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Adenauers europäische Politik

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Die durch den Außenministerrat am 31. März an die Bundesrepublik Deutschland ergangene Einladung, als assoziiertes Mitglied an den Arbeiten des Europarates teilzunehmen, öffnet nicht nur den Weg zu einer vollständigen Eingliederung Westdeutschlands in Europa, sondern leitet naturgemäß auch einen neuen Abschnitt der alliierten Besatzungspolitik ein.

Von der totalen Kapitulation 1945 über das Bonner Grundgesetz bis zum Peters-berger Abkommen sind Jahre verstrichen, welche die gesamte politische Struktur der Welt weitgehend verändert haben. Die Zweiteilung der Erde wurde mehr oder weniger bestätigt, . die Einflußsphären schärfer abgegrenzt, und wer die Hoffnung auf einen umfassenden Frieden nach der letzten Konferenz der Großen Vier in Paris aussprechen durfte, mußte seine Erwartungen bitter enttäuscht sehen. Die politische und wirtschaftliche Gefahr, in der Westeuropa ständig lebt, zwang die Staaten — ob sie es wollten oder nicht — zu einer Reihe von Maßnahmen und Abkommen politischer, ökonomischer und militärischer Natur, um ein Mindestmaß von Zusammenarbeit zu sichern. Aber darüber hinaus mußten sich die leitenden Kreise in London, Paris oder Brüssel Rechenschaft ablegen, daß nur eine sehr enge politische Bindung die westliche, demokratische Form des Lebens retten könne.

Der Europarat, aus einer privaten Initiative des Kongresses im Haag 1948 entstanden, durch wiederholte englische Reserven vorläufig in die Rolle einer Konsultativversammlung gedrängt, war außerdem nur eine Zwischenlösung, solange große Völker, wie das deutsche und das spanische, wichtige Schlüsselpositionen wie Österreich, außerhalb der Organisation blieben. Das österreichische Außenministerium lehnte strikt jede Teilnahme an der Straßburger Versammlung ab, obwohl von verschiedensten Seiten mehrfach offiziöse Angebote gemacht wurden. Es muß bedauernd festgestellt werden, daß diese Politik in der westlichen Welt vielfach nicht verstanden und falsch interpretiert wird. An Spanien und Portugal konnte vorläufig keine Einladung gerichtet werden, da die Regime dieser Staaten den Prinzipien und Statuten des Europarates nicht entsprechen. Dagegen war es von vornherein klar, daß auf alle Fälle Versuche unternommen werden mußten, um die Bundesrepublik Deutschland in die neue europäische Struktur einzubauen, und Churchill hat bereits auf der ersten Tagung des Europarates diese Frage auf die Tagesordnung gesetzt.

Eine diesbezügliche Politik wurde durch die Wahlen im August 1949 in Deutschland erleichtert. Wider alle Erwartungen hatte nicht die Sozialdemokratische Partei mit ihrem doktrinären Chef Schumacher, sondern der christliche Demokrat Adenauer mit seiner Partei, der CDU, die Mehrheit davongetragen. Eine schwache Mehrheit gewiß, aber sie gestattete doch eine Regierungbildüng und, da nach der derzeitigen Verfassung die Regierung nicht den Zufälligkeiten einer bloßen Parlamentsabstimmung ausgesetzt ist, auch iein Regieren auf weitere Sicht.

Ohne Zweifel kann Adenauer als wahrer Europäer angesprochen werden, der bereits 1922 bis 1924 eine deutsch-französische Verständigung predigte und zahlreiche Verbindungen mit dem westlichen Nachbar unterhielt. Seine erste außenpolitische Erklärung- im Jänner 1948 vor der Vereinigung der christlich-demokratischen Volksparteien (NEI) in Luxemburg war bereits von der Überzeugung getragen, daß nur eine besonders enge Verbindung der europäischen Schwerindustrie, wechselseitige Investierungen und eine Liberalisierung des Außenhandels zu einer Verflechtung der Interessen und damit zu einer staatsrechtlich engeren Bindung in Europa führen würde. Auch am Europakongreß in den Haag führte Adenauer diese Ideen in kleinem Kreis weiter aus, und er versuchte schließlich durch verschiedene Vorschläge nach den deutschen Wahlen 1949, seine Gedanken zu konkretisieren und der öffentlichen Meinung Europas bekanntzumachen. Für Deutschland ist die Frage ausländischer Kapitalien und Investierungen eine Lebensnotwendigkeit, die Erweiterung der internationalen Ruhrkontrolle auf das belgisch-luxemburgisch-französische Industriegebiet eine Frage von höchster politischer Bedeutung, die den nationalen Strömungen wie den ständigen Angriffen der Sozialdemokratie die Spitze abbrechen soll.

Natürlich konnte der Kanzler, der weder direkt mit den auswärtigen Mächten verkehren kann noch auch eigene Konsulate und Gesandtschaften im Ausland unter hält, nur mit sehr ungenügenden Hilfs mittein seine europäische Politik verfolgen. Dazu kommt noch, daß der überwiegende Großteil der Weltpresse in liberalen oder sonstigen, einem christlichen Kanzler nicht gewogenen Händen liegt und jede Äußerung Adenauers wissentlich verdreht, verkehrt oder mindestens sehr nuanciert wiedergegeben wird.

Die europäische Politik des Kanzlers leidet weiter sehr unter der Tatsache, daß die Bonner Kreise nur ungenügend über die Vorgänge im Ausland beziehungsweise die psychologische Einstellung der anderen Völker unterrichtet sind. So werden Erklärungen abgegeben und dementiert, Vorschläge von höchster politischer Bedeutung für die Zukunft des Abendlandes ohne entsprechende diplomatische Vorbereitung, ohne das dafür unbedingt erforderliche Klima, abgegeben.

Natürlich kann nicht übersehen werden, daß die übrigen Kabinette die Aufgabe Adenauers nicht nur nicht unterstützen, sondern durch eine oft sehr kleinliche und starre Haltung die schwachen Keime einer europäischen Zusammenarbeit ersticken. Man begnügt sich, die Erklärungen des deutschen Kanzlers zu registrieren, zu kommentieren und zu negieren, ohne die kleinsten Zugeständnisse zu machen. Es ist, als ob sich das Spiel wiederholen soll: man verweigerte alles der Weimarer Republik, um -es später um so bereitwilliger dem nationalsozialistischen Diktator zu gewähren.

Dabei muß sich jeder europäische Staatsmann heute klar sein, daß die europäische Solidarität einer historischen Notwendigkeit entspricht. Ressentiments oder egoistische Erwägungen allein würden den latenten Zustand der Unsicherheit in einen solchen eines ausweglosen Chaos verwandeln. Und wie könnte einer künftigen deutschen Aggression besser ausgewichen werden als durch die Schaffung eines europäischen Bundesstaates, in dem Deutschland wohl ein sehr wichtiges Glied, aber nicht der allein ausschlaggebende Faktor sein würde? Erst eine restlose Verknüpfung auf allen Gebieten kann zu einem Austausch in kultureller und Wirtschaftlicher Hinsicht führen, um die Schaffung eines europäischen Gemeinschaftsgefühls zu erleichtern.

Unter diesem Gesichtspunkt mag auch der Vorschlag Adenauers nach einer französisch-deutschen Union verstanden werden, wenngleich die Aufrollung der Saarfrage sicherlich die Bereitwilligkeit Bonns unterstrichen hat, zu einem restlosen und endgültigen Ausgleich mit Frankreich zu kommen, in dem die Saarfrage einer natürlichen Lösung zugeführt werden kann.

Der Abschluß der Saarkonvention vom Jänner 1950, die auf alle Fälle nur provisorischen Charakter trägt, wurde in Deutschland als Bestätigung der restlosen Abtretung der Saar gewertet. Die französischen politischen Kreise weisen jedoch darauf hin, daß nur ein von allen Alliierten sanktionierter Zustand rechtlich abgeklärt worden sei. Die nationaldeutschen Gruppen, besonders auch die Opposition Schumachers, benützten diese Gelegenheit, um scharfe Kritik an der französischen Haltung zu üben, die Außenpolitik Adenauers zu verurteilen und die negative Haltung gegen die Straßburger Institution zu verschärfen.

Aus diesen Erwägungen heraus gab es hinter den Kulissen lange Diskussionen, ob der Rat der Außenminister es wagen könne, Deutschland einzuladen, am Europarat teilzunehmen, und ob letzteres auchannehBaenwerde. Eine Weigerung Deutschlands nach ergangener Einladung würde das ohnehin schon schwache Prestige der Straßburger Versammlung restlos vernichten. Die im deutschen Bundestag dafür erforderliche Mehrheit ist sicherlich sehr schwach, obwohl die kleineren Parteien, wie Zentrum und Bayernpartei, sich allem Anschein nach in dieser Frage der Regierung anschließen werden.

Adenauer hoffte weiter, durch eine Art Schock die Opposition zu vermindern, indem er drei Wünsche formulierte, um für Deutschland im Europarat eine günstige Ausgangsstellung zu schaffen. Die Bundesrepublik, nicht im Besitz der vollen Souveränität, kann keinen Sitz im Rat der Außenminister beanspruchen. Der Kanzler erwartete jedoch, in diesem Gremium einen Beobachterposten zu erhalten, der im Laufe der Zeit dem Charakter der anderen Mitglieder des Rates angeglichen werden könnte. Durch eine der unerklärlichen Indiskretionen, an denen die Bonner Atmosphäre so reich ist, konnte bereits am nächsten Tag die Öffentlichkeit davon Kenntnis erhalten, und das französische Außenministerium war gezwungen, in einem Dementi sich von den diesbezüglichen, günstig verlaufenden offiziösen Gesprächen zu distanzieren. Die Stellung Adenauers wird durch diesen neuerlichen Vorfall bestimmt nicht gestärkt werden, obzwar die von ihm inaugurierte europäische Politik die breiteste Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit verdiente.

Schon zeichnet sich eine neue Politik des östlichen Machtblockes um Berlin ab. Man spricht von einer Pfingstkrise. Die Bonner Regierung blickt mit großer Unruhe auf die neue Entwicklung im Osten. Die Verstärkung der Ostpolizei, die militante Erfassung der Jugend lassen sich in Zusammenhang bringen mit der in Vorbereitung oder teilweise schon ausgelösten Generaloffensive der Kominform.

Die Einheit Deutschlands oder allgemeine Wahlen können nur noch von Utopisten des Nauheimer Kreises als realisierbar angesehen werden. Obwohl der Eintritt der Bundesrepublik in die Straßburger Versammlung die Trennung Deutschlands auf lange Sicht hin besiegelt, muß Adenauers Politik doch als folgerichtig angesehen werden, mögen auch die einzelnen Etappen eher der jeweiligen Lage entspringen.

Es gibt keine deutsche, keine französische Lösung des Problems, sondern nur eine europäische. Entweder verwandelt sich der Straßburger Rat tatsächlich in einen übernationalen Organismus, wird die OECE in den Apparat eingebaut und erhält die Befugnisse eines obersten europäischen Wirtschaftsrates oder die 25. Stunde Europas, um ein Wort des Schriftstellers Ghiorgiu zu gebrauchen; hat geschlagen, wo keine noch so gutgemeinten Marshall-Pläne oder Antlantik-pakte Europa helfen werden.

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