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Als Msgr. Pacelli in Wien war...

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DER VATIKAN UND DER KRIEG. Von Alberto Gio vanrtetti. J.-P.-Bachem-Verlag, Köln. 345 Seiten. Preis 18 DM.

Der Verfaiser, Prälat des päpstlicher Staatssekretariat?, gab vor kurzem aal italienisch die Aktenveröffentlichung „II Vaticano e la Guerra“ (1939—1945>, Liberia Editrice Vaticana, heraus, die nun auch in deutscher Ubersetzung vorliegt. Im Vergleich zur italienischen Ausgabe ist die deutsche entschieden umfangreichci und durch zahlreiche interessante Dokumente bereichert.

Bereit) in der Einleitung erfährt dei Leser eine bisher nicht bekannte historische Begegnung. Benedikt XV. entsandte im Jänner 191$ den damals jungen Hausprälaten und Sekretär der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, Msgr. Pacelli, nach Wien, um Kaiser Franz Joseph zu besonderer Nachgiebigkeit in den Verhandlungen mit Italien zu bewegen. Trotz des formal noch bestehenden Dreibundes verlangte Italien damals die Abtretung des Trentino (Welschtirols) und eine Grenzverbesserung am Isonzo. Msgr. Pacelli traf am 14. Jänner 191$ in Wien ein und wurde bereits am 15. Jänner vom Kaiser empfangen. Weitere Gespräche führte er mit Außenminister Burian und dem ungarischen Fürstprimas Csernoch. Am 19. Jänner war Pacelli wieder in Rom. Kaiser Franz Joseph bedeutete dem jungen Prälaten, daß Gebietsabtretungen am Beginn des Krieges auf Grund nationalstaatlicher Uber-legungen die Auflösung des Vielvölkerstaates einleiten würden. „Wenn man untergehen muß, soll man in Ehren untergehen“, sagte der greise Kaiser dem späteren Papst. !

Der Verfasser dieser Aktenveröffentlichung fügt hinzu, daß die Mission Pa-cellis im Jänner 1915 von gewissen Mitgliedern der römischen Regierung nicht ungern gesehen wurde. Vermutlich waren es Minister, die Giolitti nahestanden, jenem weisen italienischen Staatsmann, der den Kriegseintritt immer abgelehnt hat. Allerdings schrieb der damalige italienische Botschafter in Wien,-Herzog von Avarna, am 20. Jänner 1915, daß ihm ein Reisender aus Italien gesagt habe, die öffentliche Meinung des Landes verlange den Krieg (Rivista Storica Italiana vol. LXI, Seite 554 bis 556). Diese Stelle muß man auch mit dem Gespräch Friedrich Funders mit einem trientinischen Politiker vergleichen („Vom Gestern ins Heute“, Seite 527). Wie Dr. Funder dem Rezensenten sagte, war der so scharf gegen die Abtretung des Trentino Stellung nehmende Parlamentarier niemand anderer als AIcide de Gasperi.

Der größte Teil des Buches ist der Haltung des Heiligen Stuhles im zweiten Weltkrieg gewidmet. Einige interessante Einzelheiten müssen besonders hervorgehoben werden. Nach seiner Papstwahl erörterte Pius XII. mit den in Rom anwesenden deutschen Kardinälen die Lage ]er Kirche im nationalsozialistischen Deutschland und die eventuellen Möglichkeiten für eine Besserung der Beziehungen wischen Kirche und Staat. Ein Komitee ran drei Bischöfen, Dr. Beming (Osnabrück), Graf Preysing (Berlin), Weihbischof DDr. Andreas Rohracher (Gurk), wurde eingesetzt, um gegebenenfalls Verhandlungen zu führen. Es kam zu keinem Erfolg. Hitler beantwortete das Schreiben des fapstes, womit dieser offiziell seine Wahl nitteilte, erst nach zwei Monaten mit einem farblosen Brief. Im Sommer 1939 internahm der Heilige Stuhl zahlreiche iiplomatische “Versuche, um eine inter-lationale Entspannung herbeizuführen. Der ekannte Jesuitenpater Tacchi-Venturi rurde auch von Mussolini empfangen, um :in Gespräch in Gang zu bringen. Alles >hne Ergebnis, aber nicht nur wegen der iblehnenden Haltung der beiden Dikta-oren, auch in den westlichen Demokratien tonnte man sich noch nicht von den Vor-irteilen aus der Zeit Benedikts XV. be-reien und befürchtete, eine päpstliche nitiative zu Verhandlungen würde nur len Achsenmächten zum Vorteil gereichen. Gewisse Äußerungen zeigen, daß man sich ii den Staatskanzleien des Westens einem eichtfertigen Optimismus hingab. Alexis iger, der Generalsekretär des Quai l'Orsay, sagte im Juni 1939 zum Nuntius Asgr. Valerio Valeri, die Lage Deutsch-inds werde immer kritischer, auch vom hysischen Gesichtspunkt aus gesehen, rachse eine schlecht ernährte, kränkliche Generation heran. Wenn ein Krieg ausreche, werde Deutschland nicht über die Mobilmachung hinauskommen.

Besonderer Dank gebührt dem Verfasser lafür, daß er die unbeirrbare und un-rmüdliche Fürsprache des Heiligen Stuhles ür das völlig entrechtete polnische Volk ntsprechend würdigt, obwohl Ribbentrop lern Nuntius Msgr. Orsenigo mitteilen ieß, daß er von der Berliner Nuntiatur iur Eingaben, die das Altreich betreffen, ur Kenntnis nehmen könne. In einer Interredung mit Unterstaatssekretär Woer-iann brachte aber der Nuntius auch das Jespräch auf die beispiellosen Grausamkeiten, die im Generalgouvernement ver-ibt wurden, und verlangte eine strenge Intersuchung. Berichte hierüber waren lern Nuntius von deutscher Seite zu-egangCn.

Die Gespräche Pius' XII. und Kardinal Magliones mit Ribbentrop und dem amerikanischen Unterstaatssekretär Sumner Welles werden ebenfalls ausführlich dargestellt. Ebenso erwähnt werden auch die Kontakte mit der deutschen Opposition im Jahre 1940, die über den Heiligen Stuhl Friedensmöglichkeiten sondierte; der spätere bayrische Minister Joseph Müller war damals der Verbindungsmann.

Die Errichtung einer japanischen Botschaft beim Heiligen Stuhl hat die Westmächte sehr beunruhigt. Der amerikanische Geschäftsträger trug, ob man auch einen russischen Vertreter empfangen würde. Auch in der Presse der angelsächsischen Länder wurden Versuchsballons in dieser Richtung losgelassen. Doch es blieb bei der lächelnden Feststellung Kardinal Magliones: „Bis jetzt haben diese Herren

nicht angesucht!“ Die Frage der diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl hat während des Krieges immer besondere Bedeutung. Es ist bezeichnend, daß verschiedene Regierungen, die in Friedenszeiten den Heiligen Stuhl durch Auflassung ihrer diplomatischen Vertretung brüskiert hatten, dann gekränkt waren, daß eine Wiederaufnahme der Beziehungen nicht ermöglicht wurde.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das Buch ein wertvoller Beitrag zur diplomatischen Geschichte und Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges ist. Die heutigen Geschichtsschreiber können daraus mit gewisser Wehmut ermessen, wie viele interessante Einzelheiten die Archive des Heiligen Stuhles späteren Generationen noch einmal offenbaren werden.

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