius: „Der Kaiser ist i n der Kirche, er ist nicht über der Kirche. Ein guter Kaiser sucht die Kirche zu fördern, nicht, sie zu bekämpfen. So untertänig wir dies sagen, so unerschütterlich halten wir daran fest, auch wenn man uns droht mit Scheiterhaufen und Schwert und Verbannung. Wir Knechte Christi haben das Fürchten verlernt! Auf einen Menschen, der das Fürchten verlernt hat, macht der Terror keinen Eindruck ... Das unterscheidet ja die guten und bösen Staatsführer, daß die guten die Freiheit lieben und die bösen die Sklavengesinnung.“ (Seiten 155 und 111.)

Der dritte Abschnitt behandelt „Die Scheidung der beiden Gewalten im Kampf mit dem werdenden Cäsaropapismus“. Drei große Papstgestalten ragen auf: Innozenz L, Leo I. und Gelasius. Der Osten verfällt dem vollen Staatskirchentum; im Westen wird das Papsttum der Hort der abendländischen Kirchenfreiheit. Augustinus zeichnet das ideale Verhältnis. Die realpolitischen Päpste prägen die Lehre von den beiden Gewalten mit dem Primat des Geistigen und Ewigen. Gelasius wird der Klassiker des Verhältnisses von Kirche und Staat. Wie ein gewaltiger Mahnruf wirkt das Schreiben des Papstes Symmachus (508/10) an das Gewissen des Menschengeschlechtes, eine ernste Warnung vor dem „Sturz in den Abgrund“.

Der vierte Abschnitt zeigt den Kampf der Kirche gegen das Staatskirchentum Kaiser Justinians im 6. Jahrhundert. Das Ziel ist die politische Reichseinheit, der sich auch die Dogmen beugen sollen. Es beginnt „der leidende Kampf“ des Papsttums um die Kirchenfreiheit. Mutige Männer, wie Facundus von Hermiane, verteidigen die Freiheit der Kirche. Der Ausgang brachte nur ein unvermeidliches Kompromiß.

Der letzte Abschnitt schildert „Rom und Byzanz bis zum großen Schisma“ vom siebenten bis neunten Jahrhundert. Wir sehen wieder häretische Unionsformeln, dann große politische Schauprozesse, in denen es unter der Tarnung letztlich doch um dogmatische Fragen und Kirchenfreiheit ging. Erschütternd wirkt die Denkschrift über den Prozeß gegen den hl. Papst Mart'n I. (654), der als Märtyrer in leidvoller Verbannung stirbt. Ihm ebenbürtig im Osten an Freimut und Leidenschicksal ist der hl. Maximus der Bekenner; die Gerichtsverhandlung (655) und das Staatsgespräch (656) offenbaren dieselbe Märtyrergröße. Im Bildersturm des Ostens legt Papst Gregor II. noch einmal (726 und 728) den Unterschied zwischen Staat und Kirche, zwischen Kirchenfreiheit und Kirchenknechtung dar. Es ist der Abschiedsbrief an den Osten und sein unwürdiges Staatskirchentum.

Dieser Papst steht schon in inniger Beziehung zu den jungen germanischen Völkern des Westens, schickt den hl. Bonifatius nach Deutschland, plant selbst eine Reise nach Germanien. Das freie Papsttum und das machtvoll aufsteigende Königtum der Karolinger verbinden sich. Es ist das große Tor in eine neue Zeit, auch in ein neues Verhältnis zwischen Kirche und Staat.

So will das Buch unserer Gegenwart zeigen, wie jedes Totalitätssystem, mag es Byzantinismus, fürstlicher oder aufgeklärter Absolutismus, Faschismus oder Nationalsozialismus oder Kommunismus heißen, aus innerer Konsequenz zum Staatskirchentum gedrängt wird. Die Kirche kann da ihre innere Segenskraft nidit entfalten, ist durch die Hemmung und Bedrückung in den Kampf bis zum Martyrium gestellt. Wo aber die Kirche in wahrer Demokratie in Freiheit ihre Lehre, ihr Gnadenwirken, ihre Erzie-hungs- und Bildungsarbeit, ihre sozial-charitative Tätigkeit den Völkern und Staaten schenken kann, wird sie zur mäch-tieen Mitbauerin am wahren Glück.

Wie wird sich das Problem der Kirchenfreiheit im Neubau der Staaten gestalten?

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