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Amerika.. .wenn es nur will

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„Ich bin sehr neugierig auf die nächsten sechs Monate!“ Dieser eine Satz war die Antwort eines prominenten, in der Bundesrepublik Deutschland wirkenden Amerikaners auf unsere Frage: „Was denken Sie über die neue Regierung in Washington?“ Die ganze Welt ist neugierig. Seit Roosevelts erstem großen Vorstoß zu einer grundlegenden Aktivierung aller Kräfte der Nation hat sich nichts Vergleichbares ereignet.

Es gehörte mit zu Hitlers Unbesonnenheit, diese Sammlung der Kräfte eines Riesen zu übersehen. Blitzschnell hat diese Mal der deutsche Kanzler, der bedeutende Alte in Bonn, reagiert. Botschafter Grewe, Verfasser von Traktaten, die sich zum Ostlandritt bekannten, und Prediger einer entsprechenden Rußlandpolitik, wird mit Kennedys Regierungsübernahme Washington verlassen. In Bonn selbst spricht Konrad Adenauer von der Bereitung eines besseren Klimas für die künftigen Verhandlungen mit Chruschtschow; zunächst sinnigerweise im Interview mit einem der SPD nahestehenden Blatt. Zur selben Stunde, in der Bonns Kanzler dezidiert erklärt, Chruschtschow sei nicht mit Stalin zu vergleichen, treffen sich im berühmten Dartmouth College und in New York führende amerikanische und russische Intellektuelle zu einem „inoffiziellen amerikanischsowjetischen Gespräch“, das im nächsten Sommer in Moskau fortgesetzt werden soll. Unter den Teilnehmern befinden sich Professor Walt Whitman Rostow, der zu Kennedys Gehirntrust zählt, George F. Kennan, Shepard Stone von der Ford-Stiftung und Averell Harriman, der bekannte frühere Botschafter in Moskau. Das prominenteste Mitglied der sowjetischen Delegation ist der Schriftsteller Korneitschuk, ein Vertrauensmann Chruschtschows und Mitglied des Zentralkomitees. Das Gespräch fand hinter verschlossenen Türen statt.

„Unglücklicherweise haben wir die kommunistische Welt in den letzten Jahren in einer sehr starren Weise gesehen: Wir kannten nur schwarz oder weiß. Eine Nation war entweder für oder gegen uns: entweder ganz unter russischer Gewaltherrschaft oder ganz frei. Wir begriffen nicht, daß die kommunistische Welt kein Felsblock und der Eiserne Vorhang keine undurchdringliche Wand mehr ist. Wir gaben zu erkennen, daß wir eine gewaltsame Umwälzung nicht unterstützen würden — aber wir waren zu keiner Hilfe bei friedlicher Evolution bereit.“ — „Wir sind aus zwei Gründen von einer Krise in die andere geraten: Zum sten haben wir noch keine Strategie für einen Frieden entwickelt, die den neuen Bedingungen der Welt, in der wir leben, Rechnung trüge. Und zum zweiten waren wir bisher nicht bereit, den Preis zu bezahlen, den eine solche Strategie fordert — einen Preis, der nicht nach Geld und militärischer Bereitschaft zu messen ist, sondern nach sozialer Feinfühligkeit, moralischer Kraft und physischem Mut.“

Diese Sätze sind nicht einfach eine Wiederholung aus einem Dutzend Randbemerkungen der „Furche“ in den letzten fünf Jahren, sondern stammen aus der Feder John F. Kennedys, des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Genauer: sie gehöTen zu den Thesen des Gehirntrusts um Kennedy, der bereits seinen Wahlfeldzug vorbereitet hat. Eben dieser Trust amerikanischer Intellektueller, vergleichbar nur mit Roosevelts Aufgebot der amerikanischen Intelligenz zur Mobilmachung der Nation, bereitet jetzt die neue Politik der USA in Südamerika, Asien, Afrika, Europa vor. Reaktionäre vieler Farben, die in Roosevelt einen Tölpel oder Teufel sehen und das Gespenst einer Rückkehr einer rosaroten Intelligentsia an die Wand malen, sollten uns Europäern nicht mehr Sand in die Augen streuen: Kennedy, jung, kühler, nicht krank wie der impulsive, eigenwillige Roosevelt, ist um seine Jugend und um die bitteren Erfahrungen der Jahre 1945 bis 1960 reicher. Gereift sind auch die besten Köpfe der Roosevelt-Ära, außerdem sind zahlreiche andere neben, ja vor sie getreten.

„Ich habe in acht Wochen zwölf Staaten besucht. Der Präsident reiste in zehn Tagen durch vier Staaten. Er kam optimistisch zurück. Ich bin tief besorgt zurückgekommen.“ So jetzt eben Adlai Stevenson über seinen Besuch in Südamerika im letzten Frühjahr, gleichzeitig mit Präsident Eisenhowers Tour. Stevenson fordert großzügige Hilfe der USA für Südamerika, in Planung, Finanzierung und Ausbildung: noch könne der amerikanische Bruderkontinent vom Kommunismus gerettet werden. Kennedy ist entschlossen, Südamerika besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Überlegungen seines Geisterstabes werden durch die Taten der Emissäre Fidel Castros feuerfarben beleuchtet: der Aufstand in Guatemala, der Guerillakrieg in Kostarika und Nikaragua, die Revolutionsversuche vor kurzem in Panama, San Salvador und Honduras zeigen die rasche Ausbreitung des Fidelismo: der kubanische Rechtsanwalt und Revolutionär möchte zum Lenin Südamerikas und zum Mao Tse-tung der braunen und schwarzen Massen dieses Kontinents werden.

Chester Bowles, früher Botschafter in Nehrus Indien und ein großer Freund dieses Landes, morgen vielleicht Außenminister Kennedys, lenkt das Augenmerk der von Kennedy bereits im Wahlkampf aus dem Schlummer geweckten Nation auf China, in dem er den gefährlichsten Gegner von morgen sieht. Bewies macht auf die alte imperialistische Tradition Chinas aufmerksam und auf den neuen Hunger Chinas nach den reichen Ölfeldern und Ölquellen Südostasiens. „Ich würde nicht erwarten, daß ein Krieg von der Sowjetunion vom Zaun gebrochen wird, es sei denn durch irgendeine tragische Fehleinschätzung. In der Tat würde sich meine größere Besorgnis auf das kommunistische China konzentrieren.“ Südamerika, Asien und Afrika: Kennedy selbst legt großen Wert auf ein aktives, dynamisches Verhältnis zu den jungen Staaten in Afrika und zu den Arabern. Nixons Erfahrungen in Afrika will er hierbei unter anderem nutzen. Sein Besuch bei Nixon kurz nach der Wahl zeigt den neuen Stil der neuen Politik an: Kennedy und die Männer um und hinter ihm, wollen eine friedliche Mobilmachung der besten Kräfte der Nation; und wollen mit diesen Kräften das gToße Ringen global aufnehmen. Für eine nationale Politik braucht Kennedy nicht zuletzt die Unterstützung der dynamischesten Köpfe der nahezu gleichstarken Republikaner. Deshalb sein Werben um Nixon. Wir machten im Eingang unseres Leitaufsatzes vor den amerikanischen Wahlen darauf aufmerksam, daß viel davon abhängen werde, ob der neue Präsident sich die mächtige Militärbürokratie unterwerfen könne. Wenige Tage nach der Wahl hat Kennedy begonnen, den Bericht einer Studiengruppe unter Leitung des Senators Symington über eine Reorganisation des Verteidigungsministeriums und des Oberkommandos der US-Streitkräfte zu studieren. Es geht um nichts geringeres als um eben diese Entmachtung und Umgruppierung der Mili-tärbürokratie. Wenn es Kennedy gelingt, diesen Hemmschuh abzuwerfen, dann sind die USA startklar.

Europa aber wird zur Kenntnis nehmen müssen, daß es mit seinen Querelen nicht allein auf der Welt ist. Das ist eine ernste Mahnung.

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