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Acht Jahre im Wartesaal
„Die Bemühungen haben sich gelohnt“, erklärte stolz der ÖVP-Pressedienst am Ende des vergangenen Jahres, anläßlich der achtjährigen Verhandlungsdauer zwischen Österreich und der EWG. Wie genügsam Wien inzwischen in Sachen EWG geworden ist, zeigte sich in den Äußerungen der Regierungspartei, die das Jahr 1969 geradezu als Erfolgsjahr in Blickrichtung Brüssel gefeiert hat. Die Tatsache, daß in diesem Jahr EWG-Präsident Jean Rey sich in Wien über ein Arrangement Österreichs mit dem Gemeinsamen Markt positiv geäußert hat, sowie der Widerruf des Vetos, das von Italien wegen der seinerzeitigen Krise in Südtirol ausgesprochen worden war, hatte zu dieser Euphorie geführt.
„Die Bemühungen haben sich gelohnt“, erklärte stolz der ÖVP-Pressedienst am Ende des vergangenen Jahres, anläßlich der achtjährigen Verhandlungsdauer zwischen Österreich und der EWG. Wie genügsam Wien inzwischen in Sachen EWG geworden ist, zeigte sich in den Äußerungen der Regierungspartei, die das Jahr 1969 geradezu als Erfolgsjahr in Blickrichtung Brüssel gefeiert hat. Die Tatsache, daß in diesem Jahr EWG-Präsident Jean Rey sich in Wien über ein Arrangement Österreichs mit dem Gemeinsamen Markt positiv geäußert hat, sowie der Widerruf des Vetos, das von Italien wegen der seinerzeitigen Krise in Südtirol ausgesprochen worden war, hatte zu dieser Euphorie geführt.
Obwohl es in Österreich für die EWG-Verhandlungen ein ganzes Ministerkomitee, bestehend aus Bundeskanzler Dr. Klaus, Außenminister Dr. Waldheim, Handelsmind-ster Mitterer und Landwirtschafts-minister Dipl.-Ing. Schleinzer, gibt, zeigte es sich gerade im abgelaufenen Jahr, daß der zuletzt ziemlich temperamentvoll agierende Doktor Waldheim auch in der EWG-Frage zum führenden Exponenten des Kabinetts Klaus IV geworden ist.
• So harte Dr. Waldheim im Februar 1969 bei seinem offiziellen Besuch in Paris sehr deutlich seinen französischen Kollegen auf die dringende Notwendigkeit eines Arrangements mit der EWG hingewiesen,
• so war er es, der den EWG-Präsidenten Rey in Wien festzunageln versuchte,
• und schließlich war Waldheim auch in New York bei den sechs EWG-Außeraministern anläßlich der UNO-Generalversammlung im September und Oktober 1969 in Sachen Gemeinsamer Markt initiativ geworden.
Wohl auch aus diesem starken persönlichen Engagement erklärt sich die Allergie des Außenministers gegenüber den sozialistischen und freiheitlichen Angriffen anläßlich der Südtiroldebatte im Parlament im Dezember des vergangenen Jahres. Die damals recht EWG-feindlich anmutenden und an die frühen sechziger Jahre erinnernden sozialisti-
schen Behauptungen, man habe Südtirol für ein Arrangement mit der EWG verkauft, wurden übrigens auch in Brüssel mehr verwundert denn verärgert zur Kenntnis genommen. In den letzten Wahlkampfwochen jedenfalls zeigte es sich, daß man damals wohl mehr ein Argument gegen den Erfolg der Regierungspartei in Sachen Südtirol benötigte, als daß es sich tatsächlich um ernste Bedenken in Sachen EWG gehandelt hätte.
DM-Aufwertung nicht verwunden
Wahrscheinlich ist die DM-Aufwertung im vergangenen Jahr, die man als Beweis für die wirtschaftliche Stärke der benachbarten Deutschen Bundesrepubik ansah, schuld daran, daß nun selbst in Wahlkampfzeiten einheitlich bei allen drei im Parlament vertretenen Parteien ein Pro für ein Arrangement mit dem Gemeinsamen Markt zu hören ist. Hofft man doch, daß auch Österreich, sobald es sich mit den Sechs arrangiert hat, ein ähnliches wirtschaftliches Wachstum wie die Bundesrepublik erreichen könnte. Fest steht nämlich, daß Österreich, trotz sehr günstiger Handelsbilanz mit den übrigen EFTA-Staaten, von sämtlichen der zweiten wirtschaftlichen Gemeinschaft angehörenden Ländern am meisten mit der Diskriminierung durch die Zölle der EWG-Staaten zu kämpfen hat. Angesichts eines solchen, nunmehr wieder nähergerückten und mög-
lichen, handelspolitischen Arrangements zwischen unserer Alpenrepublik und den seit 1957 zusammengeschlossenen Ländern der EWG übersah man gerne jene Schwächen, die es innerhalb des Gemeinsamen Marktes noch immer gibt, oder man überhörte die warnenden Stimmen, die sich aus der Brüsseler EWG-Zentrale erhoben.
Im Dezemberbericht über die Wirtschaftslage der Gemeinschaft und in einem Ausblick auf das Jahr 1970 meinten nämlich Rey und seine Mannen, die Entwicklung habe sich seit der ersten Warnung der Brüsseler Zentrale im vergangenen Juli, als man über starke Inflations-tenidenzen Besorgnis zeigte, noch ge-
fährlich beschleunigt. Während der letzten Monate sind nämlich in den meisten Ländern wegen der starken Nachfrage die Preise gestiegen. Aus Brüssel heißt es dazu: „Die Nachfrage steigt, während die Kapazitätsreserven zunehmend schrumpfen und die Knappheit der Arbeits-
kräfte in den Ländern des Gemeinsamen Marktes noch nie erreichte Ausmaße angenommen hat.“ Die Aufwertung der D-Mark hatte nämlich, wie sich jetzt zeigt, nicht jene bremsende Wirkung auf die steigende Nachfrage, die sich Brandt und Schiller offensichtlich von ihrer bisher einzigen wirklich großen Tat seit der Übernahme der Regierung durch SPD und FPD erwartet haben. So rät die Kommission schon heute der Bundesrepublik zu weiteren restriktiven Maßnahmen, ohne allerdings klar von einer neuerlichen DM-Aufwertung zu sprechen.
Überschüsse der Landwirtschaft
So betrachten es daher auch Kenner der europäischen wirtschaftlichen Situation keineswegs als Unglück, daß Österreich das Arrangement mit der EWG bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zustande gebracht hat und sich weiter im Verhandlungsstadium befindet. Denn die Gemeinschaft der Sechs präsentiert sich zur Zeit in weiten Teilen ihres Aufgabenberei-
ches eher als Konglomerat verschiedenartiger nationaler Interessen. SO erfreulich die Tatsache ist, daß zweifellos eine Besserung in der Ver-handlungsposition Österreichs einge-
treten ist, so muß immerhin auch bedacht werden, daß der österreichischen Landwirtschaft, um nur ein wirtschaftliches Teilgebiet zu nennen, aus einem Arrangement mit der EWG neue Probleme erwachsen könnten, denn
• 5 Millionen Tonnen Getreide,
• 384.000 Tonnen Magermilchpulver,
• 427.000 Kilogramm Butter
• und schließlich 1,2 Millionen Tonnen Zucker warten in den Lagerhäusern des Gemeinsamen Marktes, ohne daß derzeit dafür eine Absatzmöglichkeit bestünde.
Trotz dieser Probleme, die in der Sechsergemeinschaft nach wie vor bestehen und die sich oft auch in großen Preisunterschieden bei anderen Warengruppen innerhalb der EWG zeigen, dürften pessimistische Stimmungen wie im Sommer des vergangenen Jahres, als man von einem Zerfall der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sprach, überwunden sein. Dazu hat zweifellos die konziliante Haltung Frankreichs ebenso beigetragen wie die Zurückziehung des Österreichvetos durch Italien.
Da man in Brüssel nie ein Geheimnis daraus gemacht hat, daß Österreich nur dann Chancen hätte, wirklich zu einem handelspolitischen Übereinkommen mit dem Gemeinsamen Markt zu kommen, wenn auch die Frage des Verhältnisses zu Großbritannien geklärt ist, dürfte es aber, so kann man jetzt schon feststellen, noch gute zwei Jahre dauern, bis Österreich eine engere wirtschaftliche Bindung mit den sechs europäischen Staaten der EWG eingehen kann. Es zeigt sich daher schon jetzt, wie wichtig es ist, daß man auf der einen Seite aus der EFTA alle nur möglichen Vorteile herausholt und anderseits auch nichts unversucht läßt, um wenigstens die ärgsten Zolldiskriminierungen schon vor einem endgültigen Arrangement mit der EWG zu beseitigen.
Angesichts solcher Tatsachen meinen daher Wirtschaftsfachleute schon heute, der neue Außenminister, der Österreich bei den Verhandlungen vertreten wird, wer immer es nach der Wahl auch sein mag, werde sich intensiv mit.Brüssel und allem, was dort geschieht, befassen müssen.
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