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Als in Wien das Licht ausging

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Vor 60 Jahren konnte man nicht mehr miteinander reden: die Konflikte zwischen den beiden politischen Lagern mündeten im Bürgerkrieg.

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Vor 60 Jahren konnte man nicht mehr miteinander reden: die Konflikte zwischen den beiden politischen Lagern mündeten im Bürgerkrieg.

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Wer eigentlich begonnen hat, ist nicht klar: man weiß nur, wer den ersten Schuß abgab. Doch scheint diese Feststellung im Grunde nicht so wichtig, weil es sicher ist, daß beide Parteien, jede mit der Hoffnung auf Sieg, beginnen wollten. Es ist mehr eine Frage des Alibis und weniger der Unschuld, was nicht immer identisch ist.“ (Hanns Leo Mi- koletzky, Österreichische Zeitgeschichte)

Wie konnte es dazu kommen?

Als am 12. Februar 1934 gegen Mittag in Wien der Strom ausfiel, die Straßenbahnen stehen blieben und kurz darauf Heeres- und Polizeiverbände durch die Straßen fuhren, dämmerte es den Menschen: es herrscht Bürgerkrieg. Seine Wurzeln reichten bis 1918 zurück.

Aus dem-Chaos zwischen Zusammenbruch und Bildung der Ersten Republik entstehen die Kommunistische Partei, die Roten Garden — mit der Hoffnung, wie in Rußland, in Ungarn, in Bayerij eine österreichische Räterepublik errichten zu können. Mit der Bildung der Volkswehr, der Entwaffnung der Roten Garden nach ersten Unruhen tritt die junge Regierung dieser Gefahr entgegen.

In Kärnten tobt seit Ende 1918 der Abwehrkampf gegen die territorialen Aspirationen des SHS-Staates. Die Kärntner werden von Freiwilligen aus anderen Teilen Österreichs unterstützt - und wie für die Kommunisten in Wien Lenin und Trotz - ki die Idole sind, so für die Kämpfer im Süden die deutschen Freikorps im Baltikum und in Oberschlesien.

1920 zerbricht die Koalition aus Sozialdemokraten, Christlich-Sozialen und Großdeutephen. Die Linke geht in Opposition - und bleibt dort bis zum Ende der Demokratie. Von nun an aber stehen einander die beiden Lager scheinbar unversöhnlich gegenüber. Die jeweils mit Ausschließlichkeitsanspruch vertretenen Positionen sind miteinander unvereinbar. Nur eines ist ihnen gemeinsam: die Angst der „Marxisten“ vor einer monarchistischen „Reaktion“ gegen die junge Republik und der „Antimarxisten“ vor einer drohenden „Bolschewisierung“. (Kurt Peball, Die Kämpfe in Wien im Februar 1934)

In der Regierung sieht man mit Mißtrauen auf die links angesiedelte Volkswehr. Das neue Bundesheer wird von Volkswehrmitgliedern gesäubert, zur regierungstreuen Truppe umfunktioniert. Das veranlaßt wieder die sozialdemokratische Führung, ihrerseits eine Schutztruppe aufzustellen, den Republikanischen Schutzbund, von ehemaligen Offizieren organisiert und geführt — Spitzenfunktionär ist der hochdekorierte Major a. D. Alexander Eifler — und über die Gewerkschaften fest in der Industriearbeiterschaft und unter den Eisenbahnern verankert.

TIEFES MISSTRAUEN

Auf der anderen Seite entsteht aus Interessenvereinigungen ehemaliger Frontsoldaten, aus legitimistischen und deutschnationalen Bünden und Korps ein dichtes Netz von „Heimwehren“, die 1925 bereits über rund 100.000 Mann verfügen.

480.000 Arbeitslose, fast ebenso viele „Ausgesteuerte“ bieten den Wehrverbänden beider Seiten ein schier unerschöpfliches Nachwuchsreservoir - denn dort bekommen sie Taggeld und Verpflegung. Und rechtsaußen bilden bald SS und SA der NSDAP eine dritte Kraft im latenten Bürgerkrieg.

Die Regierung Dollfuß, die seit dem März 1933 ohne Parlament re gierte, versuchte, den Gordischen Knoten zu zerschlagen. Schutzbund KPÖ, NSDAP, einige Heimatschutzgruppen wurden aufgelöst. Zur Kon trolle der antimarxistischen Wehrverbände sollten Assistenzkörper des Bundesheeres und das „Freiwillige Schutzkorps“ die Regierung unter stützen. Die Sozialdemokraten reagierten mit der Umbildung des Schutzbundes.

„Das alles zusammen ergat schließlich die tragische Situation daß in einer latenten Bürgerkriegsatmosphäre die legale staatliche Exe kutive — und hier vor allem das Bundesheer - intervenieren mußte, womit es sich für die Zukunft schweren Vorwürfen aussetzte, während in Wahrheit ganz andere Leute von Anfang an aufeinander schießen wollten.“ (Peball)

Auf beiden Seiten mißtraute man dem Gegner, argwöhnte Putschplä ne - und entwarf generalstabsmäßige Vorkehrungen zum Gegenschlag. Auf der Linken entwickelte Eifler einen „Aktionsplan“ für Wien und die Bundesländer, der für den Fall eines „Heimwehrputsches“ die Ausrufung des Generalstreiks, die Besetzung der Regierungsgebäude und die Festnahme von Geiseln (nach genauen Namenslisten) vorsah.

WAFFENLAGER

Die Gegenseite wollte, um dem entgegenzutreten, rechtzeitig vorher die Spitzenfunktionäre des Gegners festsetzen und die Waffenlager beschlagnahmen. Damit begann Innenminister Emil Fey schon Ende Jänner 1934. Die Hausdurchsuchungen begannen in Wiener Randgemeinden. Bis 10. Februar saßen Eifler und etwa 100 seiner Schutzbundführer hinter Schloß und Riegel.

Gab Dollfuß Mussolinis Druck nach? Drängten einzelne Heimwehrführer die Regierung, die Sozialdemokraten von ihren letzten Positionen zu entfernen? „Auf jeden Fall sahen sich die sozialdemokratischen Führer in eine fast verzweifelte Lage versetzt“. (Peball) Der linke Partei - flügel forderte radikale Maßnahmen, die Parteiführung bremste. Im Februar war es zu spät, sich mit Erfolg zu wehren.

AUF DEM ZENTRALFRIEDHOF

Als auch in Oberösterreich die Schutzbund-Vertrauensleute „erfaßt“ werden sollten, befahl deren Landesleiter Richard Bernaschek die Bewaffnung des Schutzbundes. Die Wiener Parteileitung versuchte zu bremsen. Als in den Morgenstunden des 12. Februar Polizei das Hotel Schiff in Linz durchsuchen wollte, fiel aus einem Fenster der erste Schuß — ohne zu treffen. Die Schießerei dehnte sich auf andere Stadtteile, dann auf die großen Industrieorte in Oberösterreich und der Steiermark aus. Gegen zwölf Uhr gingen in Wien die Lichter aus.

In Wien standen etwa 15.000 Schutzbündler rund 20.000 Mann aus Bundesheer, Polizei und Wehrverbänden gegenüber. Brennpunkte der Kämpfe waren vor allem die großen Gemeindebauten in Margareten, Meidling, Ottakring, Simmering und Döbling, der Zentralviehmarkt und die Donaubrücken. Das Bundesheer setzte Artillerie ein, um den Kampf Mann gegen Mann in den Großbauten zu vermeiden.

Bis zum 16. Februar gab es noch Widerstandsnester, die Durchsuchungsaktionen der Exekutive dauerten bis zum 21. Februar. Die geschlagenen Schutzbündler versuchten, durch die-Kanalisation zu entkommen. Viele, darunter ihre Führer Julius Deutsch und Otto Bauer, setzten sich in die ČSR an.

Die Regierung meldete nach Abschluß der Kämpfe 49 Tote auf ihrer, 118 auf der Gegenseite. Die Sozialdemokraten schätzten ihre Verluste auf 1.500 bis 2.000 Tote. Gegen 5.000 Verwundete sollen sich noch wochenlang im Kanalnetz versteckt gehalten haben. Standgerichte verurteilten zehn Schutzbundführer zum Tod.

Die Toten des Februar 1934 hegen noch heute streng von einander getrennt auf dem Zentralfriedhof. Die Überlebenden fanden erst im nationalsozialistischen KZ zum Verständnis für den Gegner von einst.

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