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Alle Wege führen nach Rom

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Das erfahrenste Protokoll der Welt, das vatikanische, hat das mögliche getan, um den Besuch des Schwiegersohnes Chruschtschows, Alexei Adjubei, bei Papst Johannes XXIII. in einer verschwommenen Zone zu halten, erst zwischen dem Ja und Nein, dann in der Form, wie er sich abgespielt hat: in der Weise, daß der vatikanische „Osservatore Romano“ schrieb, Adjubei sei als Journalist unter Journalisten empfangen worden, während der Chefredakteur des Blattes, Manzini, seinen Kollegen bestätigte, daß es sich um eine wirkliche Privataudienz gehandelt habe. Es zeigt dies das Zögern des Heiligen Stuhles, einer Begegnung zuzustimmen, die in der Welt vielfältig gedeutet werden würde, und seine' 'Besorgnis; keinen iißsxshes Schritt zu tun.. Ms / isbnßdtnpM ns

Veränderungen in der Atmosphäre

Was zwischen dem Papst und Adjubei besprochen wurde, ist nicht genau bekannt. Trotzdem sickerte über eine katholische Nachrichtenagentur durch, daß der Heilige Vater Adjubei eine in russischer Sprache abgefaßte Botschaft übergeben habe, in der er Chruschtschow für die Glückwünsche zur Verleihung des Balzan-Friedenspreises dankt. Papst Johannes XXIII. sei, so behauptet die Nachrichtenquelle weiter, bereit, Chruschtschow anläßlich seines Regierungsbesuches in Rom, der für Ende Juni vorgesehen ist, in Audienz zu empfangen.

Die Begegnung ist ein weiteres Indiz für die atmosphärischen Veränderungen in dem Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und der Sowjetunion. Kurz zuvor hatte Johannes XXIII. — die Gelegenheit bot sich durch die Verleihung des Balzan-Friedenspreises an ihn — über die unermüdliche Friedensarbeit seiner Vorgänger und die Aktion der Kirche, Männer des Friedens zu formen, gesprochen. Der Papst wollte damit auch andeuten, daß Ziel und Streben der sichtbaren Oberhäupter der Kirche unverändert blieben; was sich geändert hat, ist die Bereitschaft des

Kremls, es anzuerkennen. Von Lenin bis Chruschtschow hatte er die Päpste als Kriegstreiber und Knechte des Kapitalismus bezeichnet. Die Wandlung in der Betrachtungsweise ist'aber schon vor der Thronbesteigung-Johannes' XXIII. eingetreten. Sie kündigte sich in einigen Erklärungen des Außenministers Andrei Gromyko vom Jänner 1958 an, als er vor italienischen Delegierten und Journalisten erklärte, trotz der ideologischen Divergenzen bestünden zwischen dem Vatikan und der Sowjetunion konkrete Möglichkeiten für Kontakte und Verständigung. Damals lebte aber noch Pius XII., was beweist, daß die Annäherung keineswegs an die Person und die Politik Johannes' XXIII. gebunden ist. Zweifellos ist es richtig, daß Charakter und Anschauungen des regierenden Papstes sie begünstigt haben. Die Öffentlichkeit wurde so Zeuge einer Reihe überraschender Beweise des sowjetischen Gesinnungswandels.

Moskau handelte spontan

Im November 1961 schickte zum erstenmal ein sowjetischer Ministerpräsident dem Papst ein Glückwunschtelegramm zu seinem Geburtstag, nachdem er schon die Friedensbotschaft Johannes' XXIII. vom 10. September als ein „gutes Zeichen“ erklärt hatte. Radio Moskau hatte die Papstrede unmittelbar nach dem Konklave günstig kommentiert, und anläßlich des Konzils rissen die Freundlichkeitsbezeugungen sozusagen nicht ab: Der Sekretär des Konzilsekretariats für die Einheit der Christen, Monsignore Jan Willebrands, durfte als erster katholischer Priester frei in der Sowjetunion herumreisen, die russisch-orthodoxe Kirche durfte zwei Beobachter zum Konzil entsenden, und wider alle Hoffnungen durften sogar einige katholische Bischöfe aus Litauen und aus anderen osteuropäischen Ländern nach Rom reisen. Während der Kubakrise veröffentlichte die „Prawda“ die Friedensbotschaft des Papstes im vollen Wortlaut. Dann kam die Freilassung des höchsten katholischen Würdenträgers der Sowjetunion, des Metropoliten von Lemberg, Slipyj, schließlich das sowjetische Votum für die Zuerken-nung des Friedenspreises der Balzan-Stiftung an Johannes XXIII. mit dem entsprechenden Glückwunsch Chruschtschows. Von Seiten der tschecho-ilowakischen und der ungarischen

Regierungen gab und gibt es Fühlungnahmen mit dem Heiligen Stuhl, um eine Lösung der Frage des Prager Erz-bischofs Beran und des Kardinals Mindszenty zu finden.

Aber mit Ausnahme des Falles Slipyj, dessen Freilassung auf Grund einer Intervention der Kardinäle Bea und Testa bei den orthodoxen Beobachtern am Konzil, Borovoi und Kotliarow, dieser beim Patriarchen Alexius und dessen Intervention beim Minister für die kirchlichen Angelegenheiten, Kruoedov, zustande kam, handelt es sich um spontane Aktionen Moskaus, denen keinerlei Verhandlungen vorangegangen sind. Obwohl der Phantasie und der Erfindungsgabe auf diesem Gebiet keine Grenzen gesetzt sind und sogar verschiedene diplomatische Kanzleien der entgegengesetzten Meinung sind, hat es bisher Verhandlungen zwischen sowjetischen und kirchlichen Stellen noch nicht gegeben. Letztere versichern, daß man kaum im Stadium der ersten Fühlungnahme angelangt sei, daß es ihr Zweck sei, zu sehen, ob die Anbahnung von Gesprächen überhaupt eine gewisse Aussicht habe. Was von vatikanischer Seite m dieser Richtung bisher geschehen ist, trägt ebenfalls einen ganz inoffiziellen Charakter. Nicht das „Außenministerium“, das Staatssekretariat, ist damit bemüht, sondern die unmittelbare Umgebung des Papstes, sein persönlicher Sekretär Erzbischof Capovilla, das Sekretariat für die Einheit der Christen.

Im Interesse des Weltfriedens

Die ungeheuren Schwierigkeiten für das, was man unter Vorwegnahme wünschenswerter Entwicklungen bereits als „Verständigung“ bezeichnet, werden im Vatikan im vollen Umfang erkannt; man übersieht keineswegs, daß die Verfolgung der Kirche in den Ländern unter kommunistischem Regime fortdauert, mögen auch die schlimmsten Exzesse aufgehört haben. Trotzdem ist der Papst überzeugt, daß der Versuch gewagt werden muß. Aus zwei Gründen: erstens im Interesse des Weltfriedens. Es könnte einen verzweifelten Augenblick geben, in dem das beschwörende Wort des Papstes von der Menschheit herbeigesehnt wird. Aber wie könnte das Wort bei der einen Seite von Gewicht sein. wenn bis dahin jeder Kontakt mit ihr gefehlt hat? Es ist dies kein Plan, sondern eine Haltung: Im Bewußtsein seiner Friedenssendung und aus Liebe zu den Menschen will der Papst den Boden vorbereiten, daß seine Autorität in jedem Lager anerkannt wird. Der zweite Grund ist die Lage der Kirche und der Katholiken im Osten. Die Versprechungen der weltlichen Regierungen des Westens, Pläne auf lange Sicht für die Befreiung der Völkerschaften vom kommunistischen Joch, haben das Schicksal der Betroffenen auch nicht um ein Jota zu verbessern vermocht; aber auch der moralische Kampf der Kirche auf der gegen den Kommunismus aufgerichteten Barrikade des Westens hat zwar zur ideologischen Stärkung beigetragen, jedoch der Kirche und den Katholiken jenseits der Barrikade wenig oder nichts geholfen. Wie weit der Heilige Stuhl einer kommunistischen Regierung entgegenzukommen bereit ist, aber auch die Schwierigkeit, die er dabei findet, zeigt das Beispiel Polen. Da Katholizismus und Marxismus sich wie Feuer und Wasser vertragen, bleiben die Möglichkeiten für eine Verständigung auf das Politisch-Administrative beschränkt.

Wie hoch ist der Preis?

Hier aber ist unsere Kirche zu Zugeständnissen bereit, wenn sie etwa einer der in Frage stehenden Regierungen gestattet, bei der Bestellung der Pfarrer ein Wort mitzureden. Es ist müßig, der Kirche vorzuwerfen, daß sie im Westen und im Osten mit ungleichen Gewichten mißt, hier Verzicht leistet, wo sie dort fordert. Es ist klar, daß der „Preis“ der Kirche in einem katholischen Land ein anderer ist als in einem laizistischen und wieder ein anderer in einem kirchenfeindlichen. Aber es gibt einen Preis, unter den die

Kirche niemals heruntergehen kann, und der ist ihre Freiheit.

Die Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche und dem Sowjetstaat ist von welthistorischer Bedeutung. Auch die Initiative Chruschtschows und die Johannes' XXIII. ist nicht losgelöst aus der Kette der geschichtlichen Zusammenhänge zu betrachten. Der Bruch zwischen Rom und Moskau ist im Juni 1919 an dem Todesurteil gegen den Erzbischof der weißrussischen Diözese Mohilew, Edward van der Roop, sichtbar geworden. Van der Roop war der Konspiration mit der Kerenski-Regierung beschuldigt worden. Der damalige apostolischs Visitator in Polen, Achille Ratti, später Papst Pius XL, intervenierte, und van der Roop konnte sich retten. Ratti ist dann von Lenin nach Rußland eingeladen worden, lehnte jedoch ab, weil er sich dort nicht frei hätte bewegen dürfen. Einen neuerlichen Versuch für einen Modus vivendi gab es im Jahre 1924 zwischen dem damaligen apostolischen Nuntius in Berlin, Eugenio Pacelli, später Pius XII., und dem sowjetischen Außenminister Maxim Lit-winow. Bei der dritten Begegnung wurden die Verhandlungen brüsk abgebrochen: in der Sowjetunion waren die Verfolgungen der Kirche ausgebrochen, Lenin hatte die konfessionellen Schulen abgeschafft, Priester kamen in die Gefängnisse. Es begann der Leidensweg der „Kirche des Schweigens“.

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