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An den Rand gechliben

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IST ES ALSO SOWEIT! Die Kampagne — man kann es nicht anders nennen —, die der Parteiobmann der SPD gegenwärtig führt, um in Österreich die bisherigen Methoden der Regierungspolitik und noch so manches andere endlich zu ändern, erreicht jetzt fast schon Jeden Tag neue Höhepunkte. Es ist dies ein regelrechter Nervenkrieg, der, wie historische Beispiele klar genug zeigen, den heißen Krieg nicht ersetzen, sondern vielmehr zu gewinnen helfen soll, indem der Gegner noch vor Beginn der eigentlichen Schlacht in eine möglichst hoffnungslose Situation hineinmanövrierf wird. Dr. Pittermann und mit ihm die gegenwärtige SPÖ-Führung sind offenbar von der Wirksamkeit, ja vielleicht sogar von der Richtigkeit ihrer Aktion überzeugt, sie glauben, es sei richtig, der bisherigen Regierungskoalition der „Widerstandskämpfer” nachzutrauern und gleichzeitig mit der FPÖ eng zusammenzuarbeiten, aber inzwischen doch auch den leisesten Versuch des zum „Rechtsextremisten” gestempelten Gegners, auch seinerseits einmal ein Gespräch mit einem FPÖ-Politiker zu wagen, als Verrat und Doppelzüngigkeit zu brandmarken, über eine solche Methode in der Politik kann man heute in der einschlägigen Fachliteratur viel Wissenswertes erfahren: über ihre Wirksamkeit, aber auch über ihre moralischen Qualitäten und über die leider beinahe unausbleiblichen Folgen ihrer skrupellosen Anwendung. Das steht freilich, wie gesagt, doch nur in den Büchern. Man kann gespannt sein, was die Mandatare einer großen Partei zu alldem meinen. Oder ist das schon keine Frage mehr?

MAN SOLLTE — WENN MAN KÖNNTE... In seiner Pressekonferenz am Abschlußfag des Gewerkschaftskongresses erläuterte der neue Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes die wirtschaftspolitischen Wünsche und Ziele, die schon früher in einem Antrag des Bundesvorstandes zusammengefaßf waren. Der Gewerkschaftsbund ruft zur engen Zusammenarbeit auf „zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Programmierungsfachleuten, Gewerkschaftsvertretern, Unternehmensleitungen, aber auch den maßgeblichen Leitungsorganen der Wirtschaft, wie Ministerien, Notenbank und Interessenvertretungen". Das ist ein Aufruf, der unbedingt als positiv, ja als richtungweisend angesehen werden muß. Das Problem der „Plani- fication’ gehört heute nicht nur in Frankreich zu den heißdiskufierten Themen des Tages. Ein stures Nein wäre da ebenso verfehlt wie die Anmeldung „unabdingbarer Forderungen" noch vor Beginn des Gesprächs. Das von Präsident Benya entworfene Konzepf ist sicherlich wert, ernst diskutiert zu werden, wobei man jene Forderungen, die sich mit einer freien Wirtschaftsordnung kaum vereinbaren lassen werden, modifizieren sollte. Man muß aber hier fragen: Ist in der gegenwärtigen Atmosphäre des innenpolitischen Nervenkrieges das ruhige Gespräch nicht eine Illusion? Man müßte mit dem einen endlich Schluß machen, damit das andere beginnen kann.

JUBILÄUM IM SCHATTEN. Tirol feierte seine sechshundertjährige Zugehörigkeit zu Österreich: die Treue dieses Landes zu seiner Heimat Österreich, die engen Bindungen, die zwischen Nord- und Südtirol bestehen, kennzeichneten die Feierlichkeiten. Die Verbundenheit zum Vaterland und das Zusammengehörigkeitsgefühl mif den Brüdern jenseits des Brenners klang ebenso mit in den Festreden wie in den Kundgebungen, die die Feiern weit über das Maß eines Jubiläums hinaushoben. In den Ansprachen des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und des Landeshauptmanns wurde eindringlich auf die Zuspitzung der Lage hingewiesen, die durch den Ausgang des Karabinieriprozesses und durch die Welle von Terroratfentaten in beiden Ländern bedingt war. Die mysteriösen Bombenattentate, die das Leben eines Gendarmeriebeamten forderten, warfen ihren Schatten auf das Innsbrucker Jubiläum, das — wenn auch nicht sehr beachtet — auch die endgültige Versöhnung mit dem erbitterten Gegner von 1809, mit Bayern, mif sich brachte. Die Anwesenheit des bayrischen Ministerpräsidenten war sinnfälliger Beweis dafür. Beweis aber auch, wie aus erbitterten Feinden Nachbarn werden können. Vielleicht eine Lehre für Extremisten — gleichgültig welcher Richtung?

CHRISTLICHE DEMOKRATEN HOLEN AUF. Die mit einiger Spannung erwarteten Wahlen zum Landesparlament der Freien Hansestadt Bremen blieben jede Überraschung schuldig. Die Sozialdemokraten, die ihre absolute Mehrheit behaupten konnten, haben diesen Erfolg wahrscheinlich vor allem der Popularität des Bremer Bürgermeisters zu verdanken, das günstige Abschneiden der CDU, die ihre Sfimmenzahl fast verdoppeln konnte, mag wohl auf den persönlichen Einsatz Vizekanzler Erhards, aber auch auf den anscheinend nicht mehr aufzuhalfenden Zerfall der kleineren Parteien, von denen sich nur noch die Deutsche Partei halten konnte, zurückzuführen sein. Die Freien Demokraten konnten ihre Position halfen, werden es aber dadurch immerhin nicht leicht haben, bei den kommenden Koalifionsverhandlunqen in Bonn Bedingungen zu stellen. Der Erfolg der CDU zeigt gber auch, daß die Schwarzseher, die dieser Partei

— wohl auf Grund einiqer innenpolitischer Affären — schlechte Zeiten vorausgesagt haben, ganz und gar nicht recht behalten haben.

BÜRGERKRIEG IN ALGERIEN. Der innere Machtkampf in Algerien scheint sich zuzuspifzen. Der von Ben Bella abgesetzte Kommandant der Kabylei hat sich auf die Seite der Aufständischen gestellt. Ait Ahmed, der Führer der Opposition, erklärte, daß die Erhebung von Tizi Ouzou nur der Beginn einer weitaus größeren und breiteren Bewegung sei. Ben Bellas Position beginnt also zu wanken. Nach der Ausbootung seiner Gegenspieler schienen ihm zunächst keine ernstlichen Gegner zu erwachsen. Ob er mit der neuen, für ihn gefährlichen Bewegung fertig werden wird, ist noch nicht vorauszusehen. Die Nachrichten, die von den beiden Parteien durchgegeben werden, sprechen jeweils von höchster Siegeszuversicht und sagen den baldigen Zusammenbruch des Gegners voraus. Mehr noch — Aif Ahmed und seine Front der sozialistischen Kräfte bezeichnen das Ben-Bella-Regime bereits als „illegal". Die Fronten sind noch unklar, doch haben sich die Berber ganz auf Seifen der Ben-Bella- Gegner gestellt. Unwillkürlich drängt sich ein Vergleich auf: Hat nichf der spanische Bürgerkrieg unter sehr ähnlichen Einleitungsszenen begonnen? Nun, Algerien, das am französisch-algerischen Krieg fast verblutet isf, würde einen neuerlichen blutigen Krieg, aeführt mit der ganzen Grausamkeit Afrikas, wahrscheinlich schwerlich überstehen, ganz abgesehen, daß dadurch eine Intervention

— welcher Macht auch immer — herausgefordert werden könnte. Aif Ahmet scheint dieses Schreckgespenst als Druckmittel zu benützen.

WARNSIGNAL FÜR GANZ AMERIKA.

Die Absetzung des dominikanischen Staatspräsidenten Juan Bosch nach kurzer Amtszeit hat eine Bedeutung, die weif über das innerpolitische Schicksal eines kleinen miftelamerika- nischen Staates hinausgeht. Bosch kämpfte für die „Demokratisierung" des Kontinents. Daraus folgte seine (unbestrittene) Sympathie und (bestrittene) Hilfe für die Aufständischen in Haiti, die den berüchtigten Diktator Duvalier vergeblich zu stürzen trachteten. Diesem Ziel entsprach aber auch der Gesetzentwurf, nach dem Vermögen enteignet werden sollten, die auf Gewinne unter der Diktatur zurückzuführen sind. Da Trujillo über 30 Jahre lang die Dominikanische Republik wie eine „Fami- lien-AG ausbeutefe, können nur „Kollaborateure" reich geworden sein. Bosch ist also bei dem Versuch gescheitert, die in der Diktatur herrschende und deshalb bereicherte Schicht zu entrechten und durch eine neue regierende Schicht aus Intellektuellen und Mittelstand zu ersetzen. Der Staatsstreich in der Dominikanischen Republik alarmiert, weil er den Widerstand der sogenannten „Oligarchien" gegen echte Sozialreformen beweist und die Offiziere in den anderen lafeinamerikanischen Ländern wieder ermutigt, die zivilen Kräfte erneut zu entthronen.

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