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Als Zistersdorf erschlossen wurde

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Bei einem der schwierigsten Abschnitte der Moskauer Verhandlungen, der Beratung über das „Deutsche Eigentum“, dürfte unser Zistersdorfer Erdölrevier eine wichtige Rolle spielen. Da über seine Genesis vielleicht nicht überall die nötige Klarheit herrscht, scheint es am Platze zu sein, einige Aufklärungen darüber zu geben, um irrigen Annahmen und Schlußfolgerungen rechtzeitig vorzubeugen. Als einstiger Erdölreferent in der Obersten Bergbehörde — der höchsten Instanz in Bergsachen vor dem „Umbruch“ — habe ich den Aufschluß des Zistersdorfer Reviers beeinflußt und miterlebt.

Mit dem Friedensdiktat von St.-Germain wurden die meisten wertvollen Lagerstätten der alten österreichisch-ungarischen Monarchie, insbesondere auch die gesamten Erdölbergbaue, von Österreich abgetrennt, so daß wir beim Bezüge der für das Wirtschaftsleben unentbehrlichen Erdölprodukte ausschließlich auf die Einfuhr angewiesen waren. Im Zuge des Aufbaues des jungen Bundesstaates war es daher eine der wichtigsten Aufgaben der Obersten Bergbehörde, nach einem Ersatz für die verlorengegangenen Erdölreviere zu suchen.

Die Aussichten, in Österreich Erdöl zu finden, waren recht gering. Man hatte Spuren davon nur an einer einzigen Stelle, und zwar bei Taufkirchen in Oberösterreich, aber auch da nur in einer ganz geringen, nicht ausbeutungsfähigen Menge gefunden. Erdgas, das zuweilen allein, in der Regel aber als Begleiter des Erdöls vorkommt, hatte man im Stadtgebiet von Wels aufgeschlossen, wo es noch heute zur Raumheizung und zu gewerblichen Zwecken verwendet wird. Auch eine Tiefbohrung in der Nähe von Wels soll größere Mengen Erdgas ergeben haben. Das war so ziemlich alles, was nach dem ersten Weltkrieg als Anzeichen für das Vorhandensein von Kohlenwasserstoffen in Österreich bekannt war.

In Fachkreisen herrsditen in der Frage eines Erdölvorkommens sehr geteilte Meinungen. Einigen hoffnungsvollen Gutachten standen ebenso viele pessimistische gegenüber. Die letzteren schienen recht behalten zu sollen, denn die während des ersten Weltkrieges und kurz nachher angelegten Tiefbohrungen waren alle ohne Ergebnis geblieben. Diese ständigen Mißerfolge wirkten auf die Schürfer entmutigend und brachten die Bohrtätigkeit langsam zum Stillstand.

Inzwischen hatten aber hervorragende österreichische Geologen — insbesondere Mitglieder der Geologischen Bundesanstalt und der Privatgeologe Dr. F r i e d 1 — in langjähriger Arbeit jene Gebiete ausfindig gemacht, die in erster Linie für das Vorkommen von Erdöl in Betracht kommen konnten. Ein genaues, vergleichendes Studium ihrer Forschungsergebnisse hat in mir die feste Überzeugung wachgerufen, daß in dem Bereiche von Zistersdorf Erdöllagerstätten vorhanden sein müßten. Die Geologen hatten fast einstimmig als das für Erdöl aussichtsreichste Gebiet das sogenannte „W i e n e r Becken“ bezeichnet, das sich von den Ausläufern des Semmering bei Gloggnitz in nördlicher Richtung über Wien bis an die neue österreichische Grenze und darüber hinaus bis Göding erstreckt. Für die ölführung dieses Gebietes sprach, daß in seinem nördlichen Teile, auf tschechoslowakischem Boden, bei Egbell im Jahre 1913 und etwa zehn Jahre später bei Göding, Erdöllager erschlossen worden waren, die eine ansehnliche Produktion ergeben hatten. Diese Tatsache gestattete einen günstigen Rückschluß auf den eine völlig gleiche geologische Sruktur aufweisenden

österreichischen Teil des Wiener Beckens. Seine Ablagerungsverhältnisse ließen wieder den Bereich um Zistersdorf als besonders aussichtsreidi erscheinen.

Bei dieser Sachlage erschien mir der von der Obersten Bergbehörde einzuschlagende Weg vorgezeichnet: Da öffentliche Mittel für kostspielige, immerhin riskante Pionierbohrungen nicht zu erlangen waren und daher eine staatliche Initiative von vornherein ausschied, mußte mit voller Kraft auf die Wiederaufnahme der privaten Bohrtätigkeit hingewirkt werden. Dies geschah im Wege einer sehr nachdrücklichen Einflußnahme auf die Schurfunternehmer. Der nördliche Teil des Wiener Beckens, in dem Zistersdorf gelegen ist, war von Schurf-rechten — sogenannten Freischürfen — reich überdeckt. Ihre Inhaber waren aber zum überwiegenden Teile ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Vornahme von Schürfarbeiten nicht nachgekommen. Die Oberste Bergbehörde stellte ihnen daher die Entziehung ihrer Sdhurfrechte im Wege eines abgekürzten Schnellverfahrens in Aussicht, falls sie auch weiterhin untätig bleiben sollten. Ungefähr gleichzeitig wurden über Anregung der Obersten Bergbehörde auch einige Gesetze verabschiedet, die in bergrechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht die Voraussetzungen für den Aufbau einer Erdölindustrie in Österreich geschaffen haben.

Das energische Einschreiten der Obersten Bergbehörde gegenüber den Schürfern, unterstützt durch die legislativen Maßnahmen und eine eifrige Propaganda in Wort und Schrift, blieb nidit ohne Wirkung: schon bald konnte eine Wiederbelebung der Bohr-tätigktit festgestellt werden, die bereits im August 1930 zum Aufschluß einer geringen Menge Erdöl in unmittelbarer Nähe von Zistersdorf geführt hat*. Zwei Jahre später hat dann die österreichische Unternehmung „Erdöl-Produktionsgesellschaft“ in großer Tiefe eine reiche, ausbeutungsfähige Erdöllagerstätte aufgeschlossen. Auch eine andere österreichische sowie eine englisch-amerikanische Unternehmung konnten bald darauf produktive Bohrungen im gleichen Gebiete aufweisen. Von da ab war beim Zistersdorfer Revier eine stetig ansteigende Entwicklung zu beobachten; Ende 1937 standen bereits sechzehn produktive Bohrlöcher mit einer monatlichen Leistung von rund dreitausend Tonnen im Betriebe.

So hatte sich schon vor dem „Umbrüche“, und zwar innerhalb von knapp fünf Jahren, der Aufschluß des Zistersdorfer Reviers vollzogen. Unsere Fachleute, denen wir dies verdanken, können aus einem Grunde auf ihren Erfolg ganz besonders stolz sein: Während nämlich beim Aufschluß so manch anderer Reviere der Austritt von Erdgas oder Erdöl auf die Erdoberfläche den Geologen und Bohrtechnikern den Weg zu den Lagerstätten gewiesen und so ihre Arbeit vereinfacht und ihr Risiko vermindert hat, konnte sich das Zistersdorfer öl\ wegen seiner Tiefenlage in keiner Weise obertags bemerkbar machen. Seine Auffindung ist daher ausschließlich der großen Tüchtigkeit der österreichischen Geologen in Zusammenarbeit mit den österreichischen Bohrtechnikern zu verdanken.

Gleich nach der Besetzung Österreichs gingen die deutschen Machthaber daran, sich des aufgeschlossenen und im vollen Aufstieg befindlichen Zistersdorfer ölreviers zu bemächtigen. Da das ganze in Betracht kommende Gebiet mit österreichischen Schürf- und' Gewinnungsrechten überlagert war, mußte erst eine Handhabe für das gewaltsame Eindringen der deutschen öl-konzerne geschaffen werden. Dies ist durch eine diktatorische Änderung der österreichischen bergrechtlichen Vorsdiriften erfolgt. Auf diesem Wege konnten nun die Usurpatoren ungehindert einen Teil der Zistersdorfer ölfelder in Besitz nehmen und in schrankenloser Ausbeutung die Früchte österreichischen Geistes und österreichischer Arbeit genießen. Es wäre m. E. daher sehr ungerecht, wollte man die Zistersdorfer Erdöllager, die einem Bruch österreichischer Gesetzesbestimmungen zum Opfer fielen, als ..Deutsches Eigentum“ erklären und damit Österreich eine der wichtigsten Grundlagen seiner Lebensfähigkeit vorenthalten.

* Der erste ölfund wäre wahrscheinlich schon um zwei Jahre früher erfolgt, wenn der Ingenieur F i 1 i p Kraft aus New York meinem Rate gefolgt wäre und in Zistersdorf gebohrt hätte; er ließ sich aber von einem Geologen bestimmen, eine Bohrung südlich von Wien anzulegen. Nachdem diese ganz ohne Ergebnis geblieben war, gab er seine Tätigkeit in Österreich wieder .auf.

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