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Als Österreich den Sturm bestand

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Mit diesem Beitrag setzt die „Furche“ ihre Veröffentlichungen aus dem 2. Band des Memoiren- werks ihres Herausgebers fort.

Dem Juliabkommen ist Franz von Papen schon an der Wiege Pate gestanden. Wie dies kam, ist eine Geschichte von fast tragischer Dramatik. Sie beginnt mit dem 30. Juni 1934, der Bartholomäusnacht des Dritten Reiches, in der auch zwei der jüngsten Mitarbeiter Papens, sein Sekretär E. Jung und sein Pressereferent Major Bose, durch Mörderhände den Tod fanden und er, der Vizekanzler des Deutschen Reiches, knapp dem gleichen Schicksal entrann. So tief packte ihn das schreckliche Erlebnis jener Tage, daß er beschloß, seine Staatswürde niederzulegen, seine Koffer zu packen und sich in das Privatleben zurück- züziehen.

Aber es kam anders.

In der Nacht nach jenem 25. Juli, da der Kanzler Dollfuß bei dem nationalsozialistischen Anschlag gegen die österreichische Regierung unter den Kugeln eines Putschisten verblutete, wurde, Papen in Berlin aus Bayreuth von Hitler ans Telephon gerufen, der in höchster Erregung von ihm verlangte, sofort nach Wien zu reisen und dort nach dem Rechten zu sehen. „Sie sind die einzige Person“, hatte ihn Hitler beschworen, „die die Situation retten kann. Ich flehe Sie an, meine Bitte auszuführen!“ Als Papen am Morgen des 26. Juli in Bayreuth bei Hitler erschien, um über sein Mandat zu verhandeln, fand er dort, wie er in seinem dem Wiener Prozeß vorgelegten Memorandum berichtet, „Hitler und seine ganze Umgebung .aufgeregt wie ein Ameisenhaufen'; es war schwer, ein annähernd genaues Bild über den Putsch in Wien und die Rolle der Anstifter Hitlers zu bekommen. Sogar wenn jemand in voller Unwissenheit der verschiedenen Umstände in diese Versammlung gekommen wäre, so hätte er mit einem Blick ersehen, daß sie ein sehr schlechtes Gewissen hatten und nun die Folgen fürchteten.“

In seinem nächtlichen Telephongespräch aus Berlin hatte Papen noch abweisend gegenüber

Hitler erklärt: „Nach allem, .was geschehen ist,

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Kenntnis der Erlebnisse oder der Politik, die in Wien folgen wird, eine Aufgabe zu übernehmen. Der 30. Juni hat zwischen uns eine unüberbrückbare Kluft geschaffen!“ Ein paar Wochen später war diese Kluft bereits geschlossen und Papen als Hitlers mit höchsten Versicherungen ausgestatteter Vertrauensträger in Wien mit dem Titel eines Außerordentlichen Gesandten eingetroffen. Er kam mit dem Man dat, eine Verständigung anzubahnen, die einen Akt der Versöhnung und des Friedens bezeugen und — wie es die Oesterreicher verstanden — vor allem auch den Angriffen auf die Freiheit und Selbständigkeit Oesterreichs in jeder Weise ein Ende setzen sollte. Man muß sich diese knappen Zusammenhänge Vorhalten, um Papen, den Hauptakteur, in dem Ablauf des Dramas zu verstehen.

Doch es war so viel bis zur verbrecherischen Gewalt gesteigertes Böses geschehen, daß das Abkommen von dem ersten Tag seiner Geltung an von Mißtrauen umschattet war. Argwohn richtete sich gegen jeden, der als Unterhändler der Werkstatt dieses Abkommens in die Nähe kam, nicht zuletzt gegen Papen, der, im Gegensatz zu den um den illegalen Gauleiter Leopold gescharten aktionsdurstigen Plänemachern, das Abkommen brauchbar zu machen suchte für eine Politik der geduldigen schrittweisen Annäherung an das Ziel eines gewiltlosen Anschlusses. Eines Tages sollte der Anschluß wie ein reifer Apfel dem Gärtner in den Schoß fallen. Das war nun gegen das Ver- tragsJd, das dem österreichischen Partner vorschwebte. Wo aber Papen hinauswollte, das nagele er später in seinem Memorandum über Oesterreich mit aller wünschenswerten Lesbarkeit an: „Meine erste Aufgabe auf diplomati schem Gebiet war, das österreichische Problem seines europäischen Charakters zu berauben und es langsam in ein ausschließlich internes Problem zwischen dem Reich und Oesterreich zu entwickeln1.“

Das war die Diplomatie des Gärtners mit dem reifen Apfel. Nicht minder vielsagend versichert Papen dem Führer und Reichskanzler Hitler in einem am 27. Juli 193 5 aus Wien datierten Kurierbrief: „Der Nationalsozialismus muß und wird die neue österreichische Ideologie überwältigen2.“

Dem Gesandten Papen stand als Oesterreicher in den Verhandlungen und bei der Anwendung des Vertrages der Chef der politischen Abteilung des Wiener Außenamtes, Theodor von Hornbostel, gegenüber, dessen Meisterschaft im diplomatischen Gefechte Papen rasch respektieren lernte. Hornbostel notierte, daß

Papen in Wien als „boykottierter Friedensbote" einen schwierigen Start hatte und „unendlich geschickt und schmiegsam und — illoyal arbeitete." Noch schärfer konterfeite der englische Publizist Frederic Sonders den politischen Unterhändler Papen mit dem lapidaren Satz: „Papens Begabung für Ränkespiel hat nichts Ebenbürtiges im heutigen Europa3."

Bei aller Wendigkeit konnte Papen den gegen ihn gerichteten Argwohn nicht entwaffnen. Allzubald wußte jedermann: Wenn Papen zu katholischen Zuhörern sprach, so war er der kirchentreue Katholik, und er redete von „Klerikalismus", wenn die Zusammensetzung des Publikums eine antiklerikale Note empfahl und Gesinnungskatholiken nicht unter den Zuhörern waren. Er hatte als Reichstagsabgeordneter dem Zentrumsklub, der politischen Repräsentanz des katholischen Deutschtums, angehört, hatte die Mehrheit des Gesellschaftseigentums des alten katholischen Zentralorgans, der Berliner „Germania“, erworben und war Vorsitzender des Aufsichtsrates der Gesellschaft. Er brachte es aber auch zustande, in heftiger Rede gegen den deutschen Episkopat Stellung zu nehmen. Wessen man sich von ihm in der Innenpolitik Oesterreichs versehen mußte, zeigte sein Bericht an Hitler vom

3. Juli 1936, der von einem Gespräch mit Starhemberg Mitteilung macht und Hitler empfiehlt, eine eventuelle Kandidatur Starhembergs als Bundespräsident oder Reir.hsverweser nach erfolgter Befriedung zu unterstützen; ,,s;z würde ein glückliches Gegengewicht geger die allzu klerikalen Tendenzen des Kabinettes Schuschnigg bilden".

Einige persönliche Erinnerungen mögen hier Platz finden, sozusagen kleine politische Landschaftsskizzen.

Papen hatte in Wien bei seiner Ankunft keinen guten Empfang gefunden. Vor ihm verschlossen sich zunächst viele Türen, auf die es ankam. Kardinal Innitzer empfing ihn nicht. Herr von Papen schenkte mir die Aufmerksamkeit, bei mir seine Besuchskarte abzugeben, um damit an wiederholte persönliche Begegnungen und politische Gespräche anzuknüpfen, die vor einem halben Jahrzehnt sich zwischen uns mit heiklen Problemen befaßt hatten. Wie die Dinge lagen, mußte mir klar sein, daß es nicht eine private Visite war, die ich zu erwidern hatte, sondern ein Akt, der bei den gegebenen Umständen für den Chefredakteur der „Reichspost" mit politischer Verantwortung behaftet war und gegen Mißdeutungen geschützt werden mußte. Ich erbat mir deshalb Bescheid von Bundeskanzler Schuschnigg, dem eine lose, nicht offiziöse Verbindung zu dem Gesandten als wünschenswert und vielleicht auch als nützlich erschien. Gedeckt durch den Willen des Kanzlers, machte ich meinen Besuch.

Herr von Papen empfing mich mit gewinnender Liebenswürdigkeit. Bald landete er bei dem erwarteten Thema: Ja. er war gekränkt, er, ein alter Freund Oesterreichs! Er begegne in Wien einer fast feindlichen Stimmung. Am meisten schmerze ihn, daß Kardinal-Erzbischof Innitzer seinen Besuch abgelehnt und damit der Wiener katholischen Gesellschaft ein Zeichen gegeben habe. Bitter beklagte sich Papen bei meinem Besuch, fast scheine es ihm, als wäre er unter Hottentotten geraten. Ich versuchte seinen Aerger zu beschwichtigen und bat ihn, verstehen zu wollen, daß die Oeffentlichkeit seine Persönlichkeit in Widersprüchen befangen sehe, auf die sie sich keinen Reim zu machen wisse. Gestern noch einer der höchsten Würdenträger des Deutschen Reiches, aber von demselben mörderischen Schicksal bedroht, das zwei seiner Mitarbeiter dahingerafft hatte: heute von demselben Regime, in dessen Zeichen jüngst in Oesterreich der Kanzlermord geschehen sei, feierlich als Vertrauensmann in dieses Land ausgesandt. Ich folgerte daraus: es werde viel Geduld und Zeit kosten, um in solcher Lage Verstehen und Verständigung schaffen zu können. — Herr von Pipen war meinen Worten, ohne mich zu unterbrechen, gefolgt. Nach kurzem Schweigen das Gespräch aufnehmend, lenkte er die Pede auf gesellschaftliche Aeußer- lichkeiten. — Ich erstattete dem Kanzler Be richt und blieb mit seinem Vorwissen mit Papen in gelegentlicher Fühlung, einem lockeren Verkehr, in dem man auf allerhand vorbereitet sein mußte. Eines Tages rief der Gesandte mich telephonisch auf: eine sehr unliebsame An gelegenheit verlange nach einer Aussprache mit mir. Eine Stunde später fuhr er in einem offenen, mit einer imposant großen Hakenkreuzflagge geschmückten Wagen am Herold- Hause vor. Bevor der Gesandte noch in mein Arbeitszimmer eintrat, war schon eine Anfrage von auswärts erfolgt, was das Hakenkreuz vor der Redaktion der „Reichspost" zu bedeuten habe. Die Aufregung war bei den damaligen Umständen begreiflich. Die Hakenkreuzfahne war zu jener Zeit verboten, nur der Gesandte durfte sie führen. Papen bat mich, wie er sagte, in einer recht peinlichen Sache. Mit Mühe sei nun das Verhältnis Oesterreich—Deutschland so weit, daß man Schritt für Schritt langsam vorwärtskomme, und da passiere es, daß eine Anzahl Wiener Buchhändler ein Schreiben erhalten hätten, das er mir zeigte. Es enthielt das Ersuchen, die Broschüre „Hitlers Verrat an Südtirol" auffallend in die Auslagen zu stellen und für einen möglichst günstigen Vertrieb zu sorgen; darauf lege das Bundeskanzleramt großen Wert. Papen sagte, in dieser Broschüre seien zwei schwere Fehler enthalten, die von deutscher Seite bereits widerlegt worden seien; nun aber würden diese Unwahrheiten mit Autorität und Empfehlung des Kanzleramtes weiterverbreitet. Es würde zu einer kritischen diplomatischen Intervention kommen, wenn die Sache nicht eher bereinigt werden könne, und es würde sich für den Kanzler eine recht unangenehme Situation ergeben. Eine Entschuldigung würde man da nicht Vorbringen können. Da ich sah, daß die Broschüre im Verlag eines meiner Freunde erschienen war, sprach ich sofort nach Papens Weggang mit diesem Verleger. Es stellte sich heraus, daß eine Angestellte des Verlages' eigenmächtig das Empfehlungsschreiben verfaßt hatte. Gleichzeitig setzte ich mich mit dem Chef des Bundespressedienstes, Ludwig, in Verbindung, um vom Kanzleramt eine Stellungnahme zu erlangen. Binnen zwei Stunden waren zwei schriftliche Erklärungen in meiner Hand, vom Verlag und vom Pressedienst des Kanzleramtes, in denen rundweg erwiesen wurde, daß der Bundespressedienst mit der Broschüre nichts zu tun hatte. Beide Erklärungen übermittelte ich Herrn von Papen. Wie ich später erfuhr, waren innerhalb einer halben Stunde nach dem Eintreffen Papens in meiner Redaktion alle Wiener Gesandtschaften unterrichtet worden, daß im Herold-Hause irgend etwas vorgehe, denn Papen habe dem Chefredakteur Dr. Funder einen Besuch gemacht. Pünktlich ging deshalb auch die Meldung, einer Nachrichtenagentur ein, daß Papen für das Blatt Dr. Funders, die „Reichspost“, Leitartikel schreibe.

Tatsächlich hatte ich einmal einen Beitrag des Herrn von Papen für mein Blatt erhalten; er bestand allerdings nicht in einem Leitartikel, sondern in einer amtlichen Berichtigung seitens des deutschen Gesandten, die eine uns zugegangene und nach dem Original abgedruckte Lagerordnung für die Konzentrationslager von Eschterwege und Dachau als unecht erklärte.

Kurze Zeit später las ich uhter nicht sehr erwünschten Umständen unsere Lagerordnung in Dachau, deren echter Wortlaut mit dem für unecht bezeichneten tadellos übereinstimmte.

Schluß der 'Veröffentlichung in der nächsten Nummer: „Von Flossenbürg nach Baden.“

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