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Adenauers gefährliches Nein

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Einige Wochen lang schien die weltpolitische Entwicklung alle pessimistischen oder auch nur besorgten Voraussagen über kommende Schwierigkeiten der Deutschen Bundesrepublik Lügen zu strafen. Adenauer hatte in den USA einen über alle Erwartungen großen Erfolg. Er fand ein gutes Verhältnis zu Kennedy. Kennedy gab Erklärungen zur deutschen Frage ab, die präziser und fester waren als alles, was Eisenhower je gesagt hatte. Chruschtschows Tonart wurde um einige Nuancen sanfter, wenn er auch sachlich an seinen Forderungen festhielt. Bei den Beratungen der NATO in Oslo machten die Amerikaner konkrete Vorschläge für die Verteidigung Berlins. Die Garantie für die Stadt wurde ausdrücklich erneuert. In Bonn war man beinahe ein wenig erschrocken. Die Amerikaner werden doch nicht ausgerechnet an dem Streit um Berlin einen Krieg entbrennen lassen? Die Kuba- und die Laoskrise fülarte zu eiaanttoj nachdrücklichen Verschlechterung der amerikanisch- ‘ sowjetischen Beziehungen daß die’ andere Gefahr, die Amerikaner könnten aus lauter Lust an Entspannung und friedlicher Koexistenz Chruschtschows Deutschlandpläne annehmen, auf unabsehbare Zeit vertagt schien. Nun hat sich das über Nacht geändert. Die Ankündigung eines Treffens zwischen den beiden führenden Staatsmännern der kommunistischen und der freien Welt hat wie eine Bombe eingeschlagen. Man bringt sie nicht nur mit der verfahrenen Lage in Laos und mit den übrigen Streitfragen in den außereuropäischen Erdteilen in Zusammenhang, sondern auch mit der deutschen Frage. Es verdichtet sich das Gerücht, daß innerhalb der nächsten vier Wochen eine neue Krise um Berlin ausbrechen werde. Man nimmt an, daß Kennedy Vorbeugen will. Man fürchtet plötzlich wieder, daß er nachgeben könnte. Man fragt sich, wie solch eine Entscheidung den deutschen Bundestagswahlkampf beeinflussen würde. Und einsichtige, weiterblickende, auf die Sprachregelung des Gesamtdeutschen Ministeriums und des Komitees „Unteilbares Deutschland“ nicht eingeschworene Leute fragen sich vor allem, wie Adenauer von seiner schmalen — für eine gewichtige außenpolitische Entscheidung zu schmalen — Basis aus eine weitgehende Revision der verschiedenen Thesen und Doktrinen der Bundesrepublik durchziehen wolle. Auf einmal sind alle Probleme wieder da und auf einmal haben die Kas- sandras wieder recht.

Irgendwo sind immer Wahlen

Der deutsche Botschafter Kroll hat den sowjetischen Regierungschef, mit dem er meist in einem durchaus freundschaftlichen und leichten Ton verkehrt, über den Tisch hinweg gefragt, ob eine Erörterung so schwieriger Fragen, wie es die russischen Deutschlandpläne seien, inmitten eines Wahlkampfes nicht allzu stark von Gefühlsmomenten und opportunistischen Erwägungen belastet wäre. Chruschtschow soll geantwortet haben, irgendwo seien immer Wahlen, und man könne nicht dauernd auf diese innerpolitischen Momente Rücksicht nehmen. Er hat leicht reden. Er hat aber vor allem keinen Grund, die deutschen Parteien zu schonen. Viel

leicht denkt er bei sich, daß eine Schlappe der CDU bei den Bundestagswahlen eine ganz angenehme Zuwaage zu einem außerpolitischen Erfolg in der Berlin-Frage wäre. Die Andeutung, es sei mitten im Wahlkampf doch schwieriger als nach der Wahl, außenpolitische Zugeständnisse zu machen, scheint er geflissentlich überhört zu haben. Man darf also nicht mit einer Schonzeit rechnen. Das Wiener Gespräch Kennedys mit Chruschtschow soll nach offizieller Lesart nur dem Kennenlernen dienen. Die Leitmotive späterer politischer Verhandlungen werden aber angeschlagen werden. Chruschtschow wird über den Friedensvertrag, er wird über Berlin, er wird über die Anerkennung der „DDR" als Staat sprechen. Die letzten Ereignisse auf internationaler Ebene sind nicht darnach angetan, von Kennedy eine besonders starre Haltung erwarten zu lassen. Mit einem glatten Nein wird er Chruschtschow rmicht abfertigen können, besonders dann nicht, wenn der Russe das amerikanische Entgegenkommen in der deutschen Frage als Preis für sein Stillhalten in den inneramerikanischen, genauer gesagt, in den kubanischen Auseinandersetzungen fordern sollte.

Es hat in der deutschen Öffentlichkeit einiges Erstaunen und auch innerhalb der CDU ein unverkennbares Unbehagen erregt, daß es der Bundeskanzler angesichts dieser Gefahren für richtig hielt, die recht deutlichen Koalitionsangebote der SPD mit einem totalen, schlechthin undiskutablen Nein zu verabschieden. Nicht Brandt, der „Kanzlerkandidat“ der SPD, der in der Partei selbst keinen großen Ein

fluß hat, sondern Herbert Wehner, der die SPD wirklich führt und auch den Kopf und die starke Hand hat, sie zu führen, hat dem Kanzler am Vorabend des Parteitages der CDU den Ball zugespielt. Er hat unumwunden von der Bereitschaft der SPD zur Zusammenarbeit im Rahmen einer großen Koalition gesprochen. Die Antwort des Kanzlers war geradezu grob. Er stellte den Kurswechsel und die Programmrevision der SPD als nackten Betrug hin. Er bezeichnete die große Oppositionspartei als unglaubwürdig. Er lehnte jede Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Regierung mit der SPD ab. „Niemals“, sagte er — ausdrücklich: niemals! —, werde die CDU eine Koalition mit der SPD eingehen. Er wiederholte diese Erklärung in verschiedenen, bereits auf den Ton des Wahlkampfes gestimmten Reden und griff auf seine 1957 so wirksame Erklärung zurück, eine SPD-Regierung würde den Untergang Deutschlands be- dettt9n..,;tBtaMt. hat qiifh:

naßh ,,4em ,., -CDUrPatt.eifi g ,.np ;h 4 von der .Koalitionsbereitschaft seiner- Partei gesprochen, und erst als Adenauer weiter auf die SPD loshämmerte, raffte er sich zu der Bemerkung auf, die Union brauche die Koalition nicht abzulehnen, sie sei ihr ja noch nicht angeboten worden. Der SPD bleibt nicht viel anderes übrig, als auf einen Wetterumschlag im Sommer zu hoffen, der ihre Chancen verbessert oder wenigstens die Adenauers verschlechtert. Erst wenn der Wahlausgang die CDU CSU in eine arithmetisch ungünstige Situation bringen sollte, wäre eine Revision der Adenauer- These möglich.

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