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Abendländische Tragödie

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In einem Gespräch mit amerikanisdien Pastoren wurde der Marschall Josip Broz-Tito von seinen Gästen zu einer Äußerung über das delikate Thema ..Staat und Kirche“ in Jugoslawien verleitet. „Jugoslawien ist ein Mehrvölkerstaat“, erklärte er, „und was hoch wichtiger ist, seine Völker unterschei-. den sich voneinander hauptsächlich durch die einzelnen Kirchen; in Serbien durch die Prawoslawe, in Kroatien durch den Katholizismus, in Bosnien durch das muselmanische, prawoslawe und katholische Bekenntnis. In der Vergangenheit identifizierte sich bei uns die Religion mit dem Volkstum, was zu einem unglaublichen nationalen Chauvinismus führte. Daran hat die Kirdie einen wesentlichen Anteil.“

Mit dieser Auskunft hat Tito an das dominierende Staatsproblem gerührt, das zwar in der Verfassung, nicht aber in der Praxis eine Lösung gefunden hat. Denn bis zum ersten Weltkrieg sind alle diese Völker ihre eigenen geschichtlichen Wege gewandelt, die Kroaten und Slowenen als organischer Bestandteil der Donaumonarchie, die Serben als eine bis in die zweite Fftlfte des vorigen Jahrhunderts türkische Provinz die in den kompakten Massen der Muselmanen auf dem Balkan ihre tiefen Spuren hinterließ. Trotz der frappierend nahen Ver-wandtsdiaft ihr^r Sprachen ist es seither nicht gelungen, den Widerspruch in den nationalen Gefühlen zu überbrücken. Hie-bei ist der Umstand entscheidend, daß an der Prägung des Nationalbewußtseins von Kroaten und Slowenen das katholische Wesen vornehmlich beteiligt war und dieV jungen Nationen sich gerade in Perioden der Staatenlosigkeit im Schöße der Kirche wohlgeborgen fühlten. Die Serben wiederum bekannten sich ztir Ostkirche mit dem Blick auf Byzanz, Kiew und Moskau, während Mazedonier und Montenegriner Sonderfälle darstellen, die erst recht an die Gefährlichkeit eines Versuches mahnen, dieses jugoslawische Problem, das kaum anderwärts ein Beispiel hat, auf einen totalen Nenner zu bringen.

Trotzdem hat 1945 der Kommunismus im Vertrauen auf seine werbende Kraft dieses Wagnis unternommen. Indem er durch die Legalisierung der Nationalitäten und ihrer national abgegrenzten Volksrepubliken im großzügigen Rahmen des Föderativstaates einen vom alten Jugoslawien künstlich verzögerten Schritt nach vorwärts tat, negierte er gleichzeitig und unterschiedslos die Funktion der Kirchen als die geschichtliche Ausdrucksform des von ihr betreuten Volkstums und verwies sie in den rein mechanischen Bereich des Privaten. In der Überzeugung, daß es die Kirche sei, die allein die nationalen Gegensätze hervorrufe und wachhalte, vermeinte man in der Trennung vom Staate das Mittel gefunden zu haben, den „unglaublichen nationalen Chauvinismus“ auszuschalten und das Vakuum mit dem Kommunismus zu füllen. Diese Berechnung hat sich aber als falsch erwiesen. Die Privatisierung der Kirchen, die nach der Enteignung ihrer Besitzungen auch materiell geschwächt dastehen, hat in den betroffenen Völkern das peinigende Gefühl einer Bedrohung ihrer nationalen Werte ausgelöst und eine Passivität gegenüber dem Staate begünstigt, die so weit geht, daß die staatlichen Funktionäre sdion von einer Gefährdung des wirtschaftlichen Fünfjahrplanes sprechen.

Um diese aufkommende, passive Resistenz bei den Katholiker, die 38 Prozent der Gesamtbevölkerung betragen, im Keime zu ersticken, entschloß sich das Regime mit dem Stepinad-Prozeß zur Schauprobe seiner Macht. Das internationale Echo dieses Falles lag aber keineswegs im Interesse der jugoslawischen Politik. „Es ist verkehrt, aus diesem Menschen einen Märtyrer zu machen“, sagte daher Tito zu seinen ameri-kanisdien Gästen, die ihm erzählten, daß in den Vereinigten Staaten sogar ein Gymnasium den Namen Stepin ad trage. Es war ihm sehr daran gelegen, daß die Pastoren dem verurteilten Kirchenfürsten im Gefängnis einen Besuch abstatteten, dem der gefangene Erzbisdiof allerdings „nur nach einigem Zögern“ zustimmte. Dieses Zögern wird begreiflich, wenn man erfährt, daß der Leiter der Delegation, der Pastor W i 1-liam Howard Melish von der Holy Trinity Episcopal Church Brooklyn, gleichzeitig auch Präsident eines Nationalkomitees für amerikanisdi-sowjetrussisdie Freundschaft ist. In einer Erklärung teilte denn auch die Delegation mit, daß alle Nachrichten über eine schlechte Behandlung Stepinac' „lügenhaft und provokatorisch“ seien. Nadi seiner Rüddtehr sah sich Pastor Melish auch noch veranlaßt, vor der New-Yorker Presse die kirchlichen Verhältnisse in Jugoslawien zu loben und festzustellen, Jugoslawien sei kein Satellit 1 der Sowjetunion, „denn wir haben nirgends im Lande Sowjettruppen vorgefunden und wurden niemals einer Sowjetkontrolle unterworfen“. Dabei fiel die Reise gerade in eine Periode der heftigsten Spannungen zwischen Kirche und Staat, ausgelöst durdi eine Serie von Gerichtsverfahren gegen Angehörige des geistlichen Standes, die der Spionage und Konspiration zugunsten gewisser ausländischer Kreise besdiuldigt waren. In dem Prozeß gegen vier Mönche d& Franziskanerklosters „Mutter Gottes vom Volke“ bei Agram bestand diese Spionage in der Weitergabe von Nachrichten über die kirchliche Situation Kroatiens nach dem Ausland und einer mysteriösen Sabotageaffäre, die nur durch Belastungszeugen, nicht aber durch Geständnisse der Mönche bewiesen werden konnte. Deutlicher noch kam das Bestreben, die katholische Kirche zu treffen, in dem Prozeß gegen die slowenische Opposition um den ehemaligen Schulminister Professor Doktor F u r 1 a n und eine Reihe von slowenischen Intelligenzlern zutage. Was im Gerichtssaal selbst aus Mangel an Beweisen nur andeutungsweise zum Ausdruck kam, hat Ende August der stellvertretende Ministerpräsident der Belgrader Zentralregierung, Edvard Kardelj, in seiner aufsehenerregenden Laibadier Rede hervorgehoben.

„Das Urteil“, so sagte er unter lärmendem Beifall seiner Zuhörer, „hat bewiesen, daß ein Großteil der kirchlichen Hierarchie Sloweniens zu jenen Faktoren der slowenischen Volkes gehört, die unaufhörlich und grundsätzlich die Anstrengungen des arbeitenden Volkes nach einem glücklichen Leben, einer wirklichen nationalen Freiheit und einem allseitigen Fortschritc behindern.“ Er beklagte sich über einen Mißbrauch der vom Staate gewährten kirchlichen Freiheiten in der Ausübung der Seelsorge, der Benützung der Schulräume für den Religionsunterricht, der Wiedereröffnung der theologischen Fakultät und der Herausgabe von religiöser Literatur. „xtani.el und Beichtstuhl werden vielenorts zur Verbreitung einer Propaganda gegen die Staatsbehörden benützt. An Stelle von Reli-gions- und Schulunterricht lehrt man den Kindern Ping-Pong und andere Spiele, um die Jugend den reaktionären antinationalen Hetzen leichter gefügig *u machen. Gleich-Zeitig arbeitet diese reaktionäre Hierarchie unmittelbar mit ausländischen Spionen und umstürzlerischen Elementen zusammen, wie die Gerichtsverfahren der letzten Zeit beweisen.“

Kardelj erhob hierauf den Vorwurf gegen ji „führenden Kirchenkreise in Slowenien and einen wesentlichen Teil des Klerus“, ich mit „Volldampf in den Dienst der Feinde der Volksdemokratie“ begeben ru haben. Man kann schwer glauben, daß diese Kede eine private Exkursion ist. Vielmehr aefürchten Beobachter die bekannte Taktik: zuerst Anschuldigung der Volksfeindschaft, dann Verschwörung, dann Anwendung der selbstverständlichen Gewalt und ' Unterdrückung. Kardelj unterließ es schon nicht, seine Verwunderung darüber auszusprechen, daß einer dieser „blutigen Bischöfe“, Roz-man von Laibach, noch immer auf seinem Posten stehe. „Es ist daher der Augenblick gekommen, jenen Führern der Kirche, die sich mit der neuen Zeit nicht abfinden können, zu raten, ihre Politik zu ändern.“ Im gleichen Sinne sprach sich auch Marschall Tito aus, indem er sagte, „wir selbst werden dafür sorgen, daß sie uns nicht behindern, wenn sich schon einige katholische Kreise nicht dazu entschließen, mit uns zu gehen. Wenn aber die Geistlichkeit das wieder zerstören will, was wir mühevoll aufgebaut haben, nämlich die Brüderlichkeit und die Einheit unserer Völker, dann wird sie die volle Härte des Gesetzes zu fühlen bekommen.“

In dieser höchst unerquicklichen, ja bedrohlichen Atmosphäre spielte sich denn auch der schreckliche Zusammstoß zwischen Katholiken und Kommunisten in dem istri-schen Dorfe Lanisce ab. Die landläufigen Zeitungsberichte gaben kein richtiges Bild der Vorgänge. Bei der Firmung hatten der Pfarrer Miroslav Bulesiö und der Abgesandte des Bischofs von Triest, Monsignore Dr. Jakob Ukmar, die Zulassung von Kommunisten als Firmpaten verweigert. Aus diesem Anlaß kam es zu den blutigen Ausschreitungen, die zu verhindern die jugoslawische Miliz machtlos gewesen wäre, wie der kroatische Ministerpräsident Doktor Bakaric betonte. Hiebei wurden der Pfarrer von LaniJce getötet und Dr. Ukmar schwer verletzt. Lanisce ist aber nur ein Glied in einer langen Reihe ähnlicher Vorfälle, und sie sind damit nicht genügend erklärt, wenn sie Bakarid auf die „recht starken Gruppen von ustaschisch gesinnten Elementen“ in Istrien zurückführt. Denn es ist kein Geheimnis mehr, daß die Enttäuschung der Bevölkerung nicht nur in den Volksrepubliken mit katholischer Bevölkerung, sondern aueih in Serbien und in Bosnien zunimmt. Diese Erscheinung wird von durchaus loyalen Tschechen bestätigt, die auf ihren Urlaubsreisen durch Jugoslawien die Existenz starker antistaatlichcr Partisanenabteilungen feststellen mußten. Die Eile, mit der heute auch die muselmanischen Würdenträger den Schleier der Frauen und den Fez der Männer verdammen und die Regierung mit Loyalitätskundgebungen überschütten, müßte Belgrad eher bedenklich als freundlich stimmen.

Es ist der Diplomatie des Vatikans ru-zusdireiben, daß zumindest die formalen Beziehungen mit Jugoslawien weiter bestehen und in Belgrad ein päpstlicher Nuntius amtiert. Für eine einseitige Annullierung dieses Zustandes wäre schon im Juli Veranlassung gewesen, als die Belgrader „Politika“ einen massiven Angriff gegen „Die pharisäische Lügenhaftigkeit des Vatikans“ führte. Zudem wird die amtliche Propaganda nicht müde, die vatikanische Politik in das Schreckgebilde einer internationalen „faschistisch reaktionären Weltkonspiration“ gegen die Volksdemokratien des Ostens einzubauen. „Man wird sehen, was H a r 1 e y erreichen wird“, sagte Tito vom päpstlichen Nuntius, „ob er irgendeine Rolle zur Verbesserung der Beziehungen zwischen katholischer Kirche und unserem Staate übernehmen wird oder nicht.“

Diese Äußerung fördert jenen fatalen Pessimismus, der sich heute lähmend über das gesamte kulturelle Leben in Jugoslawien breitet. Er ist das Motiv einer Tragödie des Abendlandes, die heute auf vielen Bühnen Europas spielt.

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