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Amerikanische Vignetten

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Das grelle Heulen der Sirene des Krankenwagens, der Präsident Johnson zwei Tage nach seiner Amtseinführung um zwei Uhr vom Weißen Haus in das Krankenhaus der Marine brachte, weckte die Amerikaner einen Moment auf. Dane drehten sie sich um und schliefen weiter, von einer Regierung träumend, deren Spitze sich ewiger Gesundheit erfreut.

Der Präsident schlummerte jedoch nicht so schnell wieder ein. Noch von seinem Krankenbett aus erließ er eine Botschaft an den Kongreß, in der er feststellte, „daß es erstaunlich ist, daß wir niemals eine sorgfältige Vorkehrung getroffen haben, um eine ordentliche Weiterführung der Lenkung der Staatsgeschäfte zu gewährleisten, noch bisher den Preis zahlen mußten, den unsere fortwährende Tatenlosigkeit so deutlich und unbesonnen riskiert“. Es fehlt nämlich bisher an einer klaren Bestimmung, wer im Falle einer schweren Erkrankung des Präsidenten di Staatsgeschäfte weiterführen soll.

Dabei hat es sich in der amerikanischen Geschichte mehrmals ereignet; daß ein Präsident nicht, amtieren konnte. In unserem Jahrhundert ist der von einem Schlaganfall gelähmte Woodrow Wilson das erschütterndste Beispiel. Aber auch Dwight Eisenhower war infolge eines Herzanfalls längere Zeit amtsunfähig. Johnson, der mit seinen Bronchien Schwierigkeiten hat, die mehrere Lungenentzündungen verursacht haben, war im Jänner kränker, als die Nation vermutete. Höchstwahrscheinlich war dies der Grund, warum er den Vizepräsidenten Humphrey nicht zu Churchills Begräbnis fahren ließ, was ihm vielerorts sehr übelgenommen wurde. Johnson und Humphrey haben, ebenso wie ihre beiden Vorgänger, ein Privatübereinkommen getroffen, das regelt, wann der Vizepräsident die Regierung übernehmen soll. Aber die Legalität des Ubereinkorn-menis ist zweifelhaft.

Der Präsident ermahnte den Kongreß, gesetzlich festzulegen, daß, wenn ein Präsident sich für unfähig erklärt, die Amtsgeschäfte zu führen, der Vizepräsident die Befugnisse des Amtes, aber nicht das Amt selbst übernimmt. Kann oder will der kranke Präsident eine solche Erklärung nicht abgeben, soll der Vizepräsident sie von sich aus, mit der Zustimmung der Mehrheit des Kabinetts, leisten. Weiterhin soll das Gesetz den Präsidenten ermächtigen, im Falle des Todes oder der Amtsunfähigkeit des Vizepräsidenten mit der Zustimmung der Mehrheit des Kongresses einen neuen Vizepräsidenten zu bestellen. Nämlich auch dafür ist keine Vorsorge getroffen, obwohl das Amt bisher sechzehnmal, insgesamt 37 Jahre, verwaist war.

Die haarsträubenden Berichte über die Willkür eines südlichen Sheriffs gegenüber Negern, die ihr Stimmrecht sichern möchten, lenken die Aufmerksamkeit von den großen Fortschritten ab, die seit dem Bür-gerrechtsgesetz gemacht worden sind. Sie flößen den Negern neue Hoffnung für die Zukunft und größeres Vertrauen gegenüber den Weißen ein als je zuvor. Neben dem Gesetz war es die Niederlage Gold-waters — in der Dämonologie der Neger rangiert der frühere Senator gleich hinter dem Klu-Klux-Klan —, die den Negern die Überzeugung gegeben hat, daß, wenn auch vieles noch im argen liegt, es doch aufwärts geht.

Der bekannte Meinungsforscher Lu Harris, dessen Umfragen über die Einstellung der Weißen zu den Negern und vice versa in der „Furche“ erwähnt wurden, hat eine neue Umfrage darüber veranstaltet, was die Neger heute denken. Zwar Anden diese, daß sie bisher noch nicht sehr viel erreicht haben, besonders nachdem das Bürgerrechtsgesetz für 25 Prozent der Befragten noch keine praktischen Auswirkungen gehabt hat, aber sie glauben, daß ein guter Ausgangspunkt geschaffen wurde.

Infolgedessen sind jetzt mehr als 75 Prozent der Ansicht, daß Bürgerrechte ohne Gewalttätigkeit gewonnen werden können, verglichen mit 60 Prozent bei der Umfrage im Jahre 1963. Beinahe doppelt so viele Neger als damals, beinahe 50 Prozent, glauben an den guten Willen der Weißen.

Das Wohlwollen der Neger kommt nicht nur Lyndon Johnson zugute, den Favorit von 96 Prozent, sondern auch dem Kongreß. Während 1963 nur 54 Prozent ihm zubilligten, das Gute überwiege, sind es jetzt 85 Prozent. Damit nimmt der Kongreß bei den Negern dieselbe Stellung ein wie der Oberste Gerichtshof. Aber auch andere Institutionen, von den Gewerkschaften und den Staatsregierungen bis zu den weißen Geschäftsleuten und den Grundstückmaklern, haben an Beliebtheit gewonnen. Nur die Republikanische Partei hat weiter an Boden verloren.

Auch die Abwanderung vom Süden in den Norden hat sich verlangsamt. Zwei Drittel aller im Süden lebenden Neger wollen nicht von dort wegziehen.

Offiziell sieht der amerikanische Staatshaushalt für das am 1. Juli beginnende Fiskaljahr Ausgaben von 97,7 Milliarden und Einnahmen von 94,4 Milliarden Dollar vor. Dabei handelt es sich aber um das sogenannte Verwaltungsbudget, das unter den Ausgaben viele Wohlfahrtskosten nicht anführt sowie anderseits nicht das Einkommen durch die Lohnsteuer. Tatsächlich betragen die Ausgaben 127,5 Milliarden und die Einnahmen 122,5 Milliarden. Aber auch diese Zahlen treffen nicht ganz zu, denn die auf guten Eindruck erpichte Regierung hat Eigentum im Wert von mehr als drei Milliarden verkauft und nennt das eine Herabsetzung der Ausgaben.

Die große Gesellschaft wird in dem bevorstehenden Haushaltsjahr sechs Milliarden Dollar mehr für Gesundheit, Wohlfahrt und Erziehung ausgeben als in diesem, für die Verteidigung dagegen um 300 Millionen weniger. Dies mag als eine nicht nennenswerte Reduktion erscheinen, aber die Militärs verlangten 60 Milliarden und kriegten „nur“ 52. Sie blitzten mit dem Wunsch nach Entwicklung eines Systems zum Schutz gegen feindliche Raketen ab, das über die nächsten Jahre insgesamt 20 Milliarden Dollar gekostet hätte. Statt neun Milliarden für die strategischen Vergeltungsschlagstreitkräfte wurden diesen nur 4,5 Milliarden zugesprochen.

Einige interessante Angaben: Der Kongreß erhält 106 Millionen zur Führung der laufenden Geschäfte der Parlamentarier. Der Unterhalt des Weißen Hauses kostet 640.000 Dollar. Mrs. Kennedy erhielt für die in Verbindung mit ihrem Ausscheiden aus dem öffentlichen Leben erwachsenen Unkosten 90.000 Dollar. Das Defizit der Post wird voraussichtlich mit 730 Millionen Dollar um 53 Millionen weniger als in diesem Haushaltsjahr betragen.

Die Beamteninflation geht lustig weiter. Im nächsten Haushaltsjahr werden 2,496.000 Beamte, 27.000 mehr als dieses Jahr, sich der Regierung mehr oder weniger nützlich machen. Die Besoldung aller Zivilbeamten sowie des Militärs wird den Steuerzahler rund 31 Milliarden kosten. Dagegen wendet Amerikas größter Privatkonzern, General Motors, 5 Milliarden auf Saläre auf.

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