6716327-1964_44_05.jpg
Digital In Arbeit

An den Rand gekhriefen

Werbung
Werbung
Werbung

EINE „SELBSTKRITIK" UND NOCH KEIN ENDE. Die angekündigfe „Hinrichtung" Franz Olahs findet offenbar auf Raten statt. Die Entscheidung über Franz Olah „innerhalb kürzester Frist" wurde schon vor und unmittelbar nach den Landtagswahlen des vergangenen Sonntags in der gesamten Parteipresse der SPO groß angekündigt, und niemand konnte sich irgendwelchen Täuschungen darüber hingeben, welche Art von Entscheidung nun also unmittelbar bevorstand. Die Presseangriffe gegen Olah in den Organen der Gewerkschaft wurden noch verstärkt, indessen fuhr Franz Olah lächelnd von Wahlversammlung zu Wahlversammlung und warb für seine Partei, die ihn jedoch nicht mehr haben will. Am letzten Dienstag verzichtete dann Olah in einer Sitzung der Fraktion sozialistischer Gewerkschaftler „freiwillig" auf alle seine gewerkschaftlichen Funktionen. Olah habe, wie aus einem Kommunique hervorgeht, während seiner Präsidentschaft finanzielle Transaktionen ohne Beschluß der zuständigen Fraktionsorgane durchgeführt. Olah gab zu, heißt es im Kommunique weiter, Fehler begangen zu haben, und erklärte, daraus die Konsequenzen ziehen zu wollen (Angeklagte bei Moskauer Schauprozessen baten inständig um ein Todesurteil). Die Sache ist damit aber noch immer nicht zu Ende. Das Ehrengericht der SPÖ hat seinen Spruch bis zur Stunde noch nicht gefällt, und dann sind freilich noch so manche Fragen offen. Zum Beispiel: Wer wußte und seif wann von Olahs fafsächlichen oder angeblichen Verfehlungen? Warum schwieg der bisher, und warum sprach er jetzt? Und warum gibt man diese Dinge der Öffentlichkeit sozusagen erst ruckartig bekannt, so dafj das Gefühl aufkommen muß, hier werden Tatsachen noch immer manipuliert und frisiert? Solche Gedanken dürfen auch jene Hunderte von Betriebsräten beunruhigt haben, die in diesen Tagen heftig für Olah demonstrierten.

RASCH, GRÜNDLICH UND SACHLICH. So will die Parlamentsfraktion der österreichischen Volkspartei nach einer jüngsten Aussage ihres Klubobmannes Dr. Hurdes den Gesetzentwurf für eine Rundfunkreform im Parlament behandelt wissen. Seit den Tagen des J olks- begehrens ist eine gewisse Zeit schon verstrichen, aber inzwischen fanden die Lakdfä VwahTdri sfaff, wurde das Budget eingebrachf und der Fall Olah „erledigt". Wer hätte da noch Zeit für eine Rundfunkreform? Dafj die Sache nicht wieder einschläft, dafür wollen die Initiatoren des Volksbegehrens, die Zeitungen, schon sorgen. Werden aber die Politiker miftun? Die SPÖ hat in diesen Tagen gewiß andere Probleme. Aber die Rückkehr zur sachlichen Arbeit, die sich durch den einstimmig beschlossenen Budgetenfwurf des Finanzministers in ermutigender Weise angekündigf hat, muh ihre Fortsetzung nicht zuletzt auch in der „raschen, gründlichen und sachlichen” Behandlung der Rundfunkreform finden.

GESUNDHEIT IN FREIHEIT. Die rasche Einführung einer bäuerlichen Pflichf- krankenkasse ist ein bereits wiederholt ausgesprochener Wunsch beider Regierungsparteien. Nun wurde seitens eines gesundheitspolitischen Arbeitskreises, der sich im Rahmen des Wiener Akademikerbundes etabliert hat und schon mehrmals durch vernünftige Ideen auffiel, ein detaillierter Plan einer solchen Krankenkasse vorgelegt. Der Gedanke der Pflichtkrankenversicherung der Landwirte muß als gesundheitspolitisches und als sozialpolitisches Anliegen bejaht werden, stellt darin der Vorsitzende des Arbeitskreises, Dr. Wolfgang Müller-Hartburg, fest. Aber Fehler und Mängel des „verdienten, aber eben doch veralteten" Systems der ASVG-Kassen dürften nicht wiederholt werden. Die Kasse darf nicht zwischen dem Arzt und dem Patienten stehen, daher werden freie Wahl des Versicherungsinsfifutes und freie Arztwahl gefordert. Der Wettbewerb zwischen den öffentlichen und den privaten Versicherungsträgern würde die Qualität der Betreuung der Versicherten heben. Die Diskriminierung der Geisteskranken und der unheilbar oder chronisch Kranken mühte aufhören. Ein Risken- ausgleichsfonds mühte die Prämien für Bauernfamilien der niedrigsten Einkommenstufen bestreifen. Die Leistungen wären durch die Versicherten zu bezahlen, die Institute würden nachträglich die Zahlungen rückvergüten. Die Entwerfer dieses Planes hoffen, dafj sie die Bauern für eine solche moderne Konstruktion werden gewinnen können.

KLASSEN UND SCHICHTEN. Das erste Modell der sozialen Schichtung geht auf Marx zurück, Er teilte die Gesellschaft in Kapitalisten, Bour geoisie und Proletariat ein. Die Folgen dieser Einteilung sind bekannt, vom Klassenkampf über die russische Revolution bi zum Kalten Krieg. In der Soziologie gibt es seitdem mehrere Modelle der sozialen Schichtung. Sie sind meistens linear, teilen die menschlichen Gesellschaften nach Beruf, Bildung, Macht und sozialem Prestige in verschiedene, säuberlich voneinander getrennte Schichten ein und werden dazu verwendet, alle möglichen Messungen aufzustellen. Wenn Arbeiterkinder Angestellte werden, heiijt das soziale Mobilität, wenn in einer Klasse mehr Kinder als in der anderen geboren werden, ist es ein Indiz für die Kinderfreudigkeit des Proletariats usw. Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, Ordinarius für Soziologie an der Universität Tübingen und erster auf der Vorschlagsliste für eine Berufung nach Wien, hielt im Institut für höhere Studien und wissenschaftliche Forschung in Wien einen Vortrag, in dem er von verschiedenen Ansätzen aus die bestehenden Modelle der sozialen Schichtung heftig kritisierte, vor allem die Methode ihrer Erstellung und ihrer Brauchbarkeit für soziologische Messungen. Seine Kritik kam einer Kritik an veralteten Vorstellungen über gesellschaftliche Gliederung, an dem Begriff der Klassen gleich. Man müfjte sie auch außerhalb wissenschaftlicher Kreise beherzigen und verschiedene allzu einfache Vorstellungen über die Schichtung unserer Gesellschaft revidieren.

EFTA IN GEFAHR. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Labour-Regie- rung hat in der ganzen Welt beträchtliches Aufsehen erregt: die

Regierung hat am letzten Montag ein groljes Sanierungsprogramm für die britische Wirtschaft bekanntgegeben, in dem unter anderem eine zusätzliche 15prozentige Importabgabe für Fertigwaren nebst massiver Exportförderung angekündigt wird. Wie unmittelbar nachher In mehreren EFTA-Ländern überein- stimend festgestellt wurde, verletzten solche Maßnahmen wie Einfuhrdrosselung die vertraglichen Verpflichtungen Großbritanniens. Verhandlungen mit Unternehmern und Gewerkschaftlern stehen im übrigen bevor über das Problem einer Produktivi- täfserhöhung und einer Umschichtung von Arbeitskräften im Hipbliclc auf die wachsende Arbeitslosigkeit in manchen Gegenden. Die neuen Importabgaben beeinträchtigen 36 Prozent aller’ EFTA-Einfuhren und überdies 57 Prozent der EWG-Einfuhren Großbritanniens. In Sondersitzungen werden der GATT-Rat und die Handelsminister der EFTA-Staafen über die neue Situation „diskutieren". Hierzu stellte der österreichische Handelsminister fest: Die Einführung einer Importabgabe von 15 Prozent auf alle britischen Importe mit Ausnahme von Lebensmitteln und Rohstoffen treffe Österreich sehr unangenehm, da ja die Vermehrung des EFTA-Anfeils am österreichischen Gesamtexport hauptsächlich durch verstärkte Ferfigwarenexporte nach Großbritannien erzielt wurde

VORMARSCH VON LINKS. In der

Bundesrepublik Deutschland haben am 27. September in Nordrhein- Wesffalen, in Niedersachsen; am 25. Oktober in Hessen, Rheinland- Pfalz und im Saarland die Sozialdemokraten die Kommunalwahlen gewonnen. Die Kritik des Mannes auf der Straße richtet sich, nicht viel anders als gegenwärtig etwa in Italien, gegen eine Regierung, die „nicht regiert". Woran erkennt man das? Am Mangel an Parkplätzen etwa, wird einer sagen, oder an der Disziplinlosigkeit mancher Jugendlicher. Die Leute spüren nicht, daß sie eine Regierung haben. Sind solche Vorwürfe und Bedenken ernst zu nehmen? Gewiß, denn sie geben Stimmungen wieder, die rational meistens gar nicht zu begründen sind, aber in der Politik, auch in der Demokratie, doch eine große Rolle spielen. Soweit man erkennen kann, haben nun auch in Deutschland die Wähler in den Ländern, Städten und Gemeinden die Bundespolitik, „die in Bonn”, im Auge gehabt und die Idee des Föderalismus nichf zu spektakulären Triumphen geführt. „Die in Bonn", allen voran also Erhard, Brandt und Mende, werden allerdings selbst nach diesen „Baro- meferwahlen’ noch immer nicht ganz sicher wissen, woran sie sind. Erstens haben sie jetzt wieder etwas Zeit, und die Zeit heilt nicht nur die Wunden. Dann sind diese und andere Persönlichkeiten in den abgelaufenen Wahlkämpfen doch nicht voll eingesetzt worden. So manche Wahllokomotive steht noch in der Remise. Daß es der CDU-CSU in der Zeit bis zu den Bundestagswahlen noch gelingen wird, attraktiver zu werden, ist die Hoffnung jener Politiker, welche die Schockwirkung der jüngsten Ereignisse in den Heilungsund Entwicklungsprozeß einbeziehen wollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung