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Am Vorabend einer Revolution

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In den ersten Tagen dieses Februar j ährte sieh der 500. Todestag des Erfinders der Schwarzen Kunst, Johann Gutenberg (recte Gens- fleiisch). Geboren um 1400 in Mainz, begann er sich ab 1436 mit den Problemen der Drucktechnik auseinanderzusetzen. 1455 vollendete er den Druck der berühmten Guten- berg-Bibel. Damit war eime der erfolgreichsten Erfindungen der Neuzeit realisiert, vergleichbar nur noch mit der Erfindung des Schießpulvers, der Elektrizität und der Eisenbahn.

Viele Revolutionen, viele Umschichtungen, viele Erfindungen wären nicht von derart durchschlagender Kraft gewesen, hätte nicht die Buchdruckerkunst durch ihre Hilfsdienste ihnen den Weg in die Welt geebnet. Allein die Reformation hätte niemals eine derartige Verbreitung gefunden, hätte sie sich nicht des gedruckten Wortes bedienen können.

Fast zur gleichen Zeit, da die Welt der Revolution gedenkt, die Guten- berg ins Rollen brachte, beginnt sich eine neue Revolution zu entwickeln: In Kürze wird in Österreich der einmillionste Fernsehteilnehmer angemeldet sein. Das bedeutet, daß mindestens zwei bis drei Millionen das Fernsehen in Österreich miterleben, fast die Hälfte der ganzen Bevölkerung. Ähnlich, wenn nicht noch dich-

ter liegen die Verhältnisse in anderen Ländern. Eine Revolution beginnt sich anzubahnen, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Neue Erfindungen, die einen revolutionären Charakter haben, brachten meistens auch soziale Umschichtungen mit sich und stürzten viele Betroffene in eine echte wirtschaftliche Krise. Als die Eisenbahn erfunden wurde und das Sterben der Postkutsche begann, kamen alle, die mit der Postkutsche irgendwie in Verbindung standen, wie Kutscher, Schmiede, Pferdehändler, Wagenbauer, Sattler, Wirte in eine wirtschaftliche Krise. Als die Gewinnung des Zuckers aus einer Rübe erfunden wurde, kamen die Zuckerplantagenbesitzer in schwere wirtschaftliche Not. Als die Ozeanschiffe von der Kohlenheizung auf die Ölheizung, die Eisenbahnen von Kohle auf öl oder Elektrizität umschalteten, als viele Industriebetriebe, aber auch viele Haushalte ebenfalls von der Kohle zu anderen Heizungen übergingen, war dies eine Katastrophe für die Bergwerke. Die Erfindung des Autos und der Traktoren brachte faktisch die Pferde zum Aussterben. Alle genannten Erfindungen waren für die Menschheit ein Fortschritt, von denen viele profitierten, durch die aber auch gleichzeitig viele unter die Räder kamen.

Auch das Fernsehen bringt soziale Umschichtungen mit sich, durch die so manche in eine wirtschaftliche Krise kommen. Durch das Fernsehen wird die gesamte Kinowelt betroffen. Die Kinos werden immer leerer. In Österreich allein sperrten seit 1960 rund 160 Kino zu, und um sieben Millionen Österreicher besuchten 1967 weniger die Kinos als 1960. Auch die westdeutschen Kinos haben in den letzten Jahren sowohl in ihrer Anzahl wie in ihrer Frequentierung wesentliche Einbußen erlitten. 1959 noch gab es in der Bundesrepublik rund 7100 Kinos, heute gibt es nur noch 4500. Und die verbliebenen Kinos haben einen merklichen Besucherrückgang zu verzeichnen. Ging 1959 jeder Westdeutsche durchschnittlich zwölfmal ins Kino, so tat er dies 1967 nur noch viermal.

Diese Krise der Kinos ist begreiflich, denn das Fernsehen gibt dem Filmliebhaber die Chance, sich jeden Tag einen anderen Film anzusehen, noch dazu zu Hause und zu wesentlich billigeren Preisen. So wird das Kinosterben weitergehen.

Betroffen durch das Fernsehen sind die Zeitungen. Immer mehr Reklamegelder fließen dem Fernsehen zu und immer weniger den Zeitungen. So wird den Zeitungen ein Gutteil der materiellen Basis entzogen.

Dies ist einer der Gründe des Zeitungssterbens in der Welt. New York bes:tzt nur noch drei Tageszeitungen, efoensG" München. Viele Zeitungen können überhaupt nur noch erscheinen, weil bestimmte Interessengruppen ihr schweres Defizit finanzieren. In Österreich zum Beispiel haben die „Arbeiterzeitung“, das „Volksblatt“, die „Presse“ Defizite. In ganz Österreich soll es nur noch acht Tageszeitungen geben, die nicht defizitär arbeiten. Das Fernsehen gräbt den Zeitungen insofern auch den Boden ab, als es viele Nachrichten früher bringt als die Zeitungen, und eigentlich müßten die Zeitungen einen eigenen Redakteur anstellen, der noch schnell, während das Blatt schon im Druck ist, einen Kommentar zu den „gesehenen“ Nachrichten veröffentlicht. Das Fernsehen beschäftigt aber auch immer mehr Publizisten und Journalisten, die den Zeitungen verlorengehen. Das Fernsehen zahlt im Durchschnitt besser als der Zeitungsunternehmer. Begreiflich, daß viele Journalisten versuchen, beim Fernsehen unterzukommen oder zumindest mitzuarbeiten und ansonst ihr tägliches Brot bei amtlichen oder halbamtlichen Pressediensten suchen.

Die Revolution des Fernsehens betrifft aber auch die Buchverlage. So wie es die Journalisten kapert, kapert es auch immer mehr Autoren. Es wird für die Verlage immer schwerer, gute Autoren für neue Bücher zu bekommen. Ein Autor weiß nie, wie sein Buch gehen wird, und selbst wenn es gut geht, muß er branchenüblich ein ganzes oder halbes Jahr auf die Abrechnung seines Honorars warten. Die Abfassung eines Buches benötigt meist wesentlich mehr Zeit als die Abfassung eines entsprechenden Femseh- manuskriptes. Bücher schreiben werden eines Tages nur noch jene, die dies als ein Hobby betrachten, oder die Wissenschaftler, die ihre Erkenntnisse über das Buch der Mit- und Nachwelt überliefern müssen. Die Revolution des Fernsehens trifft zusammen mit der ungeheuren Lesemüdigkeit, die die Welt ergriffen hat. Jetzt werden schon Bücher im Fernsehen vorgelesen und befreien den Zuseher von der Plage, ein Buch „selbst lesen zu müssen ...“ Kommt die Zeit des Mittelalters wieder, als die Troubadours ihre MinneMeder vorsangen?

Neben diesen scheinbar negativen Seiten sollen die positiven nicht vergessen werden. Das Fernsehen ist der große Freund der Einsamen, und vor allen Dingen der einsamen alten Menschen. Endlich ertönt in den Räumen ihrer Wohnung eine menschliche Stimme, endlich sind sie eingeschaltet in das große Weltgeschehen. Das Fernsehen ist der Freund aller jener, die in der Abgeschlossenheit des Landlebens ihre Tage dahinbringen und von allen jenen Vorteilen abgeschnitten sind, die die Großstadt zu bieten scheint. Endlich können sie oft ins Kino gehen, oft ins Theater, oft in Konzerte. Das Fernsehen ist der Freund aller jener, deren Tage von gähnender Langweile erfüllt ist, jener Langweile, die die Wurzel so vieler Neurosen in unserem Leben ist. Das Fernsehen ist auch der Freund aller jener, die gerne die Welt sehen möchten, am Geschehen der Welt teilnehmen möchten, aber dies mangels finanzieller Mittel nicht tun können. Endlich können sie die Ferne erleben, endlich können sie Ereignisse beobachten, die sie nicht einmal so gut miterlebt hätten, wenn sie dabei gewesen wären.

Das Fernsehen wird noch viel mehr Menschen in seinen Bann ziehen, sobald es möglich sein wird, mehrere Stationen zu empfangen und dadurch eine Auswahl unter den verschiedenartigsten Programmen zu treffen. Manche Städte, wie zum Beispiel Feldkirch oder Maastricht, können jetzt schon drei bis vier verschiedene Sendestationen empfangen. „Ende des gedruckten Wortes?“

überschrieb die Züricher Weltwoche ihren Gedenkartikel zum 500. Todestag Gutenbergs. Falls dies nichtig ist — und viele Anzeichen deuten darauf hin —, dann stelhen wir am Beginn einer der gewaltigsten geistigen Umwälzungen unserer Zeit, deren Folgen noch gar nicht abzu sehen sind.

Wird die Herausgabe von Büchern, von Zeitungen, von Zeitschriften ein Luxus werden? Niemand Weiß diese Frage zu beantworten. Nur eines ist sicher: daß neben den vielen Umschichtungen der heutigen Zeit die Revolution des Fernsehens lautlos, aber um so tiefer die geistige Welt umpflügt.

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