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Am neuralgischen Punkt

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Die Stellung der deutschsprachigen Schule in Südtirol gründet sich hauptsächlich auf drei Gesetze. Das erste stammt vom 27. Oktober 1945 und ist noch unter der Mitwirkung der englisch-amerikanischen Besatzungsmächte entstanden (die Verhandlungen mit den Amerikanern in Rom waren sehr schwierig, mit den Engländern in Padua leichter). Dieses Gesetz enthält die bedeutsame Bestimmung, daß der Schulunterricht in der Muttersprache zu erfolgen habe, und zwar durch Lehrkräfte, die der Muttersprache der zu unterrichtenden Kinder zugehören; damit war das Prinzip des deutschsprachigen Unterrichtes erreicht und der Primat des italienischen Unterrichtes gebrochen.

Das zweite Gesetz vom 8. November 1946 betraf hauptsächlich den Unterricht an den Mittelschulen, das dritte Gesetz vom Mai 1947 die Lehrerschaft an den Volksschulen. Das Autonomiestatut im Februar 1948 regelte ferner im Artikel 11 (2) den Fortbildungsunterricht und die Berufsausbildung in der Landwirtschaft und im Handel und Gewerbe, die in die Kompetenz der Provinz (Bozen) fallen.

In das Pariser Abkommen vom 5. September 1946 wurde ausdrücklich im Artikel 1 die Bestimmung aufgenommen:

„In liebereinstimmung mit schon getroffenen oder in Vorbereitung befindlichen gesetzgeberischen Maßnahmen wird , den Staatsbürgern deutscher Sprache folgendes gewährt werden: a) Volks- und Mittelschulen; Schulunterricht in der Muttersprache; b) Gleichstellung der deutschen und italienischen Sprache in den öffentlichen Aemtern und amtlichen Urkunden sowie bei den zweisprachigen Ortsbezeichnungen.”

Die Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut sind bis heute noch nicht erlassen worden… Man stützt sich also lediglich auf die erwähnten drei „Besatzungsgesetze”.

Es haben sich daher im Unterricht verschiedene Mängel und Unklarheiten eingeschlicher.

und zwar hauptsächlich im Geschichts- und Literaturunterricht. In den deutschsprachigen Schulen muß ferner schon in der 2. Volksschulklasse auch die italienische Sprache gelehrt werden. Das ist an sich notwendig, erschwert aber in diesem frühen Alter den Unterricht der Muttersprache.

Für den Geschichtsunterricht sind von deutscher Seite im Laufe der letzten Jahre immer wieder Programme ausgearbeitet worden. Sie fanden höhern Orts keine Gnade. Schwerer wogen die Programme des italienischen Ministeriums, die ohne Befragung der deutschsprachigen Lehrer in Südtirel zustande gekommen sind. Der damalige Ministerpräsident — es war derselbe wie heute, nämlich Antonio Segni — hat zwar wiederholt versprochen, bei diesen Verhandlungen auch die andere Seite zu hören. Leider ist dies alles nur auf dem Papier geblieben. .

Im Jahre. 1946/47 studierten an . den Mittelschulen in Südtirol 1057 Schüler, 1957 schon 3694. Der Aufbau der Mittelschulen litt vor allem an Raummangel. Damals wurden Verträge mit dem Bischof von Brixen abgeschlossen, der zur Unterbringung des wissenschaftlichen Ly-t zeums einen Teil des Priesterseminars zur Verfügung stellte. Auch bei Klosterverwaltungen und -gemeinden fand man vielfach Verständnis. Im Jahre 1955/56 besucWn in Südtirol 30.507 deutschsprachige Kinder, 1915 ladinische und12.1X1 italienische Kinder die Volksschulen. Die staatlichen Mittelschulen wiesen 3 53 5 deutschsprachige Studenten und 6448 italienische Studenten auf. Wenn man zu diesen staatlichen Mittelschulen noch die Schulen mit Oeffentlichkeitsrecht dazuzählt, so erhöht sich die Zahl der deutschsprachigen Studenten um 813 auf 4348 und die Zahl der italienischen Studenten’ auf 6948. Der Grund, warum mehr italienische Studenten die Mittelschulen besuchen, ist in der Struktur der Bevölkerung gelegen. Die deutschsprachige Bevölkerung ist zu 72 Prozent Bauernbevölkerung, während der Rest sich auf freie Berufe, Geschäftsleute, Beamte und Akademiker verteilt; die Deutschen bilden sohin die weite Schichte der Bevölkerung, die bodenständig ist, während die italienische Bevölkerung sich auf Beamte, Lehrer und einige Geschäftsleute beschränkt, die erst nach der Besetzung Südtirols durch Italien hergfezogen sind.

Laut einer italienischen Statistik wurden bei der Matura des Jahres 1957 78 Studenten gezählt, während einschließlich der Privatstudenten des fürstbischöflichen Vinzentinums und des’ Privatgymnasiums im Dorf Tirol 84 Deutschsprachige maturiert hatten. 1955/56 haben die höheren Fach- und Mittelschulen (Handelsschule usw.) 177 deutschsprachige Studenten und 1015 italienische Studenten besucht; I.957/58 haben die Matura dieser Handelsberufsschulen 19 deutschsprachige und 154 italienische Studierende absolviert. Im Jahre 1945 begannen die deutschen Volksschulen mit 49 definitiven Schullehrern; hinzu kamen noch 200 junge Berufslehrer, die zum größten Teil in Schnellkursen an den österreichischen Lehrerbildungsanstalten in Innsbruck, Feldkirch ‘und an anderen Lehrerbildungsanstalten ausgebildet wurden, und 809 Hilfslehrkräfte, die ohne eigentliche Lehrerbildung zum Unterricht herangezogen werden mußten. Im Jahre 1957, also rund elf Jahre nach dem Wiederbeginn der deutschsprachigen Schule, zählte man in Südtirol bereits 636 definitive deutsche Volksschullehrer, 291 Berufslehrer, während die Zahl der Hilfskräfte auf 283 gesunken ist. Die Entwicklung ist also in dieser Hinsicht erfreulich. ,

Natürlich bleiben noch Fragen offen, so vor allem die Frage der Schulleitung, die heute noch fast ausschließlich’ italienisch ist, da das Studienamt von einem italienischen Direktor geleitet wird. Diese Fragen ließen sich jedoch mit der Gewährung der Provinzialautonomie sehr bald und gründlich lösen. Die Südtiroler wollen lediglich eine gerechte prozentuelle Verteilung auf Grund der Bevölkerungszahl. Gerade der jetzige Ministerpräsident hat seinerzeit den deutschen Schulbehörden versprochen, die Lehrpläne mit Unterstützung der deutschen Lehrerschaft auszuarbeiten. Daß es seinerzeit nur beim Versprechen geblieben ist, mag nicht seine Schuld sein. Jetzt aber hätte er Gelegenheit, den guten Willen in die Tat umzusetzen und so eine gerechte Beteiligung des deutschsprachigen Bevölkerungsteiles auch an der Verwaltung der Schule, an der Entwicklung der Lehrpläne und nicht zuletzt auch an der Gesamtleitung der Schulen zu schaffen.

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