Der Ausgangspunkt für den Wiederaufbau war 1945 für die Klöster und Ordensgemeinschaften keineswegs günstig. Zu tiefe Wunden hatte die Zeit geschlagen. Schwerer noch als die materiellen Nachteile wirkten sich die personalen Ausfälle aus. So verzeichnete allein die österreichische Provinz der Gesellschaft Jesu neben den Vermißten zwölf Gefallene-, das Stift Klosterneuburg bei einem Personalstand von 79 Mitgliedern neun Verluste (davon ein Priester hingerichtet, fünf Priester und drei Kleriker gefallen); Stift Schotten: sechs Gefallene; ebenso viele das Stift Heiligenkreuz. Die österreichische Franziskanerprovinz, aus der bei einem Personalstand von 106 Mitbrüdern (1939) fast die Hälfte eingerückt war (nämlich 52). hatte acht Gefallene und drei Vermißte zu beklagen.
Die schwierigen Zeitumstände, in denen so vieles wankend und fragwürdig geworden war und alles seine Daseinsberechtigung und Lebenskraft neu beweisen mußte, zwangen die Orden zu einer Besinnung auf ihr Wesen. Damit wurde eine Erneuerungsbewegung eingeleitet, von der allgemein zu hoffen ist, daß sie weiterhin Früchte bringen wird.
Auch von höchster kirchlicher Seite wurde dieses Bemühen anerkannt. Man lernte in den
Zentralen der Weltkirche beispielsweise das aufrichtige Streben der österreichischen Stifte schätzen. Man sah ein, daß hier ein ehrliches Ringen vorliegt, die alten Traditionen, die große Verpflichtungen auferlegen, zugleich mit der Besinnung auf eine wesenmäßige Erneuerung zu verbinden; neues Werden zu fördern und sich der Zeit anzupassen, ohne Notwendiges oder historisch sinnvoll Gewordenes einfach zu zerstören. Zu diesem Zweck wurde für die Belange der österreichischen Stifte der alten Orden (Augustiner-Chorherren, Benediktiner, Zisterzienser, Prämonstratenser) eine eigene Behörde bei der Religiosenkongregation in Rom unter der Bezeichnung „Consulta“ geschaffen. Die vier Mitglieder dieser Kommission sind höchste Repräsentanten ihrer Orden, zugleich aber sehr gute Kenner der inneren und äußeren Verhältnisse der österreichischen Klöster. So darf man erwarten, daß in guter Zusammenarbeit mit den höchsten kirchlichen Stellen auch in Zukunft alle noch offenen Probleme einer zufriedenstellenden Lösung zugeführt werden können.
Die gemeinsamen, gleich oder ähnlich gelagerten Pläne ließen die Orden und Kongrega-xionen überhaupt einander näherkommen. Ähnlich wie in Deutschland und Belgien wurde auch in Österreich in der sogenannten „Superioren-konferenz“ eine Dachorganisation geschaffen, durch die nun gemeinsame Belange besser gewahrt werden können. Besonders möge hier die Initiative des verstorbenen Generalabtes Alipius Linda, der auch der erste Vorsitzende der Superiorenkonferenz war, angeführt werden. Diese Konferenz erhielt ihre offizielle Sanktion durch ein Dekret der Religiosenkongregation vom 12. November 1959. Bei den Frauenorden gibt es eine ähnliche Einrichtung in der „Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Frauenorden“, die in vier Gruppen zusammengefaßt sind: die beschaulichen Orden, die Krankenpflegeorden, die Schulorden und die sozial-karitativen Orden, jede Gruppe hat eine Vorsteherin, und diese vier zusammen bilden den Ordensrat. Seit geraumer Zeit findet alljährlich eine Tagung der General- und Provinzoberinnen in Innsbruck mit jeweils aktuellen Themen statt. Besonders bedeutungsvoll erscheint dabei die gegenseitige Fühlungnahme.
Wenn es sich bei diesen Institutionen auch um überdiözesane Einrichtungen handelt, so haben sie doch auch schon gewisse Rückwirkungen auf die Entwicklung in der Wiener Erzdiözese ausgelöst und können-Aatum. nicht ganz übergangen werden.
Eine schöne Frucht der Zusammenarbeit der einzelnen Orden, gemeinsam mit den österreichischen Diözesen, war sicher das Zustandekommen der „kirchlichen Anleihe“. Die österreichischen
Stifte ermöglichten durch ihre Bürgschaftsübernahme, zusammen mit den Diözesen, das Zustandekommen dieser großangelegten Finanzoperation, die ihrerseits wieder bedeutende Werke des Aufbaues möglich machte: Bauten von Kirchen, Schulen, Krankenhäusern usw.
*
Die Ordensgemeinschaften im Bereich der Erzdiözese schlössen sich vor allem dem Kirchen-bauprogramm an; so entstand zum Beispiel der Neubau in Wien XU, Maria Lourdes (Stift Klosterneuburg), Wien XII, Gatterhölzl (Kapuziner), Wien III, Don Bosco (Salesianer), Wien XIX, Krim (OSFS) oder Pfarrhofneubauten wie bei den Herz-Jesu-Priestern oder den Oblaten der Unbefleckten Empfängnis. ln unserem eigenen Stift Klosterneuburg war es notwendig, nach 1945 im Laufe der Zeit wegen des vorgeschrittenen Alters der amtierenden Mitbrüder die ganzen Hausoffizialen neu zu besetzen. Die Seelsorge auf den 26 dem Stift inkorporierten Pfarren immer mit den notwendigen Kräften für eine durchorganisierte moderne Seelsorge zu versehen, ist keine leichte Sorge für den Oberen gewesen, wenn unser Nachwuchs auch gerade in den ersten Jahren nach dem Krieg ein sehr guter war. Unser Mitbruder Dr. Pius P arsch konnte sein ganzes Verlags- und Apostolatswerk, I das den Namen unseres Hauses in aller Welt bekannt gemacht hat, nach dem Krieg wiederaufbauen. Nach seinem Tod führen nun die Mitbrüder Prof. Petrus Schinkel (in Sankt Gertrud) und Norbert Haslinger (im Verlag) sein Werk fort. Nachdem das prophetische Rufen des einsamen Großen so vielseitiges Echo gefunden hat, die liturgische Erneuerung in seinem Sinn heute Gegenstand päpstlicher Dokumente geworden ist und überall die Ordinarien und Seelsorgeämter sich um die liturgischen Anliegen bemühen, kam es in unserer Arbeit zu einer gewissen Akzentverschiebung. Wohl wird auch weiterhin die volksliturgische Arbeit durch Bereitstellung von Hilfsmittel gefördert und vor allem das Schrifttum gepflegt, das der notwendigen Vertiefung dieser Arbeit dienen soll, dabei ist aber deutlich ein gewisser Zug zum Bibelapostolat erkennbar. Die Bibelarbeit war das große Anliegen von Pius Parsch in den letzten Jahren seines Lebens. Seine Bibelausgabe hat nun die beachtliche Auflagenhöhe von 344.000 Exemplaren erreicht. Die Bibelseelsorgertagung des vergangenen Sommers in Klosterneuburg wies dem Bemühen den Weg in die Zukunft.
Das Stift Heiligenkreuz läßt sich nach dem Krieg besonders die Förderung des Exerzitienwerkes angelegen sein. Im Stift wurde ein Exerzitienhaus ausgebaut. Es wurde besonders bekannt durch seine Kurse für dreißigtägige Exerzitien für Priester aus dem gesamten deutschen Sprachraum. In Zusammenarbeit mit der Diözese wurde das „Pius-Haus“ in Wiener Neustadt ausgebaut, wo nun laufend Exerzitien und Schulungen gehalten werden können. Restaurierung des Kirchenraums und Orgelumbau sowie die Neugründung eines Zisterzienserinnenklosters Marienkron (Mönchhof, Burgenland) mit Schwestern aus Seligenthal in Landshut konnten durchgeführt werden. Im Stift selbst wurde eine Oblatenschule (Untergymnasium) ins Leben gerufen.
Das Schottenstift, das vor zwei Jahren sein 800-Jahr-Jubiläum feierte, konnte 1945 wieder sein berühmtes Gymnasium mit einer ersten Klasse eröffnen. 1953 war die erste Maturaklasse erreicht. Immerhin war fünfzehn Jahre lang keine Matura gewesen, was sich hinsichtlich des geistlichen Nachwuchses für das Haus ungünstig ausgewirkt hatte. 1945 stellte das Stift sämtliche Räume der „Prälatur“ für die „Katholische Akademie“ zur Verfügung und ermöglichte so die Gründung dieses Instituts, das seither einen entscheidenden Beitrag zur Formung der Geistigkeit Wiens leisten konnte. Siebzehn
Pfarren sind im Stift inkorporiert, für die es Sorge tragen muß. Auf einen weiten Kreis von Laien übt es wegen seiner Liturgiepflege eine besondere Anziehung aus. Eng mit dem Stift verbunden fühlt sich der Verband ehemaliger Schüler, der derzeit zirka 1000 Mitglieder hat.
Das größte Kloster der zentralisierten Ordensgemeinschaften in unserer Diözese besitzt die Gesellschaft des Göttlichen Wortes (SVD) in St. Gabriel bei Mödling. Auch dieses Haus war in der NS-Zeit enteignet. Nach dem Krieg konnten neben St. Gabriel auch die Missionshäuser in St. Rupert bei Bischofshofen (vollständiges Gymnasium mit 170 Schülern) und St. Severin in der Steiermark wieder eröffnet werden. In beiden Anstalten befinden sich auch Buben aus dem Bereich der Wiener Diözese. In St. Gabriel studieren gegenwärtig 130 Theologen, die sich auf das Priesteramt vorbereiten. Vor dem Krieg waren hier sehr viele Reichsdeutsche, aber auch Slowaken und Ungarn; heute stammen die Theologen zumeist aus Österreich, dem süddeutschen Raum und der Schweiz. — Die Druckerei konnte wieder in Betrieb genommen werden. Die weitverbreitete Familienzeitschrift „Die Stadt Gottes“ wird hier verlegt, auch die Kinderzeitschrift „Jesusknabe“. Der Buchverlag ist besonders durch seine Jugendschriftenreihe „Frische Saat“ bekannt geworden-, das Kloster bildet nun wieder Missionäre für die verschiedensten Gebiete, besonders Südamerika, Indien, Japan, Indonesien, Neuguinea und Afrika aus.
Die Patres Jesuiten konnten nach dem Krieg das große Kolleg in Kalksburg wieder eröffnen, das zuerst enteignet, dann zweimal von den Russen besetzt worden war. Heute haben Konvikt und Gymnasium etwa 330 Schüler. Auch das Exerzitienhaus in Lainz war militärisch besetzt und mußte nach dem Krieg für die geistlichen Zwecke ganz neu adaptiert werden.
In diesem bescheidenen Rahmen ist es nicht möglich, einen wirklich erschöpfenden Überblick über das Wirken der Männerorden in der Diözese zu geben; unbedingt angeführt werden muß aber noch der Rosenkranzsühnekreuzzug des Franziskanerpaters Petrus P av 1 i c e k, der einen bedeutenden Anteil am geistigen Wiederaufbau Wiens genommen hat.
Bei den Frauenorden hatten wohl die Schulorden die größten Schwierigkeiten zu überwinden. In Wien-Döbling begann man 1945 mit 19 Kindern; heute steht eine Musteranstalt mit verschiedensten Schultypen. Besonders wirkt sich bei den Schulorden der Mangel an Subventionen aus. Die Auslagen für einen Modernen Schulbetrieb sind ungeheuer hoch. Alles miß von den Schwestern selbst geschaffen und geleitet werden. Über Nachwuchssorgen haben fast alle anderen weiblichen Orden zu klagen. Langsam bessert sich heute Gott sei Dank die Situation. Bloß stellt man fest, daß die nachkommenden Kräfte meist nicht so belastungsfähig sind wie die früheren Jahrgänge. Welche Hindernisse es für manche Ordensgemeinschaft zu überwinden galt und wie doch große Werke in Angriff genommen werden konnten, möge nur am Beispiel der jungen Gemeinschaft der „Caritas socialis“ angedeutet werden: 1945 konnte das Mutterhaus in der Pramergasse wieder in Besitz genom-men werden. Der Wiederaufbau des Mädchenschutzes und der Bahnhofmission wurde auf Initiative der Schwestern der Caritas socialis im Zusammenwirken mit dem Caritasverband in die Wege geleitet. In Hütteldorf konnte in dem durch fremdländische Besatzung verwüsteten Objekt der Barmherzigen Brüder unter Unterstützung durch die Katholische Jugend, einem Kreis von Wohltätern aus Wirtschaft und Industrie sowie der Malteserritter ein Heim für Mutter und Kind aufgebaut werden. Danach übernahmen die Schwestern die großen Anstalten (Heilanstalt, Erziehungsanstalt, Altersheim) in Klosterneuburg von der Gemeinde Wien in Eigenverwaltung. Als letztes Werk schufen sie ein Altersheim in einem Neubau auf dem Alser-grund.
Guten Nachwuchs hat der Karmel von Wien-Baumgarten, der als Vertreter der beschaulichen Orden angeführt sei. 2945 wurde das Kloster den Karmelitinnen zurückgegeben; 1956 konnte man an die Stiftung eines neuen Karmels in Mariazell denken, der bereits selbst wieder eine neue Filiation in Betracht zieht.
Aus dem Gesagten und oft nur Angedeuteten ergibt sich wohl, wie die Orden, Kongregationen und anderen Genossenschaften (Männer und Frauen) bemüht sind, ihre Aufgaben in unserer Zeit zu erfüllen.