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ALBERT JOHN LUTHULI / DER „GANDHI” AFRIKAS
„Ihr habt nichts von uns zu fürchten, wenn ihr uns fair behandelt. Wir wollen euch weder mit einem Fußtritt aus dem Lande werfen noch eure Schwestern heiraten. Alles, was wir wollen, ist ein ,fair deal’ in unserem eigenen Land. Wir verlangen es und beabsichtigen auch, es zu erreichen. Wir können in Südafrika nicht ohne die Weißen auskonimen. Wir haben eure Zivilisation angenommen, wir schätzen sie und wir übernehmen sie, so schnell wir dies können — trotz der Bemühungen eurer Regie rung, uns den Zugang dazu abzuschneiden.”
Der grauhaarige, zweiundsech- zigjährige Afrikaner, der diese Worte öffentlich aussprach, war Albert John Luthuli, nunmehr bestimmt zum Träger des Friedensnobelpreises 1961. Und er sprach sie am 19. März 1960, zwei Tage, ehe die Schüsse von Sharpeville fielen. Viele Südafrikaner aller Rassen, auch Weiße, nennen Luthuli einfach „the Chief”, denn er genießt nicht nur in seinem Volke der Zulu, sondern auch In weiten Kreisen anderer Farbiger und auch Weißer Sympathie, Ansehen und Achtung. Zum „Chief”, das ist Häuptling der Zulu, wurde er erwählt, hat aber dann freiwillig auf diese Würde verzichtet, nachdem ihn die südafrikanische Regierung 1952 nach seiner Wahl zum Präsidenten des Afrikanischen Nationalkongresses vor die Wahl stellte, auf eines der beiden Ämter zu verzichten.
Einer Ehe christlicher Zulumissionäre entstammend, wurde Luthuli 1899 in Rhodesien geboren. Er besuchte die amerikanische Missionsschule Adam’s College in Durban und unterrichtete später selbst IS Jahre lang Musik, Geschichte, Geographie und Zulu in den Lehrerbildungskursen dieser Anstalt. Andere Jahre hat er, wegen seines Eintretens für gewaltlosen Widerstand gegen diskriminierende Rassengesetze, in Gefängniszellen verbracht.
Die Folgen dieser Zeit, in der er monatelang auf den Betonböden der Gefängnisse schlafen mußte, haben seine Gesundheit untergraben, aber nicht seine Grundsätze. „Ich mache die Weißen als einzelne nicht für die Apartheid verantwortlich”, erklärte er einmal, „und ich hasse den weißen Mann nicht. Seine Stellung der Herrschaft hat ihn in eine Stellung der moralischen Schwäche gebracht. Wir müssen Mitgefühl mit Ihm haben.”
Luthuli, der einem gemäßigten Sozialismus zuneigt und sich zum Prinzip des gewaltlosen Widerstandes nach dem Vorbild Gandhis bekennt, hat Politik eigentlich immer als praktisches Christentum verstanden. Seine gesetzten, würdevollen Reden waren nicht nur voll von Bibelzitaten, sondern auch von unbekümmerten, fröhlichen Scherzen. Doch hat er keine Illusionen über die Wirklichkeit und bekannte dies einmal mit den Worten: „Gut dreißig Jahre meines Lebens habe ich damit verbracht, vergeblich, geduldig und bescheiden an eine verschlossene und verriegelte Tür zu klopfen. Die Früchte der Mäßigung? In den vergangenen 30 Jahren ist eine so große Zahl von Gesetzen beschlossen worden, die unsere Rechte und die Möglichkeiten unseres Fortschrittes beschränken, daß wir ein Stadium erreicht haben, in dem wir fast überhaupt keine Rechte mehr besitzen.” Als er nach den Ereignissen des März 1960 gleichfalls seinen „Paß” verbrannte, wurde ihm eine Geldstrafe von 100 Pfund auferlegt und er auf seinem Hof in Groutville in Natal unter Hausarrest gestellt. Nicht nur der radikalere „Panafrikanische Kongreß” Robert Sobukwes, sondern auch die von ihm geführte Bewegung war damals verboten worden. Er nahm es hin, treu seinem Grundsatz, Gewalt nicht mit Gewalt zu begegnen.
Die Entscheidung der Stockholmer Akademie, ihn an der Seite des im Kongo gefallenen Dag Hammarskjöld mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen, hat keinen Unwürdigen getroffen. Ob und wem diese Auszeichnung bequem und wem sie genehm war, ist eine andere Frage. Sicher ist, daß der alte, weise Mann von Groutville für ein Menschentum christlichen Geistes steht, das, nach seinen Worten, „nicht achtet, woher ein Mensch kommt”. Wird er ein „schwarzer” Fall Pasternak oder Ossietzky werden?
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