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Aktivist in der Tschechoslowakei

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„Der nazistischen Parole der Volksgemeinschaft stellen wir die sozialistische Parole der Schicksalsgemeinschaft der Arbeiterklasse aller Nationen entgegen, dem chauvinistischen Nationalismus die Parole der Völkerverständigung.“ Dieses Wort seines Helden hat der Biograph dem Buch vorangestellt — und er hätte die Problematik der sozialistischen Politik gar nicht besser zusammenfassen können. Die Völkerverständigung dem chauvinistischen Nationalismus entgegenstellen: ein edles Unternehmen! Der Volksgemeinschaft die Klassengemeinschaft entgegenstellen heißt einfach: an die Stelle einer „Freund-Feind-Stellung“ eine andere setzen... Doch auf diese Frage wollen wir noch zurückkommen; hier müssen wir dem österreichischen Leser erst einmal sagen, wer Ludwig Czech war und warum seine Lebensgeschichte lesenswert ist.

Minister Czech war ein deutscher Aktivist in der selbständigen Tschechoslowakei — und zwar ein sozialistischer Aktivist —, der — wie alle leitenden Männer der Republik — seine politische Ausbildung in der Monarchie erhalten hatte. Er war also „Antinazi“; und da er jüdischen Blutes war. brauchten die Okkupanten nicht erst ein Urteil zu sprechen und ließen ihn in Theresienstadt zugrunde gehen. Die Lebensgeschichte eines solchen Mannes ist gewiß ergiebig für das Bild sowohl der Monarchie als auch der Republik.

Nun hat ja das österreichisch-ungarische mit dem tschechoslowakischen Regime ein Gemeinsames. In dem einen wie in dem anderen fühlte sich jeweils ein Volk unterdrückt und machte diesem Gefühl in übersteigerten Klagen Luft; das jeweils herrschende Element hingegen sieht die betreffende Zeit verklärt in besonnter Erinnerung. Da muß die Geschichtsschreibung nachprüfen, „wie es eigentlich gewesen ist“. Dazu bietet die Lebensgeschichte des Ministers und seine eigenen hier abgedruckten Aufzeichnungen reichlich Gelegenheit. Man sieht also, wie vor und nach 1918 das beschwerdeführende Element den Schutz des Rechtsstaates genoß, vor Gericht frei — sehr frei! — sprach, Zeitungen, Hochschulen. Ministersessel besaß .. . Dazu bemerkt Dr. Brügel: „Zweifellos ist die Habsburger-Monarchie in den Augen der Menschen, die erst die nationalsozialistische und dann die kommunistische Diktatur erleben mußten, nicht mehr so ganz der .Völkerkerker', als der sie ihnen damals erschien. Aber Jas Entscheidende ist doch, daß sie von der Mehrheit damals so empfunden wurde!“ Man könnte hierauf freilich mit Maunas antworten; „Der Schrei, leise oder gellend, gilt so viel, als seine Ursache gilt.“ Dieser ganze Vergleich mit den nachfolgenden Kriminalregimen ist jedoch belanglos. Wir wissen sehr wohl, daß man in Österreich gerne die Zustände vor 1918 mit denen nach 1938 und 1948 vergleicht, und freilich mag man unter freien Tschechoslowaken ähnlich reden; uns kommt dieser Vergleich, mit Verlaub, läppisch vor. Sehen wir lieber zu, was Brösel Konkretes über die Verhältnisse in der Republik zu sagen hat. Hier geht es ihm nämlich um den Nachweis, daß Czech kein Verräter des deutschen Volkes war: daß er mit keinen blutrünstigen Unterdrückern diese9 Volkes kollaboriert, sondern demselben wesentliche Vorteile erhalten und verschafft hat.

In diesem Zusammenhang also wird so manches zugunsten der Tschechoslowakischen Republik berichtet. Da wird an die statistische Tatsache erinnert, die seinerzeit ein Gemeinplatz der tschechischnationalen Agitation war, bei dem Publikum deutscher Sprache aber wohl bekannt sein mag: an die Tatsache, daß d:e deutsche Jugend der Republik verhältnismäßig besser mit Lehrern versehen war als die tschechische... Da kommt auch die possierliche Episode vor, wie sich der hitlerdeutsche Gesandte um deutsche Bauern sorgt, die man von Haus und Hof vertrieben habe, und sich von einem Einheimischen, ansonsten „strammen Henleinanhänger“, eines Besseren belehren lassen muß. Freilich ist der Teufel, den man da an die Wand gemalt hatte, nachher wirklich erschienen; aber das ist — wie Kipling sagen würde — eine andere Geschichte.

Was aber die Monarchie betrifft, machen wir auch hier die interessante Wahrnehmung, daß sie heute niemand zerschlagen haben will — auch und gerade die nicht, die es einstmals gerne gewesen sein wollten; „und jene, die sich ... als die Zertrümmerer der Monarchie fühlten, haben in Wirklichkeit nur einen Leichnam weeeeräumt“, meint Brügel und beruft sich für die Notwendigkeit des Umsturzes auf — Viktor Bibl. Doch wollen wir über die Monarchie mit Sozialisten nicht streiten: hatte sie auch hessere Arbeiterschutz<?esetze als zur gleichen Zeit manche Republik, so hatte sie davon gewiß noch lange nicht genug.

Über etwas anderes müssen wir ein Wort sagen: über die Verhandlungen Rudolf Berans mit der heranwachsenden Henlein-Partei. Wir sind nicht zum Anwalt dieses tschechisch-agrarischen Politikers berufen, und nichts liegt uns ferner, als seine gesamte Politik tadellos zu finden. Auch ist es evident, daß Czech Henlein besser beurteilt, als das Beran tat. Indessen las Beran eben nicht Hen-leins Geheimberichte nach Berlin, sondern seine zuerst ganz klar aktivistischen, will sagen staatsbejahenden Erklärungen. Und es war durchaus nicht unnatürlich, wenn Beran etwa bereit war, der SDP größere Konzessionen zu machen als den deutschen Sozialisten. Konzessionen haben doch nur dann einen Sinn, wenn der Partner den Frieden geben kann, was die minoritäre Sozialdemokratie eben nicht konnte. Henlein freilich, von Hitler an der Leine geführt, konnte es auch nicht; und daher hat Beran bekanntlich nicht als Freund Henleins und gar Hitlers geendet. Wenn aber Brügel von den „tschechischen Chauvinisten, die sich später so gut mit den deutschen Nationalsozialisten verstanden“, spricht, dann sind wir es dem Andenken des von den Nazis gemordeten Ladislav Rasin schuldig, solche Worte nachdrücklich auf das gebührende Maß zurückzuverweisen.

Wir wären sonst gerne bereit, die Pietät zu begrüßen, mit der seine Gesinnungsgenossen einem ernsthaften, in der Haft der Okkupanten verstorbenen Politiker ein literarisches Denkmal gesetzt haben, und wir würden uns gerne kritischer Worte enthalten. Doch wäre es nach beiden Seiten unehrlich, wollten wir verschweigen, welche Wahrnehmung sich gerade hier wieder aufdrängt. Es gibt Leute, die meinen: die Begriffe „links“ und „rechts“ hätten heute ihre Bedeutung verloren. Gewiß: Traditionalisten und Sozialisten sind gegen die Hitlerische Schreckensherrschaft zusammengestanden und werden, will's Gott, auch gegen spätere Tyrannen zusammenstehen. Aber — daß wir nun schon ähnlich dächten und fühlten: wer könnte das behaupten? Man sehe doch, was hier zur Ehre des Verewigten erzählt wird.

Leo Trotzki wünschte sich einen Kuraufenthalt in der Tschechoslowakei und wandte sich an den Minister Czech. Dieser vermutete mit Recht, daß „sich bei dem reaktionären Teil der Legionäre Res- . sentiments gegen ihn erhalten“ hatten.

Man nennt es bekanntlich im 20. Jahrhundert „Ressentiments“, wenn es jemand übelnimmt, daß man ihn totschlagen wollte; und nebenbei gesagt, sind wir eher daran gewöhnt, daß man von ganz anderer Seite Sozialisten und Juden „Ressentiments“ in diesem Sinne nachsagt. Wie dem auch sei: Um Trotzki nicht den Ressentiments der Leute auszusetzen, die sich durch seine Rote Armee heimgekämpft hatten, wollte Czech die Einreisebewilligung geheimhalten. Und nun muß ich meinen Autor wörtlich zitieren: „Ohne jede böse Absicht veröffentlichte ein tschechischer Journalist diesen Beschluß“ (die Einreisebewilligung der Regierung). „Das löste eine erbitterte Kampagne der tschechischen nationalistischen Presse gegen die Asylgewährung an eine Persönichkeit vom Range Trotzkis aus“; trotzki kam nicht, was Brügel zu belauern scheint. Wir haben über die Mas-lenmördern gebührende Rücksicht andere Meinung und würden auch einer Persön-ichkeit vom Range Görings nicht gerne ;inen Kuraufenthalt in unserem Lande ingeboten haben. Dies müssen wir denn loch in aller Aufrichtigkeit bemerken.

Hier ist eben das „Freund-Feind-ichema“ am Werk, auf das wir eingangs anspielten. Völkerverständigung, ge-viß! Kampf dem Chauvinismus, aber Campf dem Klassenfeind; und Sympathie lern Vernichter des Klassenfeinds. Wollten vir auf der Rechten ebenso unkompliziert linken, dann wäre das Zusammenleben licht leicht.

Beenden wir aber unsere Rezension mit :inem Wort des Lobes: Das Buch endet nit vier Seiten Literaturverzeichnis und ist ilso auch in dieser Hinsicht ein willkom-nener Beitrag zur Geschichte der [“schechoslowakischen Republik.

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