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Als der Justizpalast brannte

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Am 15. Juli 1927 brannte der Justizpalast. Wie konnte es dazu kommen? Eine Analyse.

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Am 15. Juli 1927 brannte der Justizpalast. Wie konnte es dazu kommen? Eine Analyse.

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Nichts wird den drei Angeklagten, die am 30. Jänner in Schat L1 tendorf in eine Menschenmenge hineingeschossen ... haben, ... geschehen, kein Haar wird ihnen gekrümmt werden: die eidbrüchigen Gesellen auf der Geschworenenbank haben sie von allen Schuldfragen freigesprochen, und unter dem Siegesgeheul der angesammelten Frontkämpfer sind sie, die zwei Menschenleben auf dem Gewissen haben, sofort in Freiheit gesetzt worden ...”

So reagierte Friedrich Austerlitz, der Chefredakteur der „Arbeiterzeitung”, im Leitartikel seines Blattes am 15. Juli 1927 seine Wut über das Urteil ab, mit dem die Geschworenen einen Schlußstrich unter die Ereignisse von Schattendorf ziehen sollten (siehe FURCIIE 4/97). „Die Versagung der Gerechtigkeit ist das Schlimmste, was den arbeitenden Menschen angetan werden kann”, fuhr Austerlitz fort. „Wenn sie das einmal erkennen und ihr Bewußtsein von dieser niederdrückenden Tatsache erfüllt wird, so ist es um die Rechtsodnung geschehen.” Und er schloß: „Die bürgerliche Welt warnt immerzu vor dem Bürgerkrieg, aber ist diese aufreizende Freisprechung von Menschen, die Arbeiter getötet haben, weil sie Arbeiter getötet haben, nicht schon selbst der Bürgerkrieg? Wir warnen sie alle, denn aus einer Aussaat von Unrecht, wie es gestern geschehen ist, kann nur schweres Unheil entstehen.”

„Das war die Probe aufs Exempel der Sprache des Linzer Programms” (der Sozialdemokraten vom 3. November 1926), urteilt der Seipel-Biograph Klemens von Klem-perer. „In der geladenen Atmosphäre dieses Sommertages sollte die Radikale Phrase' als ,Ersatzhandlung' seitens der Arbeiterschaft dienen, gleichsam als Ventil für den geballten Unmut des Arbeiters. Indes fragt sich, ob nicht auch Austerlitz wie Otto Bauer in Linz Dialektik und Politik verwechselt und damit, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, die Arbeiter zum Aufstand angestachelt hatte.”

Und auch der Historiker Walter Goldinger urteilt, Austerlitz habe den Funken ins Pulverfaß geworfen. „Auch er wollte keine Revolution herbeiführen, er wollte nur die Regierung und ihre Anhänger in den Augen der sozialistischen Arbeiterschaft vernichtend treffen. In wahrer Ver-; b}endung-berauschte er sich an tönenden Worten und ahnte nicht, daß die Flammen seiner I .eidenschaft wonige Stunden später im brennenden Justizpalast emporlodern würden.”

Die Stimmung war sicher angeheizt, das Urteil des Geschworenengerichtes mit Spannung erwartet worden. Noch am Abend des 14. Juli kam es vor dem Gerichtsgebäude und in einigen Arbeiterbezirken zu Demonstrationen gegen die „Arbeitermörder”, gegen die „Klassenjustiz”.

In den frühen Morgenstunden fragte der Betriebsrat der E-Werks-Bediensteten in der Parteizentrale nach Weisungen - und bekam keine. Worauf der Strom abgestellt wurde, die Straßenbahnen stehen blieben und die Arbeiter marschierten.

„Die Partei konnte in diesem Augenblick, da jedermanns Rechtsbewußtsein verletzt aufschrie, nicht wieder beschwichtigen und beruhigen”, begründet der sozialistische Publizist Otto Leichter das Schweigen der Parteizentrale. „Sollen die Bürgerlichen nur einmal sehen, daß sich die Arbeiter nicht alles gefallen lassen! Es wird schon nichts geschehen - das war die Meinung anderer. So ließ man den Hexenkessel der Empörung bis zum Morgen weiterbrodeln, ohne ein Ventil zu schaffen. Die Sozialdemokratie ... verkannte zweifellos die Größe der Gefahr. Die Partei blieb in diesem entscheidenden Augenblick inaktiv -die Massen traten ohne Parole in Aktion.”

Um neun Uhr früh bewegte sich der Demonstrationszug der E-Werks-Arbeiter, verstärkt durch die Genossen aus den Fabriken, aber auch durch Jugendliche und gewaltbereite Elemente über den Ring - ohne Ordner, die sonst bei Demonstrationen dafür zu sorgen hatten, daß die Massen nicht durch den Anblick von Polizisten gereizt würden.

„Leidenschaftliche Rufe gegen die Klassenjustiz, drohende Rufe gegen die

Faschisten, grenzenlose Erregung der marschierenden Massen - das war keine der üblichen ruhigen und disziplinierten Demonstrationen der Wiener Sozialdemokraten. Das war von Anfang an ein Ausbruch lang unterdrückter Leidenschaft” (Leichter).

Der Versuch, das Universitäts-

Hauptgebäude zu stürmen, scheiterte an den verschlossenen Toren. Das Polizeiwachzimmer in der Lichtenfelsgasse wurde angegriffen - aber noch immer ließ sich keiner der im Rathaus amtierenden Parteifunktionäre sehen.

Als vor dem Parlament die ersten Steine gegen die wenigen Wache haltenden Polizisten flogen, drängte eine Abteilung der berittenen Sicherheitswache die Demonstranten zurück - und heizte damit die Empörung weiter an. Mit Balken und Latten von einer nahen Baustelle wurden erste Barrikaden errichtet.

Erst gegen elf Uhr, als die Polizei die Fläche vor dem Haupteingang des Justizpalastes räumen wollte, zog eine Abteilung des Schutzbundes auf - ein Teil bemüht, die Genossen von Exzessen abzuhalten, andere mit den Demonstranten solidarisch.

„Und plötzlich war aus der spontanen Demonstration eine wilde Aktion geworden, gegen die die Polizei völlig machtlos geworden war. Vor dem Justizpalast ... staute sich die Menge ... Akten flogen aus dem Gebäude, in das einige Demonstranten geklettert waren. Und plötzlich brannten ein paar Aktenbündel...” (Leichter).

Die „spontanen Demonstranten” waren gut mit Benzin versorgt. Sie schlugen im Erdgeschoß die Scheiben ein, drangen ein, zerstörten die Einrichtung, warfen Aktenbündel ins Freie, die brennend wieder zurückgeworfen wurden. Sie gaben die Parole durch: „Die Akten verbrennen, die Wachleute ausräuchern!”, schildert Heinrich Drimmel, später Unterrichtsminister, das Geschehen.

Theodor Körner, später Bundespräsident, bemühte sich als Chef des Schutzbundes, Blutvergießen zu verhindern. Mit Windjacken seiner Schutzbündler getarnt, konnten Wachebeamte aus dem brennenden Haus gebracht werde Körners Bemühungen, die Demonstranten zu beruhigen, blieben erfolglos.

Die schwachen Polizeikräfte, nur mit Säbel bewaffnet, sahen sich zahlenmäßig vielfach überlegenen, mit Latten und Knüppeln ausgerüsteten Bandalierern gegenüber - Wasserwerfer, Tränengas, Schutzschilde gegen Steinwürfe waren 1927 unbekannt.

Während Bürgermeister Karl Seitz und Schutzbundführer Julius Deutsch sich vergeblich bemühten, auf ihre Genossen Einfluß zu nehmen, suchte Polizeipräsident Johannes Schober nach Unterstützung für seine Ordnungshüter. Seitz als Landeshauptmann wie Heeresminister Carl Vaugoin lehnten einen Einsatz des Bundesheeres ab. Schließlich ließ Schober mit Zustimmung der Regierung Gewehre aus Heeresbeständen an die Polizei austeilen.

Und dann traf zusammen, was die besondere .Tragik dieses Tages bedeutete: Seitz versuchte vergeblich, auf einem Spritzenwagen stehend, der Feuerwehr den Weg durch die Menschenmassen zum brennenden Justizpalast freizumachen - hinter ihm wurden die Schläuche der Feuerwehr zerschnitten. Julius Deutsch erinnerte sich später, ihm wäre es fast gelungen, einen Löschwagen durchzuschleusen - in dem Moment fielen die ersten Schüsse.

Die mit Gewehren ausgerüsteten Polizisten schössen zunächst über die Köpfe weg, dann aus der Hüfte heraus in die Menge hinein ...

Wieviele waren es, die einander vor dem Justizpalast gegenüberstanden? Leichter stellt 600 Polizisten 1.000 bis 2.000 Demonstranten gegenüber. Nach Drimmel wäre die Menge - „eine bereits in Brandstiftungen, Plünderungen und Gewalttätigkeiten an Polizisten verwickelte

Masse” - durch den Zuzug von Nachzüglern und Neugierigen auf Zehntausende angewachsen gewesen.

Vor dem Einsatz der Schußwaffen waren auf beiden Seiten etwa gleich viele Verletzte zu verzeichnen gewesen. Die Endbilanz des 15. Juli zählte nach dem Polizeibericht auf Seiten der Ordnungshüter vier Polizisten und einen Bundesheeroffizier als Tote, 61 Schwer- und rund 460 Mittel- und Leichtverletzte auf, unter den Demonstranten aber 8 1Tote, 57 Schwer-und 196 Leichtverletzte.

Der Brand im Justizpalast konnte erst in den Mittagsstunden des 16. Juli eingedämmt werden. Auf einem „Nebenkriegsschauplatz” wurden unterdessen die Redaktionen der großdeutschen „Wiener Neuesten Nachrichten” und der „Reichspost” gestürmt und geplündert. Ihnen hatte Austerlitz in seinem Leitartikel „infame Hetze” vorgeworfen.

Der am Samstag, 16. Juli, ausgerufene Verkehrsstreik wurde am Montag abgebrochen. In den westlichen Bundesländern griff die Heimwehr gegen die Streikenden ein, und Bundeskanzler Ignaz Seipel bestand darauf, erst zu verhandeln, wenn der Streik beendet würde. Dann aber sagte er den Vertretern der Sozialdemokraten zu, keine Repressalien gegen die Teilnehmer an den Demonstrationen anzuwenden. 232 Personen, die verhaftet worden waren, wurden in zehn verschiedenen. Schwur-gerichtsprozessen freigesprochen.

Und auch auf der Linken war man bemüht einzulenken: „Die Partei vermied das Äußerste..., die Bewaffnung der Polizei mit der Bewaffnung der Arbeiter zu beantworten” (Leichter). Otto Bauer begründete einige Wochen später: „Was wir in einer Zeit akuter revolutionärer Spannung nicht wagen konnten, jetzt zu wagen, wo die Reaktion in Europa viel stärker ist, wäre ... sicherer Selbstmord gewesen ...”

Die Toten des 15. Juli wurden „in imposanten Trauerzügen” (Drimmel) zu Grabe getragen, die einen unter „einem Meer von roten Fahnen”, die andern unter Beteiligung der ganzen Bundesregierung und von Abordnungen des Bundesheeres und der Gendarmerie. Sie liegen heute noch streng getrennt im ewigen Schlaf ...

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