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Abraham Lincoln

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im Staate Illinois eine Wahlkarr pagne statt, die der Prolog ein Schicksalsentscheidung für d; amerikanische Volk werden sollt Äußerlich gesehen, ging es daran ob es dem bisherigen Inhaber eint Senatssitzes, Stephen Amol Douglas, gelingen würde, sein Mar dat zu verteidigen, oder ob er e seinem Gegenkandidaten, dei 49jährigen Prozeßadvokaten Abra ham Lincoln aus Springfield, über lassen sollte.

Beide Kandidaten hatten verein bart, in einer ganzen Serie vo Debattenreden, die sich den ganze Sommer hinzogen, das Volk zu Entscheidung zu bringen. Denn ii Grunde ging es nicht um ein Man dat, sondern um das Fundament de Republik.

Der Ton, den Lincoln in seine ersten Debattenrede anschlug, lie erkennen, bis zu welchen Tiefen di Polemik des Streites zwischen Nor und Süd bereits gediehen war:

„Ein Haus, das in sich gespalte ist, kann nicht bestehen. Ich bin de Meinung, daß die Regierung (diese Landes) nicht von Dauer sein kam wenn sie weiter halb von der Skla verei und halb von der Freiheit be stimmt wird. Ich glaube nicht, da sich die UNION auflöst — da heißt, ich glaube nicht, daß da Haus einstürzen wird —, aber ic bin der Überzeugung, daß es auf hören wird, ein geteiltes Haus z sein.“

Mit ungewöhnlicher Schärfe gin darauf Lincolns Gegner auf di scheinbare Gefährlichkeit diese Ultima ratio politischer Uberlegun gen ein: Das Haus würde erst dan aufhören, ein geteiltes zu seir wenn sich die Auffassung der eine Bewohner jener der anderen unter werfen sollte. Das aber könnte nu ein Mittel erzwingen: Waffengewal also Bürgerkrieg.

Und darauf Lincoln: Was ich aus sprach, war kein Wunsch, sonder: eine Erwartung, die in der Natu der Dinge liegt. Und dann wörtlicl wie in Vorahnung dessen, was kom men sollte:

„Ich habe oft von der Erwartun des Todes gesprochen; aber ich hab nicht den Wunsch zu sterben.“

War das nur der advokatorisch Kniff, um mit der Unterscheidun zwischen Erwartung und eigener Wünschen dem gefährlichen Hin weis des Gegners die Kraft z nehmen; oder klingt hier das Moti des Politikers Lincoln an, der seiner Volk gar nicht versterben, sonder: vorleben will?

Vor der Entscheidung

Die Wahl von 1858 in Illinois gin an Douglas, nicht an Lincoln. Abe zwei Jahre später standen sich di beiden wieder gegenüber. Diesma ging es darum, wer Präsident de Vereinigten Staaten werden sollt und diesmal siegte Lincoln.

Innerhalb weniger Monate sal sich der neugewählte Präsident de Ultima ratio gegenüber, die 185 sein Gegner als ein Menetekel a: die Wand geschrieben hatte. Di Einheit der Union um den Preis de Freiheit oder die Freiheit auf di Gefahr des Verlustes der Integritä der Union wurde aufs Spiel gesetzl

Das Gesetz der Demokratie kan: ein Leitfaden sein, der durch solch Krisen führt. Dann und wann abe scheint dieses Gesetz zu Versager

Die einen sagen, das sei unvermeidlich, weil im Kampf ums Letzte die Menschen in der Krisis von der Demokratie abzugehen pflegen. Sie scheint nicht geeignet zu sein als eine Ultima ratio anstatt der Gewalt.

Das muß nicht so sein. Wenn es den handelnden Menschen nicht an Grundsatztreue und Mut fehlen würde, dann würde die Demokratie in der Krisis nicht zugrunde gehen, sondern die höchste Bewährung erfahren.

Solcher Zeitgeist muß seine Helden haben. Und er sucht sie unter den Vorläufern in der Geschichte.

Generationen von Menschen haben das Bild des Helden nach dem Beispiel Alexander des Großen geformt. Er ist der Mann der raschen Tat, der Mann, der sich die Stunde der Entscheidung selbst vorausbestimmt und dann den Knoten zerschlägt, wenn es sein muß mit dem Schwert. Eine solche Heldenverehrung hat ihre Geschichte, ja wir dürfen sagen: eine fatale Geschichte. Der klirrende Heroismus des MANNES IN DER ZEITWENDE wird

Als Zeuge der Einheit

Das Lob der ueauia una ae Duldsamkeit stand im Geleitwor der Biographie eines Menschen, de vor 100 Jahren als 16. Präsident de Vereinigten Staaten seine Natio: durch einen vier Jahre währender blutigen Bürgerkrieg führen mußte dem es das Schicksal auferleg hatte, die Einheit und die Freihei für seine Nation zu retten.

In diesem Kampf erfüllte es siet daß Lincoln selbst — so wie er e geahnt hat — zum Blutzeuge wurde. Nicht weil er den Tod ge wollt hat, wohl aber, weil er ihn ein geschlossen hatte in das Risiko sei nes Lebens.

Am Vortag des amerikanische: Nationalfeiertages des Jahres 186 entschied sich in der Schlacht be Gettysburg in Pennsylvania di Wende des Bürgerkrieges, desse: Ausbruch Lincoln nicht verhinder mochte, dessen rasche Beendigun ihm die mäßige Begabung seine

:um Symbol letzthin möglicher nenschlicher Größe. Diesem hängen lie Menschen ihr Geschick an, hof- end, darnach in alle Ewigkeit lücklich und ohne Schuld in Frie- len weiterleben zu können.

Es fällt nicht leicht, demgegen- ber das Heldentum der Geduld und er Duldsamkeit ergreifend und innfällig zu schildern. Wer hört in rängenden Krisen darauf, daß es ngleich mehr Situationen gibt, in enen es sich lohnt, den Knoten zu isen, anstatt zu zerschlagen? Ge- uld und Duldsamkeit verlangen lehr Mut und mehr Standhaftig- eit und mehr stilles Heldentum als ie rasche Tat, der die Wende zu olgen scheint.

Und: Manche sprechen von Ge- uld und haben doch nur Scheu vor er Tat, und andere sprechen von Juldsamkeit und haben in Wirk- Ichkeit keinen Standpunkt.

Diese oder ähnliche Worte schrieb :h vor vier Jahren in das Vorwort er deutschen Übersetzung von ärl Sandburgs Biographie Abraham ancolns.

VXOUVH umi IUI JOblltll UC1ŪLC1 Vtl“ wehrte. Als der Tag zu Ende war, hatte es sich entschieden. Das Hochwasser des aus dem Süden vordringenden grauen Heeres hatte den mit letzter Verzweiflung aufgerichteten Damm des Nordens nicht zu überfluten vermocht.

Von den 165.000 Soldaten des Schlachtfeldes von Gettysburg blieben viele tausende als die nunmehr verstummten Zeugen eines jener tragischen Konflikte, in denen Söhne desselben Volkes lieber den Tod erleiden, als den Staat und das Volk dem verhaßten Gesetz des feindlichen Bruders unterworfen zu sehen.

Nun neigte sich nach dieser Schlacht die Waage des Schicksals langsam für Lincolns Sache. Und während seine politischen und militärischen Mitarbeiter an den Sieg und dessen restlose Ausnutzung

dachten, dachte der Präsident an die Wunden der Nation.

Er ahnte, was die Stunde nach der bedingungslosen Kapitulation bringen werde, dann, wenn der Knoten vollends durchhauen war. Denn in dieser Stunde des Sieges stößt der Sieger den Darniederliegenden vollends zu Boden. Cäsar habe — so schrieb Leopold von Ranke einmal — die seeelische Größe bewiesen, in diesem Augenblick des Triumphes

einzuhalten, um dann mehr zu gewinnen als den Preis der Macht: die Chance des Großmutes.

An dieses oder ähnliches dachte Lincoln vielleicht, als er fünl Monate nach der Schlacht vor Gettysburg in dieser Stadt weilte um anläßlich der Einweihung des Nationalfriedhofes von Gettysburg „einige angebrachte Sätze“ zu sprechen, wie die Einladung zu diesem Tage es ausgedrückt hatte.

Die Nacht von Gettysburg

Noch in der Nacht zurr 19. November 1863 — während ir dem Städtchen sich in seltsamer Vermengung lärmende Unterhaltung und scheue Traurigkeit mischten — nahm sich der Präsident das im Weißen Haus verfaßte Konzept seiner „angebrachten Bemerkungen" vor und setzte die letzten Akzente.

In dieser Nacht in Gettysburg glitten wohl immer wieder seine Augen über den ersten Satz, den er morgen angesichts tausender frischer Grabhügel sagen wollte:

Daß die Väter der amerikanischen Verfassung auf dem neuen Kontinent einen neuen Staat gegründet haben, in Freiheit gebildet und in dem Gedanken, daß alle Menschen gleich geschaffen sind. Das stand fest. Hier war es — das Fundament der Freiheit.

Aber darüber erhob sich die Frage, ob diese demokratische Republik, also eine Regierung eines Volkes aus dem nämlichen Volke — seine Integrität verteidigen kann oder nicht gegen Feinde im Inneren.

Wie lange kann sich eine Regierung in einer solchen Krisis behaupten? Ist nicht die Krisis der Beweis gegen das System dieser Regierung? Und darf sich eine Regierung in der Verteidigung der Integrität des Landes bis an die Grenze zu bewegen, an der es fraglich wird, was das größere Opfer ist: das der

ärgerlichen Rechte und Freiheiten der die Einbuße der Integrität?

Ob der einsame sechzehnte Präsilent der Vereinigten Staaten in je- ier Nacht in Gettysburg wußte, daß r an eine Frage rührte, die nur ine Lösung verträgt, die sich aber wiederholen wird, noch hundert ähre später, in nationalen und titernationalen Konflikten?

Als 1861 der Bürgerkrieg aus- irach, hatte da nicht Lincoln ge- chrieben, daß das eine Frage sei, lie mehr sei als die um das da- lalige Schicksal der Vereinigten Staaten?

Und so baute der Präsident über len Motiven der Freiheit und der Einheit den letzten, gültigen Wort- äut seiner Gettysburg Adress auf; tun schien es ihm sicher, daß diese 'oten nicht umsonst gestorben eien; auf daß die Nation eine Wie- lergeburt der Freiheit erlebe und lie Herrschaft des Volkes durch das rolk für das Volk auf dieser Erde licht erlösche.

lin letzter Zweifel

Dann hörte er wohl noch einmal 1 sich hinein, denn ein letzter Zweiei in die Gewißheit dieses Satzes egte sich. Vielleicht werde ihm lorgen noch der Gedanke kommen, er ihn auch davon erlöste.

Die Geschichte der Feier von Gettysburg kann unterbleiben. Einer er größten Rhetoriker der Nation prach über zwei Stunden zu den 'rauergästen, und während er och sprach, ging der Wortlaut sei- ier Rede durch die Druckerpressen er Zeitungen.

Und dann Lincoln. Es mag drei der vier Minuten gewährt haben. )enn schon war seine Rede zu Inde. Aber während er sprach, kam s ihm, dem gläubigen Menschen, er nie einer Kirche angehört hat, was er in der Nacht vergebens ge- ucht hatte: Damit die Opfer nicht imsonst seien; damit die Nation die Wiedergeburt der Freiheit erlebe; amit diese Herrschaft des Volkes urch und für das Volk auf dieser Irde nicht erlösche, brauchte es der lilfe Gottes, den er, der Einsame, a seinen nächtlichen Wanderungen Hąų& Jnmitten , tįefstep menschlichen Unglücks so oft ge- ucht. bat ,

Und so fügte er eben diese drei Worte, MIT HILFE GOTTES, ein, während er sprach.

Das und nicht mehr ist geschehen. Im Frühjahr 1865, im April, war er Krieg zu Ende. Am 11. April, rei Tage vor seinem gewaltsamen 'ode, sprach Lincoln zum letzten lal zu seinem Volk.

Was der deutsche Historiker .eopold von Ranke dem großen und iegreichen Cäsar unterstellt hat as kam in dieser Stunde des 'riumphes dem nach vier Kriegsähren von Sorgen zerquälten, aber inerlich unerschütterten Mann aus em Mittelwesten so selbstverständ- ch von den Lippen, als er beim chein einer Kerze, mühselig das lanuskript seiner Rede entziffernd, ein Volk vor dem Überschwang der lefühle in der Stunde des Sieges warnte.

Er schloß: „In dieser Situation — 3 sagt man — sollte ich für das 'olk des geschlagenen Südens etwas agen. Ich will darüber nachdenken, nd ich werde nicht versäumen, zu andeln, so wie ich gewiß sein werde, daß es gut sein wird.“

Niemals hat Lincoln dieses Wort □rechen dürfen. Am Karfreitag des ahres 1865 fiel er, einer der letzten n Bruderkrieg.

Am Tage von Gettysburg hatte er esagt, die Lebenden könnten die- ?n Boden nicht weihen und nicht ägnen. Am Ende seines Weges war incoln klargeworden, daß den atzeugen großen historischen Ge- :hehens zuweilen die Überzeu- ungskraft für ihr Wirken durch twas anderes gegeben werden muß Is durch ein Wort oder eine Handing.

„Die Welt wird wenig beachten nd kaum lange in Erinnerung be- alten, was wir hier sagen.“ So geigt und so geschehen 1863.

„Aber was jene hier sagen kann e niemals vergessen.“

Auch für Abraham Lincoln hat ie Geschichte dieses letzte Zeugnis □reit gehabt. „Jetzt gehört er der wigkeit an“, sagte an seinem Ster- ibett der Kriegsminister seines abinetts, sonst nicht immer ein obredner zu Lebzeiten.

Und dieses Zeugnis hat die Ge- hichte bestätigt.

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