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Alle Macht für Gheorghiu-Dej

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Am 2. Juni 1952 wurde Georg Gheorghiu-Dej das, was er faktisch seit mehreren Jahren gewesen war, nämlich der Regierungschef Rumäniens; sein Vorgänger Peter Gröza hörte auf, das zu sein, was er seit mehreren Jahren zu sein aufgehört hatte, nämlich ebenfalls rumänischer Ministerpräsident. Die bisherigen Stellvertreter des Erstministers, Luca und Georgescu, waren schon vorher, der eine im März, der andere Ende Mai, ihrer Posten enthoben, aüs dem Politbüro ausgeschlossen und_ vor ein Parteigericht gestellt worden. Anna Pauker, vorläufig als Außenminister belassen, wurde verwarnt; sie bereute „einige ihrer Irr- tümer“, versprach Besserung, wird aber kaum ein anderes Los haben als Släasky, der ein Gleiches getan hatte.

Ehe wir den nunmehrigen Alleinherrscher Rumäniens vorstellen, ein paar Worte des Nachrufs für die Abtretenden. Petru Groza, siebenundsechzigjährig, aus sieberibürgisdier Adelsfamilie, reichbegütert, glänzend verdienender Geschäftsadvokat, Anhänger Marschall Ave- reScüs unter der Monarchie und sogar Mitglied mehrerer königlicher Regierungen, hatte rechtzeitig Kurs nach links genommen und eine radikale Bauernpartei begründet, die den Nationalzara- nisten Manius, Vajda-Vojevods und Miha- laches, bei den kleinen Landwirten das Wasser abzugraben versuchte. Bei Kriegsende mit den Kommunisten zusammenarbeitend, wurde Gröza auf deren Rat durch Wyschinskij auserkoren, Regierungschef eines von den Bolschewiken beherrschten Koalitionskabinetts zu werden. Nach einer stürmischen Szene zwang der sowjetische Prokonsul dem widerstrebenden Michael I. Gröza als Ministerpräsidenten auf. Das war Anfang März 1945. Seither bekleidete der als bequemer Platzhalter Unentbehrliche sein Amt, ohne den leisesten Einfluß zu haben. Er gehört, wie die aus ähnlichen Kreisen stammenden Vorkriegsgrößen Professor Parhon, der Schriftsteller Sadoveanu oder Professor Constantinescu-Iaji, einer Galerie in Europa vorzeigbarer Köpfe an, die aber keine Häupter sind.

Vasile Luca, Siebenbürger Ungar, der sich zum Rumänentum bekennt, war mit Gheorghiu-Dej, der Pauker, Georgescu, Bodnära? und Chijinevschi einer vom Brain-Trust der Kommunistischen Partei, ihr Finanzmann, und ein tüchtiger dazu. Er trug die Verantwortung für die Staatswirtschaft; man lastete ihm deren allmählichen Zusammenbruch an. Als die Finanz- reform von Ende Jänner 1952 mit der Abwertung des Leu fällig wurde, geschah das schon ohne und gegen Lucas Willen. Der Minister wurde bald darauf abgesetzt. Gheorghiu-Dej mochte den allzu Intellektuellen, den Volksfremden und vor allem den gefährlichen Rivalen nicht leiden. Rivale war auch der Innenminister Georgescu, der vom kommunistischen Standpunkt aus das große Verdienst hatte, den Staatsstreich von Februar/März 1945 als Unterstaatssekretär des Innern gegen den damaligen Ministerpräsidenten Radescu inszeniert zu haben. Josif Chi?i- nevschi, der noch nicht offiziell auf der Liste der Abgewichenen erscheint, ist stellvertretender Generalsekretär der Partei, er hatte den gesamten Parteiapparat unter sich. Typus des jüdischen Intellektuellen, war er den Arbeitern und Bauern im Politbüro ebenso unheimlich, wie Slänsky und Geminder den tschechischen Männern aus dem Volke. Emil Bodnäras, der als Bodnartschuk das Licht der Welt erblickte, ein Ruthene aus der Bukowina, diente als Offizier in der königlich-rumänischen Armee, desertierte zu den Russen, wurde in Moskau geschult und kehrte, wie Anna Pauker, mit dem Segen des Kreml in die Heimat zurück. Vielleicht wird ihn das für eine Weile retten. An der Spitze des Verteidigungsministeriums hat er sich in der Armee viele Freunde geschaffen. Das aber mag gerade einen Grund mit bilden, um ihn für Gheorghiu- Dej nicht lange tragbar seih zu lassen.

Die interessanteste Gestalt der Gestürzten ist Anna Pauker. Eine ungewöhnlich kluge, doch ebenso ungewöhnlich abstoßende Frau. Nichts als Him und wenig Herz. Tochter eines frommen Rabbiners aus Bessarabien, studierte sie Medizin, wurde Lehrerin, kam 1921 siebenund- zwanzigjährig in die Leitung der illegalen Kommunistischen Partei. In der Schweiz, wohin sie flüchtete, heiratete sie den bolschewistischen Agitator und Schriftsteller Marcel Pauker. Dieser wurde als Trotzkist „liquidiert“, wie die Fama sagt, nicht ohne Mitwirkung seiner Gattin. Aus dieser Ehe stammt eine Tochter, die einen dunhaus klassenfremden Gemahl wählte, einen Bojaren aus altem Geschlecht. Für eben diese Tochter scheint Anna Pauker die einzigen Familiengefühle empfunden zu haben, die man von ihr kennt. Von der sonstigen Familie schied sie ihr politischer Fanatismus und ihr Ehrgeiz. Die rumänischen Juden verabscheuten die Abtrünnige, die es besonders scharf auf Zionisten hatte. Anna Paukers Vater wanderte nach Palästina aus. Dort ist er vor zwei Jahren gestorben. Vor seinem Tod vermachte er der Frau Minister …. seinen Fluch. Er hat sie erreicht, und wir zweifeln nicht, daß kraft einer grausamen Ironie der Weltgeschichte bolschewikischer Lesart der Anna Pauker zu guter Letzt noch „zionistische Gesinnung“ als einer der Gründe ihrer Ausschaltung angekreidet werden wird. Daß sie König Michaels I. schärfste Feindin war, daß sie dessen Verlobung zum Anlaß nahm, um die Abschaffung der Monarchie zu erzwingen, daß sie die Prozesse gegen Maniu und Bratianu, die Verfolgung der gesamten einst herrschenden Klassen aufs eifrigste betrieb; es ist alles vergessen. Denn sie hat die beiden unverzeihlichen Sünden begangen, die eine, wie es im russischen Lustspiel . heißt, „Gore ot uma“, „Verstand schafft Leiden“, die zweite, sie war, sie ist Gheorghiu-Dejs allerbedrohlichste Rivalin.

Er aber, der nun auf weiter Flur allein schaltet und waltet, Gheorghiu-Dej. Geboren 1901 in dem Karpathendorf Balara, erst Straßenbahner, dann in der Gewerkschaftsbewegung als stürmischer Agitator tätig, Anführer eines Streiks schon im Jahre 1933, der damals hundert Tote kostete. Daraufhin verhaftet und zu zwölf Jahren Kerker verurteilt. Erst der Umbruch von Sommer 1944 gibt Gheorghiu-Dej die Freiheit wieder. Und schon im März des folgenden Jahres erhält er das Volkswirtschaftsressort in der Regierung Gröza. Im Juli 1946 wird er Generalsekretär, das heißt offizieller Leiter der kommunistischen und automatisch 1948 der mit den Sozialisten vereinten Arbeiterpartei. Sein fünfzigster Geburtstag zeigt ihn als unbestrittenen Führer, wie Tscherwenkow in, Bulgarien und Enver Hodscha in Albanien. Das letzte Stadium seiner Laufbahn erschöpfte sich darin, seine bereits durch ihn distanzierten Mitbewerber endgültig auszuschalten. In Moskau ist er persona gratissima. So gelingt ihm alles; denn beim rumänischen Volk genießt er, wenn irgendeiner aus dem heutigen Regime, Popularität. Er ist wirklich einer aus dem Proletariat, der durch sich selbst hoch emporzusteigen vermochte. Er spricht die Sprache, die Bauern und Arbeiter verstehen. Gheorghiu-Dejs Beredsamkeit ist ebenso lateinisch wie seine Erscheinung. Der „schöne Mann“ mit dem grausam verkniffenen, sinnlichen Mund und den lebhaften Gesten ist ein anderer Typus als die würdigen Greise, die bisher die offiziell höchsten Würden bekleideten und die sich abmühten, die kommunistische Phrasologie elegant abzuhaspeln. Er ist auch ein anderer, als die „volksfremden“ Intellektuellen, gegen die der rumänische Proletarier, der Bauer noch immer eine instinktive Abneigung fühlt. Mit der Betrauung Gheorghiu-Dejs ist die Entwicklung in Rumänien zu einem Abschluß gelangt, der wohl für geraume Zeit Gültigkeit fordern wird.

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