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Als Beobachter in Moskau (II)

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In der ersten Folge seines Berichtes über den „Weltfriedenskongreß“ in Moskau (siehe hierzu „Furche Nr. 31) schildert der Verfasser Struktur und Beginn der Veranstaltung.

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In der ersten Folge seines Berichtes über den „Weltfriedenskongreß“ in Moskau (siehe hierzu „Furche Nr. 31) schildert der Verfasser Struktur und Beginn der Veranstaltung.

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Die Briten sind, was ja auch westliche Zeitungen vermerkten, mit Transparenten auf den Roten Platz gezogen — ich sah das nicht selbst, jedoch dann Photos in einem Moskauer Schaufenster. Sie teilten gedruckte Flugblätter — in russischer Sprache natürlich — aus. Ich weiß nicht, was daraufstand, jedoch ohne Frage eine Aufforderung an die Bevölkerung, sich auch den sowjetischen Atomversuchen zu widersetzen.

Im übrigen gab es echte Rede- und Diskussionsfreiheit. Wenn man den Sowjets gegenüber eine politische Gegenmeinung vertrat, waren sie darüber zwar keineswegs erbaut, doch lief man keine wie immer geartete Gefahr, wie manche vielleicht annehmen werden.

Anläßlich einer Galavorstellung der Laienkünstler der sowjetischen Gewerkschaften wurde neben einem exzellenten Programm zum Abschluß noch eine Reihe kurzer Filmstücke vorgeführt. Zunächst Bilder aus den NS-KZ's. Zwischen diesen Bildern wurden nun feuernde US-Panzer und schließlich auch noch ein Bild aus London gezeigt; zwei britische Polizisten trugen einen Mann weg, der auf der Straße an einem Sitzstreik teilgenommen hatte. Darnach wurden Bilder Chruschtschows, Fidel Castros und anderer „Friedenskämpfer“ gezeigt.

Die Mischung der britischen Polizisten mit den KZ-Situationen war nun eine schwere Entgleisung. Denn die nazistischen Mordanstalten mit der britischen Polizei — der fairsten der Welt — zu assoziieret! oder, um im sowjetischen Jargon zu bleiben, hier bedingte Reflexe zu. schaffen, war mehr als nur ein Fehlgriff. Ich sagte einigen Russen, daß ich diese Art, bedingte Reflexe zu schaffen, für ausgesprochen niedrig halte. Es war ihnen die Sache sehr peinlich, und sie verteidigten sich ohne Überzeugung damit, daß die Sache nicht für den Kongreß gemacht worden sei, daß Propaganda immer übertreibe u. ä. mehr. Ich empfahl, was politische Fairneß angehe, sich die Briten zum Vorbild zu nehmen.

Am 12. Juli gab es zwei Plenarsitzungen mit einem echten Höhepunkt. Der britische Labour-Abgeordnete Silberman ergriff das Wort und kritisierte mit einer exzellenten, ebenso vornehmen wie geschliffenen Dialektik Chruschtschow im eigenen Haus. In einer kurzen Ansprache erklärte er, daß er in vielen Punkten mit den Ausführungen von Premier Chruschtschow einverstanden sei, er jedoch bemerkte, dieser hätte die schrecklichen Atomversuche der Amerikaner nicht erwähnt. „Sollte dies ein Hinweis darauf sein, daß er selbst solche machen will?“ Schließlich tadelte er Chruschtschow, weil er in seiner Rede so getan hätte, als ob die Sowjetunion nie etwas unternommen hätte, um die internationalen Spannungen zu erhöhen.

Diese politische Rede von seltenem Niveau wurde mit ähnlich stürmischem Applaus bedacht wie die Chruschtschows (nur nicht von denselben Leuten). Und als routinierter Parlamentarier schritt Silbermann, noch weiteren Applaus provozieren, den Mittelgang des Saales langsam nach hinten.

Am vorletzten Tag, dem 13. Juli, gab es Treffen verschiedener Berufsgruppen. Ich schlug mich zu den religiösen Gruppen, die in das Kloster Zagorsk von Patriarchen Alexej eingeladen wurden. Zagorsk hat eine große Zahl von Kirchen, dazu Klostergebäude in der Größe etwa zwischen Heiligenkreuz und Admont.

In einem Saal des Klosters empfing der Patriarch die religiösen Gruppen; von den Metropoliten von Rumänien, Bulgarien bis zu buddhistischen Mönchen eine höchst bunte Gesellschaft. Es sprachen die verschiedenen Metropoliten, wobei sich, soweit ich dies aus den nicht immer klaren Übersetzungen vernehmen konnte, der Metropolit von Bulgarien jedes einseitigen Angriffs enthielt und damit der Schlußresolution am nächsten kam. Ähnliches kann man auch von dem Vertreter der Huß-Kirche aus der Tschechoslowakei sagen, der ebenfalls keinerlei Aggressionen gegen den Westen demonstrierte. Mir schien im übrigen, daß der Metropolit von Leningrad, der die schärfsten Angriffe gegen den Westen losließ, dies keineswegs tat, weil er unter sowjetischem Druck stand, vielmehr aus eigenem weiter ging, als von ihm erwartet wurde. Natürlich war klar, daß die Vertreter der russischen (und rumänischen) Orthodoxie auf ihr Land Rücksichten nahmen und auch nehmen mußten; aber ihre Reden waren ihnen kaum vorgeschrieben.

Schließlich brachte ein Tscheche, Vertreter irgendeiner protestantischen Gruppe, eine Resolution ein, die unter anderem die Atomversuche der USA verurteilte. Sie war unnötig lang und ausführlich und richtete sich auch gegen Kolonien haltende Staaten. Diese Resolution hatte Patriarch Alexej wohl erwartet, er übersetzte sie selbst stückweise ins Französische. Offenbar erwartete und erhoffte er eine glatte Annahme der Resolution.

Aber davon war keine Rede. Denn sofort meldete sich ein buddhistischer Mönch aus Nepal, der sich sehr geschickt gegen die Resolution aussprach, da sie viel zu ausführlich sei. Religiöse Gruppen hätten moralische Grundfragen, nicht jedoch Detailvorschläge zu machen. Zentral getroffen und damit zu Fall gebracht wurde sie jedoch durch die ausgezeichneten, kurzen und sachlichen Ausführungen des anglikanischen Priesters Vincent aus Großbritannien. Er führte wiederum aus, daß jegliche Atomversuche schlecht seien — der Patriarch nickte unwillkürlich —, stimmte der Verurteilung der USA-Versuche zu, verlangte jedoch die Aufnahme eines Passus, in welchem auch alle künftigen Atomversuche verurteilt werden sollten. Bei Annahme dieser Formulierung hätte nun die orthodoxe Geistlichkeit praktisch mögliche künftige sowjetische Atomversuche verurteilt. Dies brachte die ganze Sitzung in eine schwierige Situation und verursachte große Aufregung. Logisch konnte dem nicht widersprochen werden.

Man sah, daß sich auch bei Dolmetschern und Begleitern, deren Christlichkeit zu bezweifeln war, Ratlosigkeit und Unruhe verbreiteten. Es wurde der Ruf nach einer Kommission laut, die eine neue Formulierung finden sollte. Der Patriarch schlug eine ganz kurze Formulierung vor, die entsprechend Inhaltsleer gewesen wäre, etwa, daß alle für den Frieden wären.

Ein westdeutscher protestantischer Pfarrer rettete die Situation wenigstens soweit für die Orthodoxie, daß sich diese auf eine neue Stellung zurückziehen konnte. Er schlug vor, einfach die Resolution anzunehmen, und der Patriarch nickte erleichtert. Es kam nicht zur Annahme, doch die nun für die Russen etwas günstigere Stimmung ermöglichte es dem Metropoliten von . Leningrad, eine Kommission vorzuschlagen, die Kirchen-männer aus den Oststaaten und aus Entwicklungsländern umfassen sollte.

Aber auch das ging nicht durch. Vincent sagte nur: „Die Vertreter aus westlichen Ländern sollten diesem Vorschlag nicht zustimmen.“ Sofort erklärte sich der Metropolit bereit, noch ein oder zwei Briten in die Kommission zu nehmen, womit klar war, daß dadurch ein einseitiges Kommunique verhindert war.

Die ganze Situation war im Grund typisch. Nachdem die Vertreter des Ostens ja an Zahl überlegen waren, hätte man die westlichen Vertreter einfach überfahren können. Aber einerseits schien die Erfahrung der Russen in entsprechenden demokratischen Verfahrensweisen offenbar gering, so daß sie bei dem entschlossenen Widerstand auch nur kleiner Gruppen oft in hilflose Konzeptlosigkeit gerieten und durch Kommissionsvorschläge immer Zeit zu gewinnen suchten. Anderseits hatten sie aber auch sichtlich das Bestreben, die westlichen Minderheiten nicht zu überfahren. Es bedeutete doch die zahlenmäßige Repräsentanz sehr wenig, und das brutale Überstimmen kleinerer westlicher Gruppen hätte die Russen ins Unrecht gesetzt. Außerdem widersprach dies offenbar auch der sowjetischen Grundabsicht. Denn, daß schließlich trotz vordergründiger propagandistischer Geplänkel auf eine friedliche Schlußdemonstration hingezielt wurde, war offenkundig.

Ehe wir jedoch darauf abschließend zu sprechen kommen, soll noch auf das spezielle Auftreten der Amerikaner hingewiesen werden.

Schon am ersten Tag sprach ein Amerikaner, der den Sowjets in vielem entgegenkam, der jedoch gleichzeitig erklärte, daß die Sowjets durch ihre Versuche ein Übereinkommen gebrochen hätten. Eine am gleichen Tag sprechende Amerikanerin, die sentimental auf Tränendrüsen drückte: „Wonderful friends of peace ...“ hatte jenen sektiererischen Ton, der aber erstaunlicherweise ankam und etliche fast oder tatsächlich zum Weinen brachte.

Aber gegen Ende des Kongresses verfaßten einige der anwesenden Spitzenamerikaner eine Erklärung, die dann auch verlesen wurde. Diese unter anderen von dem Harvard-Professor David R i e s m a n sowie dem berühmten Sozialpsychologen Erich Fromm unterzeichnete Erklärung enthielt eine Reihe von Punkten, die echtes Verständnis für die Sowjets zeigten. Es wurde an die Opfer der Sowjetrussen im zweiten Weltkrieg erinnert.

Weiter wurde jedoch dargetan, daß die Friedensorganisationen des Ostens und des Westens grundsätzliche Unterschiede aufweisen. Während die Friedensorganisationen der USA die Atomversuche der USA und der Sowjetunion verurteilen, verurteilen die Friedensorganisatiönen der Sowjetunion nur die des Westens. Deshalb können auch die Friedensorganisationen der USA nicht gemeinsame Sache mit jenen des Ostblocks machen.

Die Amerikaner schlugen mehr Kontakte vor, sie verlangten eine Zurückstellung des ideologischen Moments in den Verhandlungen. Sie gingen sehr detailliert und sachlich auf Gemeinsamkeit und Differenzen der Abrüstungsprogramme ein. Sie- verlangten Zusammenarbeit der beiden Großmächte bei der Hilfe für die Entwicklungsländer.

Abgesehen davon, daß ihre Erklärung zu lang war, enthielt sie nichts Provokantes und war von einem echten Friedensimpuls gekennzeichnet. Sie hinterließ auch keineswegs einen schlechten Eindruck und war realistisch.

Der letzte Tag brachte die Schlußresolution. Sie war eindeutig versöhnlich. Der Erklärung der US-Amerikaner nahekommend, wurde erklärt, daß jeder Abrüstungsplan schwache Punkte habe und daß man sich auf ein Kompromiß einigen sollte. Alle Schlagworte fehlten. Es wurden j e g-liehe Atomversuche, also auch die der Sowjetunion, verurteilt. Somit hatten sich die orthodoxen Würdenträger gegen die Briten ge

Diese keineswegs einseitige Resolution war eine echte Leistung. Zwar war sie allgemein und enthielt wenig Konkretes. Aber ihre Nichtaggressivi-tät ist sicherlich bemerkenswert.

Echte Meinungen — ein Fortschritt!

Man kann nun diese Resolution als eine Frucht der zielbewußten und sachlichen Arbeit der Vertreter des Westens am Kongreß ansehen, denen der „Osten“ eben Zugeständnisse machen mußte. Aber eine solche Sicht der Dinge wäre völlig verkehrt. Denn die Sowjets hätten es, besonders bei der Schlußregie, in der Hand gehabt, auf Grund der Mehrheit, die die Kommunisten auf diesem Kongreß bildeten, in einem pseudodemokratischen Verfahren die aus dem Westen kommenden Teilnehmer einfach überstimmen können. Allerdings wäre der Bruch zwischen Ost und West ein-

deutig zum Ausdruck gekommen. Weiter hatten es die Sowjets ja in der Hand, durch Verweigerung von Einreisevisa a priori nur unprofilierte Meinungsträger aus dem Westen hereinzulassen. Es mußte ihnen von vornherein klar sein, daß es sich etwa bei den Briten um alles andere als um Kommunisten oder bedeutungslose Schwärmer handeln würde. Die Sowjets mußten also wissen, daß der Kongreß zuletzt eine neutrale Botschaft formulieren mußte, sollte sie allgemein Zustimmung finden. Sie waren demnach a priori mit ihr einverstanden, was auf eine Kompromißbereitschaft bei ihnen schließen läßt.

Anderseits erhebt sich die Frage, warum sie dann einen solchen Kongreß brauchten, um solche Kompromißbereitschaft zu demonstrieren. Man kann hier wiederum kurzschlüssig erklären, das sei eben alles Propaganda. Nun waren propagandistische Absichten zweifellos gegeben, aber sie richteten sich keineswegs nur gegen die Position des Westens. Denn die Sowjetrussen hatten unterirdisch einen harten Kampf gegen den Radikalismus im Osten und in den Entwicklungsländern zu führen, wobei sie noch über den Schatten der eigenen aggressiven Ideologie springen müssen.

Und nun spielten die profilierten Vertreter des Westens in ihrem friedlichen Konzept als latente Verbündete gegen den Radikalismus im eigenen Lager eine denkbar positive Rolle. Sie halfen den Sowjetrussen, sich auf die kompromißbereite Rückzugslinie abzusetzen. Hätten die Vertreter des Westens gefehlt, hätten die Sowjets einfach einer Resolution „gegen Imperialisten, Kapitalisten usw.“ zustimmen müssen, ohne es im Grund zu wollen.

Zusatzanträge in Richtung auf Verurteilung der USA (aus den Entwicklungsländern) wurden recht elegant, indem höflich Verständnis gezeigt wurde, abgewiesen.

Wie mir ein Brite sehr glaubhaft mitteilte, haben die Sowjetrussen bei der Abfassung gerade der Schlußresolution sich bei der Bremsung der aggressiven Radikalen engagiert. Innerhalb des politisch Möglichen muß man immer den Spielraum zu erfassen trachten, der einer politischen Kraft eingeräumt ist. Wenn hier also die Vertreter des Westens den Russen halfen, Friedfertigkeit durchzusetzen, so halfen sie jenen Kräften im Osten, mit welchen man sprechen kann. Ihre Teilnahme war somit — nach Ost und West hin gesehen, ein echter Friedensdienst.

All dies soll natürlich nicht zu Illusionen verleiten. Denn man muß sich klar sein, was eine Totalabrüstung allein für die beiden Großmächte bedeuten würde. Ohne Rotchina gibt es keine Totalabrüstung. Aber die Anerkennung Rotchinas bedeutet für die USA einen fast unmöglichen psychologischen Sprung. Anderseits, was wird in Ungarn, Bulgarien und Rumänien, in Polen und in der CSSR sein, wenn es dort weder Sowjetsoldaten noch eigene Heere gibt? Man wird sich auf einen langen Weg zum Frieden gefaßt machen müssen. Aber man sollte alles tun, um ihn zu gehen.

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