7107876-1995_39_07.jpg
Digital In Arbeit

Alles prüfen, das Gute behalten

19451960198020002020

40 Millionen Haushalte im deutschen Sprachraum erhielten jüngst die religiöse Broschüre „Vom Minus zum Plus”. Wer startete diese Aktion?

19451960198020002020

40 Millionen Haushalte im deutschen Sprachraum erhielten jüngst die religiöse Broschüre „Vom Minus zum Plus”. Wer startete diese Aktion?

Werbung
Werbung
Werbung

Das handliche Heft enthält in zeitgemäßer Sprache „die Frohbotschaft von der Erlösung”. Neben Fotos von hungernden Kindern und Atompilzen wird Jesus Christus als „die erstaunlich einfache Lösung für die Probleme der Menschheit” vorgestellt. Verfasser der Klein-schrift ist der aus einer evangelikalen Pfingstkirche stammende Prediger und Wunderheiler Reinhard Bonnke.

Dieser ist in der internationalen Presse nicht unbekannt. Sein Name sorgte zum ersten Mal im Jahr 1991 für Schlagzeilen. Damals brachen in Nigeria schwere Religionskämpfe aus, nachdem Moslems gegen einen Bonnke-Auftritt protestiert hatten. Bei den anschließenden Ausschreitungen sollen mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen sein.

Inzwischen versucht Bonnke auch abseits von Massenveranstaltungen, Anhänger für sein Missionswerk „Christus für alle Nationen” zu gewinnen. Derzeit bearbeiten seine Mitarbeiter konsequent den deutschen Sprachraum. Ziel ist es, daß sich möglichst viele Menschen nach der Lektüre der versandten Broschüre für Christus entscheiden und die von ihm erwirkte Errettung für sich persönlich in Anspruch nehmen. Damit die „Neubekehrten” dann geistlich nicht alleingelassen werden, sollen sie eine Antwortkarte an die Zentrale Bonn--kes in Klosterneuburg schicken.

Wer dem Aufruf folge, so Gerhard Kisslinger, der Leiter der Aktion in Osterreich, zur furche, erhalte dann nicht nur ein im christlichen Glauben weiterführendes Buch (inklusive Erlagschein), sondern auch eine Adresse der nächstgelegenen „Gemeinde” oder des nächsten Gebetskreises. Gleichzeitig wird die betreffende Gemeinschaft verständigt, damit sie mit dem „Neubekehrten” in Kontakt treten kann. In Österreich haben sich 352 Gemeinden aus allen christlichen Konfessionen für die Betreuung zur Verfügung gestellt. Wieviele davon aus der katholischen Kirche stammen, will Kisslinger „aus Gründen des Datenschutzes” nicht bekanntgeben. Von seinen Mitarbeitern ist jedoch zu erfahren, daß sich nur wenige, vor allem charismatische Gemeinschaften, gemeldet haben.

Die Kosten für den gigantischen Werbefeldzug belaufen sich jedenfalls auf insgesamt 260 Millionen

Schilling, die nach Angaben der Organisatoren durch zahlreiche Klein-spenden aufgebracht wurden.

Die Idee, „die Welt für Christus zu evangelisieren”, ist dem 1940 in Ostpreußen geborenen Wunderheiler Reinhard Bonnke nicht selbst gekommen. Bereits als Kind soll ihm aufgrund göttlicher Visionen klar gewesen sein, daß er Missionar werden müsse. Bonnke bezeichnet sich als „Mähdrescher Gottes”, der die „Hölle plündern will”. So zog er nach Südafrika und hatte dort mehrere Schlüsselerlebnisse. Einmal wurde ihm ein gelähmtes Kind gereicht. Er ließ es vor Schreck fallen - aber das Kind fiel auf die Füße und war geheilt. Ein anderes Mal hörte er die Stimme Gottes, die zu ihm sagte: „Schreibe eine klassisch evangelistische Schrift, die an alle Familien und Haushalte gehen soll.” Er spürte die Größe dieser Aufgabe und gelobte Gott, seinen Ruf anzunehmen.

Trotz der göttlichen Führung sind Bonnkes Aktivitäten nicht immer von Erfolg gekrönt. Bereits in der Karwoche 1994 wurde in Großbritannien und Irland eine ähnliche Aktion wie jetzt in Osterreich durchgeführt. Von den damals 25 Millionen angeschriebenen Haushalten wurden 70.000 Antwortkarten an den Verein gesandt. Dieses Ergebnis blieb weit hinter den Erwartungen. Ob dann alle interessierten Menschen tatsächlich ein christliches Leben begonnen haben, ist ungewiß. Die Rücklaufquote lag damals bei rund 0,3 Prozent, bezogen auf Österreich wären dies 11.000 Konktaktsuchende.

Evangelische und katholische Kirche gingen auf Distanz. Der neue Wiener Erzbischof Christoph Schönborn meinte gegenüber der furche zu Bonnkes Aktion: „Für uns gilt das Wort des heiligen Paulus: Prüfet alles, behaltet das Gute! Zweifellos gibt es in dieser Aktion auch Gutes. Ich wäre entschieden dagegen, sie einfach global zu verurteilen. Wir müssen nur feststellen, daß ganz wesentliche Themen des katholischen Glaubens und auch der evangelischen Tradition in dieser Erweckungs- und Evangelisierungsbewegung von Bonnke fehlen: Es fehlt die ganze sakramentale Dimension des christlichen Lebens, und es fehlt die Kirche im vollen Sinne des Neuen Testamentes. Ich glaube, unsere Aufgabe als Katholiken ist es, hier nicht einfach zu verurteilen, sondern wach zu sehen: Wie wirkt Gott auch durch eine solche Bewegung, und wie können wir Einseitigkeiten ergänzen und korrigieren?”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung