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Ahnen sind schwierige Leute

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GESCHICHTE EINER ZEITUNG. Das Schicksal der „Presse" und der „Neuen Freien Presse“ von 1848 zur Zweiten Republik. Von Adam Wapdruszka. Neue Wiener Presse Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H. 170 Seiten

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GESCHICHTE EINER ZEITUNG. Das Schicksal der „Presse" und der „Neuen Freien Presse“ von 1848 zur Zweiten Republik. Von Adam Wapdruszka. Neue Wiener Presse Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H. 170 Seiten

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Adam Wandruszka hat der Zeitung, deren Redaktionsstab er durch bald ein Jahrzehnt als erster außenpolitischer Redakteur angehörte, ein schönes Abschiedsgeschenk bereitet. Darüber hinaus ist das vorliegende Buch ein freundliches „Lebewohl“ eines zünftigen Historikers an die Adresse des Journalistenstandes überhaupt. Ein doppelter Abschied? Es war seit Jahren offenkundig, daß die alte Neigung Wandruszkas zur akademischen Laufbahn sich eines Tages als stärker erweisen würde als alle Verführungskünste, denen sich jeder aussetzt, der mit der Schwarzen Kunst des Journalismus einmal in Berührung gekommen ist. Dem gegenwärtigen Lehrauftrag m Köln dürfte eine Berufung des Wiener Dozenten für neuere Geschichte an diese Hochschule folgen.

Als Wandruszka an das Konzept des vorliegenden Buches schritt, war er noch aktiver Redakteur der „Presse“. Als solcher schrieb er die Geschichte „seines" Blattes. Das hat den Vorteil intimer Milieukenntnis, das setzt freilich auch der kritischen historischen Wertung gewisse Grenzen.

Jeder Mensch, der diesen Namen zu Recht verdient, wird bemüht sein, das Bild seiner Mutter in lichten Farben zu malen und auf das Festhalten der einen oder anderen Runzel großzügig verzichten. Jeder Journalist, der diesen Namen in Ehren trägt, wird es nicht anders halten, wenn von „dem Blatt“, von seinem Blatt, die Rede ist. Dennoch soll gleich hier angemerkt werden: bei allem Wohlwollen, das die Entwicklung des komplexen Unternehmens in jeder seiner historischen Phase vom Verfasser in gleicher Weise erfährt, wird der Versuchung zum Panegyrikus tapfer Widerstand geleistet.

Der Kritiker, der, bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber der heutigen „Presse“ und langjähriger Weggenossenschaft mit manchem ihrer Repräsentanten, diese mentalen Bindungen nicht hat, ist freilich versucht, die einzelnen Etappen in der Geschichte der „Presse-“ und der „Neuen Freien Presse“ mit verschiedenen Vorzeichen zu versehen. Die „Presse“ im Völkerfrühling 1848 war etwas anderes als jenes nach der Sezession ihrer Redakteure als „Neue Freie Presse" ohne Zweifel zu Weltformat aufsteigende Blatt, in dem sich politischer Liberalismus, wirtschaftliches Manchestertum und kämpferischer weltanschaulicher Freisinn tagtäglich ein Rendezvous gaben. Wenn der Verfasser bemüht' ist, das Pauschalurteil sozialer Rückständigkeit und politischer Blindheit gegenüber den legitimen Anrechten breiter Schichten der Bevölkerung von dem Namen der „Neuen Freien Presse“ abzuwenden, so ist das sein gutes Recht. Auf der anderen Seite aber steht bekanntlich — jederzeit mit konkreten Beispielen zu belegen — der erbarmungslose Kampf gegen den Führer der jungen christlichsozialen Volksbewegung, Lueger, in dem beinahe skurrile „Endzeitvisionen“ für den Fall seiner Wahl zum Bürgermeister von Wien ausgemalt wurden und der in dem, ach, so wenig liberalen Appell an den Kaiser gipfelte, dem von der Bürgerschaft in freier, geheimer Wahl gewählten Mann die Bestätigung zu verweigern. Und als die Arbeiterkolonnen der jungen sozialistischen Bewegung in den Prater zogen, war es ebenfalls die „Neue Freie Presse“, die mit ihren Aufforderungen, sich mit Lebensmitteln einzudecken und die Haustore wohl zu schließen, das Wiener Bürgertum in die Panik eines Belagerungszustandes versetzte. Und erst der zähe Kampf gegen das allgemeine Wahlrecht! Nein: die „Neue Freie Presse“ vor und nach 1900 hatte wenig gemein mit jener „Presse“ des Jahres 1848, auf deren Kopf die Worte „Gleiches Recht für alle“ standen. Der Kampf gegen sie war nicht allein ein stilkritischer (Karl Kraus).

Genau so wenig gemein hatte sie auch mit jener neuen „Presse“, die 1946 sich an die Bürger der Zweiten Republik wandte. Dr. Ernst Molden wußte schon, was er tat, wenn er den alten Titel „Die Presse“ für sein Blatt wählte. Der Charakter einer Neu- statt einer Wiedergründung wurde so deutlich unterstrichen. Zugleich ertönte der Ruf: „Ad fontesi“ Zurück zu den Quellen einer wirklichen freien Publizistik ohne „freisinnigen" Bei- und Nachgeschmack. Der von dem Verfasser mit voller Be-! rechtigung als praktizierender Katholik vorgestellte, viel zu früh verstorbene Gründer der „Presse“ zögerte nicht, der „Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten“ als Mitglied anzugehören und darüber hinaus an deren Arbeit aktiv und interessiert Anteil zu nehmen. Kann das noch dasselbe Blatt sein, von dem einst giftige Pfeile gegen alles, was sich im öffentlichen Leben als katholisch bekannte, abgeschossen wurden?

Es ist oft ein schwieriges Ding mit den Ahnen. Viele Menschen von Reputation legen Wert auf eine lange, möglichst lückenlose Kette von glänzenden Vorfahren. Warum sollte es eine Zeitung anders halten? Dennoch dünkt es den Rezensenten mitunter, besser zu sein, allein, auf die eigenen Beine gestellt, sich den widrigen Winden ėntgegenzu- .stemmen, als sich eine komplexe Tradition auf- ZulaSttn; -

Gerade weil die „Presse" eine Neugründung ist und keine Wiederbelebung der „Neuen Freien Presse“ darstellt, findet sie heute als Tageszeitung nicht zuletzt auch den Weg zur katholischen Intelligenz unserer Stadt und unseres Landes

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