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Akten aus dem Schwarzen See

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FRAGE: In Nummer 3011964 der „Furche“ gaben Sie, Herr Dozent, eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse zum 25. Juli 1934, dem Tag des nationalsozialistischen Putschversuches, dessen erstes Opfer Bundeskanzler Dr. Dollfuß war. Dieser Darstellung lagen alle bisher bekannten Quellen — mündliche wie schriftliche — zugrunde. Hat der Inhalt der Dokumente, deren Fund im Schwarzen See bei Eisenstein im Böhmerwald kürzlich vom tschechoslowakischen Innenminister Doktor Strougal bekanntgegeben wurde, eine wesentliche Verschiebung des Bildes, das die Forschung von jenen Stunden im Kanzleramt entworfen hat, mit sich gebracht? Sind Authentizität und Echtheit der vorgefundenen Berichte unbestritten?

ANTWORT: Schon der Erhaltungszustand der Dokumente, die immerhin fast zwei Jahrzehnte im Wasser gelegen sind, ist ein gewisser Beweis für die Echtheit. Darüber hinaus ist es jedoch möglich, an Hand der anderen Akten, die bereits im „österreichischen Institut für Zeitgeschichte“ ausgewertet wurden — die also gewissermaßen die Bausteine für den eben gefundenen Schlußbericht bilden —, die Authentizität des Aktenfundes zu bestätigen. Außerdem ist es uns aber noch gelungen, jenen Mann aufzuspüren, der damals, im Juni 1938, die Einvernahmen durchzuführen hatte.

FRAGE: In Ihrem zitierten Artikel werden als wichtige Quellen vor allem die Berichte der Hauptverantwortlichen des Juliputsches, Dr. Otto Gustav Wächter und Dr. Rudolf Weydenhammer, an die vom Reichsführer SS eingerichtete Untersuchung skommission genannt. Bieten die Schwarzseeakten eine Möglichkeit der Ergänzung?

ANTWORT: Der Aktenfund bietet uns die Zusammenfassung und zugleich die Bestätigung, daß wir auf dem richtigen Weg waren. Im einzelnen setzen sich die gefundenen Akten, die auf den 25. Juli 1934 bezug nehmen — und nur diese stehen mir zur Verfügung —, aus dem Bericht Reinhard Heydrichs an Heinrich Himmler über die Arbeit, der „Historischen Kommission des Reichsführers SS“ und dem eigentlichen Kommissionsbericht zusammen. Wichtigste Beilage des Heyd- rich-Berichtes war ein Verzeichnis der als Beweismittel beigelegten Akten. Wichtig deshalb, weil diese Akten — zum größten Teil aus US- Archiven — bereits von uns ausgewertet wurden.

FRAGE: Wer waren die Herausgeber des Kommissionsberichtes?

ANTWORT: Die Herausgeber des Berichtes waren SS-Gruppenführer Koppe und SS-Standartenführer Dr. Six.

FRAGE: Es ist bekannt, daß viele Österreicher, die an der Niederschlagung des Juliputsches beteiligt waren, Repressalien ausgesetzt oder — wie Staatsanwalt Dr. Tupy — im Konzentrationslager getötet wurden. Ist in jedem dieser Fälle der gefundene Bericht als Belastungsbeweis in Anwendung gebracht worden?

ANTWORT: Nein. Denn der Einlieferung ins Konzentrationslager ging ja nie ein gerichtliches Verfahren voraus. Allerdings sollte der Bericht als Grundlage für einen groß aufzuziehenden Staatsgerichtshof prozeß gegen Dr. Kurt Schuschnigg dienen, dem der Bruch seines den eingeschlossenen Putschisten gegebenen Wortes und damit die Schuld an der Hinrichtung der Verschwörer vorgeworfen wurde.

FRAGE: In Ihrem schon mehrmals zitierten Artikel deuteten Sie an, daß die Tendenz der Darstellung in eine ganz bestimmte Richtung zielt. Das bisher vorhandene Quellenmaterial ließ auf einen gewissen Gegensatz zwischen der SS und der — seit dem

30. Juni 1934 entmachteten — SA- Führung schließen. Gibt der jüngste Aktenfund darüber mehr Sicherheit?

ANTWORT: Deutlich feststellbar ist die Absicht des Berichtes, die Putschisten zu heroisieren, sie die Rolle der einsamen Eingeschlossenen spielen zu lassen, ein Thema also, das Himmler besonders schätzte. Außerdem aber schweigt der Bericht verschiedenes tot, so den Verrat der illegalen österreichischen SA-Führung und das „Umfallen“ des Putschisten Hudl. Die „innere Solidarität“ der Verschwörer soll keine häßlichen Sprünge aufweisen. Die Rangordnung innerhalb der Verschwörung erhält allerdings eine Verschiebung: So werden Dr. Wächter, Dr. Weydenhammer und Fridolin Glass, die bisher immer als „brain trust“ des Juliputsches gegolten haben, ziemlich knapp behandelt, viel stärker in den Vordergrund dagegen wird die Polizeigruppe Stein- häusl-Gotzmann gerückt. Nicht festzustellen ist im Bericht etwas von einer Verschwörung des Bundesheeres, das, wie Gerüchte immer noch wissen wollen, hinter den Putschisten gestanden sein soll.

FRAGE: Läßt der Bericht eine genaue Rekonstruktion des Attentates auf den Bundeskanzler zu? ,

ANTWORT: Das deutlich merkbare Bestreben nach Entlastung Otto Planettas, der den Schuß — den ersten Schuß — auf Dollfuß abgefeuert hat, läßt den Ablauf des eigentlichen Attentates weiterhin im Dunkel. Der Bericht unterstreicht freilich, daß es unmittelbar vor den Schüssen zu einer Kampfhandlung zwischen dem als Offizier verkleideten Planetta und Dollfuß gekommen sein muß. Der Schütze des zweiten Schusses auf den um Leben und Tod kämpfenden Kanzler bleibt weiterhin unbekannt. Emil Fey — von Ernst Rüdiger von Starhemberg schwerstens verdächtigt — war es jedenfalls nicht, der gefeuert hat. Die vielzitierte Aussage des Türhüters Hedvicek, des einzigen Augenzeugen der Ermordung des Kanzlers, verliert immer mehr an Quellenwert. Denn auch die SS-Kom mission konnte das Rätsel um den zweiten Schuß nicht klären. Die Leiche Dr. Dollfuß’ sollte sogar exhumiert werden, um die zweite Kugel zu finden.

FRAGE: Die allerersten Veröffentlichungen über die geheimnisvollen Kisten, die man in dem kleinen See gefunden hat, schienen die Geburt einer neuen Toplitzsee- Story einzuleiten. Wieder war viel von einem geheimnisvollen SS- Schatz die Rede, bis sich schließlich herausstellte, daß die verwitterten Kisten Dokumente bergen. Haben Sie, Herr Dozent, die anderen Dokumente ebenfalls zur Auswertung erhalten?

ANTWORT: Ich erfuhr von dem Fund durch eine Wiener Tageszeitung und versuchte sofort, über das Außenministerium Einsicht in die Akten zu erhalten. Ich muß überhaupt sagen, daß meine Forschung zum 25. Juli 1934 eigentlich eine Kette günstiger Zufälle bildet. Denn ich habe von noch lebenden Zeugen der Vorgänge um den Juliputsch eine ganze Reihe wertvoller Mitteilungen erhalten, die sich mit dem Fund vom Schwarzen See zu einem geschlossenen Ganzen runden. Der Inhalt der übrigen Kisten, der mit meinem Forschungsgebiet nichts zu tun hat, ist mir nicht bekannt. Deshalb kann ich auch nichts über die Tagebücher, die sich darunter befinden sollen, sagen.

FRAGE: Bildete die Bürokratie keinen unüberwindlichen papierenen Vorhang? Auch während der jüngsten „Stadtgespräche“ hörte man doch wenig Erfreuliches über die Bürokratie hüben und drüben?

ANTWORT: Ich spürte davon kaum etwas. Professor Snejdarek, der Leiter des Historischen Instituts der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften — Diskussionspartner aus den Fernseh- Stadtgesprächen —, hat sich für die Erlaubnis zur Akteneinsicht ebenso eingesetzt wie der Chefredakteur der amtlichen Nachrichtenagentur, Jan Zelenka, und deren stellvertretender (Generaldirektor,: Lubomir Fišer. Man teilte mir sogar eine wissenschaftliche Beamtin des Staatsarchivs, Frau Högerova, zu, die mir die Arbeit sehr erleichterte.

FRAGE: Ist daran gedacht, die Ergebnisse der Forschungen zum 25. Juli 1934 in zusammengefaßter Form der Öffentlichkeit zu übergeben, deren Interesse für die jüngste Vergangenheit — wie wir zahlreichen Leserzuschriften entnehmen konnten — recht groß ist?

ANTWORT: Ich habe die Absicht, den Aktenfund vom Schwarzen See als Band 3 der Veröffentlichungen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte herauszubringen.

FRAGE: Dazu ist es aber doch notwendig, über die Unterlagen verfügen zu können. Haben sich amtliche österreichische Stellen überhaupt bemüht, für Sie und Ihr Institut Photokopien des Aktenfundes zu sichern?

ANTWORT: Ich bin sowohl im Bundeskanzleramt als auch im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten auf großes Verständnis gestoßen. Wie mir von offizieller Seite mitgeteilt wurde, hat man auch bereits über unsere Gesandtschaft in Prag ein offizielles Ansuchen an die tschechischen Stellen gerichtet.

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