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Abrechnung in der deutschen Koalition

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Als Erhard, der Deutschen Wunderkanzler, zu Ende des Jahres 1966 durch parlamentarisches Intrigenspiel in sein Krisenende taumelte, wettete er mit dem damals zum Verfechter einer großen Koalition gewandelten CSU-Chef Strauß (der auf sein Comeback wartete), daß diese Koalition zwischen Rot und Schwarz nicht länger dauern werde als seine eigene Regierungszeit. Erhards Prophezeiung darf zwar nicht mit dem Kalender gemessen werden, stimmt aber als Realität überein. Auch das Kabinett von Kiesinger und Brandt taumelt in die letzte Runde. Der Wahlkampf in Bonn, an der Ruhr, in München oder den Dörfern im Moseltal hat begonnen. Schon tauchen die ersten Wahlplakate auf, und die SPD wirbt mit Quizmaster Kulenkampff, dem Por-zellanindustriellen Rosenthal und dem bewährten Schnauzbartepen Günther Graß.

Die große Koalition war das Kind harter Tage des ersten schweren Konjunkturtiefs im Nachkriegsdeutschland, das Erhard und eine uneinige FDP nicht bewältigen konnten.

1986 wurde aber auch die lähmende

Isolierung spürbar, die das Deutschland der Nach-Adenauer-Ära zeichnete. Die Sozialdemokraten boten sich als Koalitionspartner der in mehreren Zwischenwahlen angeschlagenen Christenunion als mögliches Alibi eines harten Wirtschaftskurses in der Depression an und ließen neue Initiativen im der Außenpolitik erwarten.

So akzeptierte die CDU/CSU auch ohne sonderliche Gegenwehr, daß SPD-Parteivorsitzender Brandt Außenminister wurde und der „Eierkopf“ der Sozialdemokraten, der Universitätsprofessor Schiller, das Wirtschaftsministerium übernahm. In den Jahren der „großen Koalition“ war und ist es das erklärte Ziel der SPD, sich alleinregierungsfähig zu machen. So versuchte die Partei, ihre Eierschalen als Klassenkampfpartei abzustreifen und zu einer Gemeinschaft der rosaroten linken Mitte zu werden. Professoren, wie Schiller, und Großbürger, wie Heinemann, wurden Kabinettsmitglieder, SPD-Regierungen in den Bundesländern prügelten die linken APO-Studenten und SPD-Gewerkschafter machten sich für den Schutz des Privateigentums stark. Doch der Wahlkampf reißt mit aller Deutlichkeit die verkleisterten Wunden auf, schärft die Konturen und schafft Klarheit über den Zustand der deutschen Großparteien. Die CDU/CSU hat offensichtlich ihre Krisen im Inneren der Partei nicht überwunden. Der Gegensatz zwischen Kiesinger und Strauß ist ebenso offensichtlich wie ein schwelendes Generationenproblem der Garnitur, die unter Adenauer und Erhard groß geworden war und einer nachdrängenden Technokraten-

fronde. Zeigt die SPD glaubhaft ein neues ideologisches Image in ihrer Abkehr von Marx und eine Hinwendung zu Bernstein und Lassalle, so kämpft die CDU um ihr „hohes C“ gegen linke Christen und sogar Teile der Hierarchie. Schließlich ist die Disziplin in der Christenunion nur noch eine getünchte Fassade: die nackte Interessenspartei, in der brutale Kämpfe von Cliquen, Machtgruppen und Einzelpersonen aus-

gefochten werden, zeigt ihre bloßen Zähne.

Und so meinen viele Kenner der Interna der CDU, daß die größte Partei der Bundesrepublik getrost einige Jahre der Regeneration brauchen könnte, die ihr wieder innere Sicherheit und Besinnung auf ihre grundsätzlichen Aufgaben geben könnten. Doch der Abschied von der Macht schmeckt eben bitter. Die drei Jahre großer Koalition haben die Deutschen zwar wieder aus dem Wirtschaftstief herauskatapultiert, aber die außenpolitische Position nicht erweitert oder verbessert. Von einem „neuen Geist“ kann keine Rede sein:

• Bonn unterzeichnete den Atomsperrvertrag nicht, für den sich Willy Brandt so stark gemacht hatte;

• und Bonn wertete auch nicht die D-Mark auf, die Wirtschaftsminister Schiller nach zwei Kehrtwendungen so wünschenswert erschienen war.

• Auch der Minister für gesamtdeutsche Fragen Herbert Wehner erlitt Schiffbruch in seinem Bestreben, mit Pankow doch noch ein Gespräch zu führen.

Die Niederlagen der CDU in dieser Koalition wiegen nicht weniger

schwer:

• In Berlin wählte die Bundes-versatmimlunig nicht den Christdemokraten Schröder zum Bundespräsidenten, sondern den Sozialdemokraten Heinemann, der noch dazu ein CDU-Renegat ist;

• mit der Affäre Gerstenmaier rutschte die geSamte Partei in die Nähe des stillschweigenden Amtsmißbrauches und konnte sich nur in letzter Sekunde mit einem blauen Auge aus dem Ring retten.

Die Abrechnung am Rhein hat solcherart bereits begonnen. Man ergeht sich in Wahlversammlungen in Angriffen auf den Koalitionspartner und versucht, sich deutlich „abzugrenzen“, Man sucht nach Profilen, die man bei den gemeinsamen Beschlüssen im Kabinett verloren haben könnte und nützt sogar so spektakuläre Möglichkeiten wie die Auf-wertungsproblernatik der D-Mark. Und man betätigt die Dreckschleuder. So formiert sich im (geduldeten) Schatten der SPD eine linke Front, die aus den Untiefen der deutschen Vergangenheit ebenso Munition formt wie aus dem Dunstkreis der politischen Intimsphäre. Hier leistet der „Spiegel“ ebensolche Lieferantendienste wie eine Beate Klarsfeld, die dem Nationalsozialismus durch eine Ohrfeige gegen den Bundeskanzler einen Streich versetzen will. Bleibt noch die APO, deren Heimat immer mehr die Anarchie neben der Clownerie wird und deren Beiträge zum deutschen Wahlkampf sicherlich spektakulär sein werden. Und rechtsaußen trommelt sich eine stramme NPD zum Häuflein der 5 Prozent zusammen, deren Erreichung Bundestagssitze verspricht. Was bleibt, ist die Ungewißheit über die Zeit nach dem 28. September. Meinungsumfragen ergeben keine klare Mehrheit irgendeiner Partei, und die eventuell einziehende NPD ist für keine der drei Bundestagsfraktionen koalitionsfähig. So ist es auch unerheblich, wenn 46 Prozent der bequemen Stimmbürger die Koalition erhalten wollen, während nur 6 Prozent das Team zerstören wollen. Denn drei Jahre im Gespann Kiesinger/Brandt haben die große Koalition kompromittiert.

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