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Abfuhr für Reformer

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Ungewöhnlich heftig, ja geradezu unbeherrscht reagierte der auf Staatsbesuch in der Schweiz weilende Bundeskanzler aus Bern auf einen mehrheitlich gefaßten Beschluß jener Kommission, die er selbst am 15. Mai im Rahmen einer Zeremonie und im Beisein in- und ausländischer Pressevertreter zur Reform des österreichischen Bundesheeres eingesetzt hatte.

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Ungewöhnlich heftig, ja geradezu unbeherrscht reagierte der auf Staatsbesuch in der Schweiz weilende Bundeskanzler aus Bern auf einen mehrheitlich gefaßten Beschluß jener Kommission, die er selbst am 15. Mai im Rahmen einer Zeremonie und im Beisein in- und ausländischer Pressevertreter zur Reform des österreichischen Bundesheeres eingesetzt hatte.

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Diese Kommission, die unter dem Vorsitz von Verteidigungsminister Freihsler steht, umfaßt 55 Mitglieder. Die ÖVP hatte zur Prüfung der Bundesheerreform eine parlamentarische Kommission vorgeschlagen. Kreisky jedoch wünschte sich ein Gremium, das „alle Bevölkerungsschichten“ umfaßt. So sind darin neben Parlamentsabgeordneten auch Beamte, verschiedene Interessengruppen und Jugendverbände sowie auch 21 hohe Offiziere des Bundesheeres vertreten. Die Kommissdon arbeitete bisher vertraulich, in zehn Arbeitsausschüssen, nach einem genau festgelegten Zeitplan. Der Schlußbericht sollte Ende Oktober vorliegen.

Wer nun auf eine stille, sachliche Arbeit in dieser für das Land lebenswichtigen Frage hoffte, der hoffte vergeblich. Das Thema Bundesheer und dnsbesondere die Frage der Wehrdienstverkürzung kam nicht von der Tagesordnung. In der Regierungserklärung vom 27. April hieß es dazu: „Die Regierung wird eine Kommission einsetzen, die die Aufgabe hat, Reformvorschläge für die Struktur des Bundesheeres mit dem Ziel einer Herabsetzung des ordentlichen Präsenzdienstes von neun auf sechs Monate auszuarbeiten, wobei die Einsatzfähigkeit des Bundesheeres gewährleistet bleiben muß.“ Dann verschoben sich allmählich die Akzente. In einer vom sozialistischen Parteitag am 12. Juni einstimmig angenommenen Resolution der Sozialistischen Jugend wurde zum Beispiel die „spätestens am 1. Jänner 1971 in Kraft tretende Verkürzung des ordentlichen Präsenzdienstes von neun auf sechs Monate begrüßt“. Die SPÖ, hieß es dann, trete für eine wirksame Verteidigung der Republik und deren Neutralität ein, die Funktion des Bundesheeres im Rahmen der Landesverteidigung müsse jedoch „permanent überprüft und der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung entsprechend umgestaltet“ werden. Bundeskanzler Dr. Kreisky selbst aber hat wiederholt, zuletzt beim Parteitag der SPÖ in Tirol, erklärt, daß die Dienstzeitverkürzung von neun auf sechs Monate ab 1. Jänner 1971 auf jeden Fall in Kraft treten werde. Von den Fachleuten in der Reformkommission wurden diese Erklärungen als ein Vorgriff auf das Ergebnis der laufenden Beratungen gewertet. In einer Resolution, die in geheimer Abstimmung mit 35 gegen 12 Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen angenommen wurde, hat die Kommission am 2. Juli den Bundeskanzler aufgefordert, jede Äußerung zu unterlassen, mit der die Tätigkeit der Kommission präjudiziert wird.Die Antwort des Bundeskanzlers kam postwendend. „Dieser Beschluß ist vollkommen irrelevant“, sagte Dr. Kreisky, „denn die Kommission hat eben jene Reformen durchzuführen, die sich aus der Verkürzung der Wehrdienstzeit ergeben, wobei daran erinnert wird, daß diese mit 1. Jänner 1971 erfolgen wird, weil über den Leerlauf im Bundesheer von allen Seiten Klage geführt wird.“ Und dann schrieb das Zentralorgan der SPÖ über den mehrheitlichen Beschluß der Kommission, die der Bundeskanzler eingesetzit hat: „Selbstverständlich kommt ihm keinerlei Bedeutung zu.“

Diese rasche und forsche Reaktion, die einer völligen Desavouierung der Kommission gleichkommt, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Ausgangspunkt des Wortgeplänkels. Die SPÖ hat vor den Wahlen die Herabsetzung der Wehrddenstzedt auf sechs Monate versprochen. Dies war mehr als nur ein wahltaktischer Schritt zur Gewinnung von Jungwählern, denn bekanntlich denkt man in der SPÖ, und da bildet anscheinend auch Dr. Kreisky keine Ausnahme, seltsam zwiespältig in den Fragen des Bundesheeres. Und es ist diese zwiespältige Haltung vor allem, welche die Kommissionsmitglieder irritieren mußte und die dem Verteidigungsminister, der zwar bei seiner Amtsübernahme betont hat, daß er „selbstverständlich voll und ganz auf dem Boden des Wahlprogramms der SPÖ“ stehe, heute doch vielleicht schon zu denken gibt. Denn was sagte er damals? „Die Dienstzeitverkürzung ist für mich eine Verpflichtung: Ich stehe dazu. Nun gilt es, die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, aber auch die Ausbildung im Bundesheer so zu entrümpeln, daß die Einsatzfähigkeit des Heeres nicht gefährdet wird.“

In der Folge wurde Brigadier Freihsler präziser. Anläßlich der Inauguration der Reformkommission erklärte er, er sei sich stets bewußt gewesen, daß mit der derzeitigen Heeresorganisation eine Verkürzung nicht möglich sei, daß sie jedoch sehr wohl möglich sei, wenn es zu einer „zweckmäßigen Organisations- und Strukturänderung“ komme. Die Ziele der Reformarbeit umriß er wie folgt:

• Einsatzbereite Teile des Heers in die Lage zu versetzen, in Krisen-und Neutralitätsfällen die Neutralitätsschutzabsicht unseres Staates zu bekunden;

• die Präsenzdienstzeit auf voraussichtlich sechs Monate zu senken;

• bei verkürztem Präsenzdienst die erforderliche Zahl von Wehrpflichtigen zweckmäßig auszubilden; • die Organisation des Mob-Heeres zu verbessern.

Er sprach ferner von sechs Monaten „straffem Gefechtsdienst“ und von „einigen Wiederholungsübungen“ und erklärte noch dezidiert: „Das Mobilmachungsheer soll in eine gut ausgerüstete Landwehr umgegliedert werden. In Neutralitätsschutzverbänden sollen Wehrpflichtige freiwillig und bei höherer Bezahlung länger dienen können.“

Diese Forderungen des Ministers hat man bei den diversen Parteitagen unter den Tisch fallen lassen. Dort sprach man einzig und allein von den sechs Monaten. Daß dadurch Leute, denen es um die Verteidigungsbereitschaft des Landes ernst ist, mißtrauisch werden, ist verständlich. Und es wäre verständlich, wenn militärische Fachleute, die hier die Voraussetzungen und die Folgen ermessen können und die Schwierigkeiten vor allem finanzieller Natur — denn die Aufstellung von Einsatzverbänden und die Bezahlung von längerdienenden Soldaten müßte das Budget 1971 zusätzlich belasten — sehen, ebenfalls mißtrauisch werden. Der Brigadier Freihsler, der, bevor er Minister wurde, Chef der Planungsabteilung im Verteidigungsmi-nisterium war, gehört bekanntlich zu diesen Fachleuten. Spätestens bei der Budgeterstellung im Herbst dieses Jahres wird für Verteidigungsminister Freishler die Stunde der Wahrheit kommen.

Kreiskys Donnerwort kam aus der Schweiz, und da muß man an die seit jeher kritische, ja mißtrauische Haltung erinnern, welche die Berichterstattung etwa der angesehenen und gegenüber Österreich sonst immer sehr freundlichen „Neuen Zürcher Zeitung“ über die mißliche Lage der österrei chischen Landesverteidigung und insbesondere die diesbezügliche Einstellung der SPÖ kennzeichnet. Sehr aufmerksam wurde in dieser Zeitung stets jede Phase der Diskussion über die Verteiddgungspoli-tik innerhalb der SPÖ registriert. So wurde kurz nach der CSSR-Krise kritisch vermerkt, daß die SPÖ einer damals diskutierten Verstärkung der militärischen Bereitschaft „eher ablehnend“ gegenüberstehe und daß Parteivorsitzender Kreisky die Akzente auf den „passiven Widerstand“ setze. Schon den seinerzeitigen Rösch-Plan, die Herabsetzung der Dienstzeit auf sechseinhalb Monate, bezeichnete diese Zeitung als eine Absicht, die Verteidigungsbereitschaft Österreichs zu reduzieren. Schärfstens wurde die Initiative Günther Nennings und seiner Gefolgschaft, zur Abschaffung des Bundesheeres ein Volksbegehren zu starten, kritisiert. Und geradezu prophetisch mutet der Kommentar dieser Zeitung vom 21. 5. an, in dem gefragt wird, ob Freihslers Plan, eine Neutralitätsschutztruppe aus freiwillig länger dienenden Soldaten und Offizieren zu schaffen, von der Regierung mit der dazu notwendigen zusätzlichen mindestens halben Milliarde Schilling finanziert werden würde. An der Art und Weise, schreibt der Wiener Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“, wie die Regierung Kreisky dieses Problem zu lösen imstande ist, wird sich auch ihre Standfestigkeit ermessen lassen.

Im Augenblick sieht es so aus, daß die Regierung von den Mehrkosten nicht hören, ihr Wahlversprechen aber einlösen will, schon um die eigene Partei Jugend bis zu der Gruppe Nenning bei der Stange zu halten. Geopfert wird die Glaubwürdigkeit jener Bereitschaft zum Schutz der Neutralität, zu welcher sich der Bundeskanzler in seiner Pressekonferenz in Bern in wohlgesetzten Worten bekannt hat, während die Abfuhr an die Wiener Reformkommission bereits unterwegs war.

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