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An den Rand geschliben

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DAS LAND AUF DER DREHSCHEIBE. Vor vierzig Jahren zogen Verbände der österreichischen Gendarmerie in das damalige Westungarn ein. Dem Einzug der Österreicher am 28. August 1921 setzten ungarische Freischärler jedoch bewaffneten Widerstand entgegen. Erst eine darauffolgende Konferenz in Venedig brachte die Lösung, die ein Kompromiß werden mußte. Für den späten Betrachter erscheint das einstige Ringen um das Burgenland wie die Szenenfolge auf einer sich drehenden Bühne: Da tritt der Volkskommissar aus Budapest auf, dem die Linken in Wien denn doch keine Schwierigkeiten machen wollen. Als jedoch Horthy an die Macht kommt, da sind plötzlich — neben den Großdeutschen — die Sozialisten, die eine Lösung im österreichischen Sinn außenpolitisch vorantreiben. Von ungarischer Seite schreckte man damals die Bevölkerung gerne mit dem „roten Wien' und mit der dortigen Lebensmitfelnot... Die Bühne drehte sich weiter... In diesen Wochen ist wohl Anlaß, vielleicht weniger der Zeiten von damals, als vielmehr des seither zurückgelegten Weges, der friedlichen Aufbaujahre, zu gedenken.

GRENZEN DER TOLERANZ. Das

Innenministerium der Republik Österreich sah sich in letzter Zeit zweimal veranlaßt, geplante Veranstaltungen zu untersagen. Verbote sind nichts Populäres. Im ersten Fall handelte es sich um ein geplantes Treffen ehemaliger Gebirgsjäger der Deutschen Wehrmacht in Innsbruck. Die Herren Veranstalter sind indessen, dank des Protestes der Öffentlichkeit und dem rechtzeitigen Eingreifen des Innenministers, zu Hause geblieben, was sie „mit gerechter Empörung" zur Kenntnis nahmen. Wer hat aber die österreichischen Kommunisten dazu überreden können, daß sie eine ähnliche, wenn auch unter dem Titel „Sternfahrt für den Frieden" angemeldete Diffamierung der Neutralität Österreichs versuchen sollten? Im Anschluß an eine Kundgebung in Bruck an der Leitha sollten motorisierte Demonstranten zu einer „Besichtigung" der bescheidenen Befestigungsanlagen des Bundesheeres an der Brücker Pforte aufbrechen. Wie immer man von der militärischen Zweckmäßigkeit dieser Anlagen denkt — der Vorstoß mußte ins Leere gehen. Denn Österreich ist zur Verteidigung seiner Neutralität völkerrechtlich verpflichtet, und seine Anstrengungen, dieser Verpflichtung nachzukommen, sind, gemessen am Beispiel anderer neutraler Staaten, noch viel zu gering. „Unsere" Kommunisten haben sich somit selbst, und das in mehrfacher Hinsicht, bloß- gestellt. Der wortreichen Verbotsbegründung der amtlichen Stelle bedurfte es dazu diesmal gar nicht. In dem einen, wie in dem anderen Fall.

SOLL RANGIERT WERDEN! Ob die

Außenminister der „Großen Vier", die einander nun aller Wahrscheinlichkeit nach in der nüchternen Arbeitsatmosphäre der herbstlichen UNO-Vollversammlung und nicht im fragwürdig gewordenen Stimmungsbereich eines klassischen Konferenzortes treffen werden, konkrete Verhandlungen führen oder einander bloß den Standpunkt klarmachen sollen, wird sich schon in den nächsten Tagen zeigen. Wahrscheinlicher ist die zweite Möglichkeit. Der Außenminister der USA hat angekündigt, daß sein Land nicht nur über Berlin sprechen will, sondern daß das gesamte Deutschlandproblem, ja — wie er ausdrücklich sagte — ganz Zentraleuropa in eine solche Diskussion einbezogen werden soll. Vollmachten zu solch weittragenden Beschlüssen wird wohl weder Herr Gromyko noch einer seiner westlichen Kollegen vom jeweiligen Chet erhalten. Aber die Problematik des Berlin- Streits, die sich nach der offen angekündigten Bedrohung des freien Verkehrs in den Luftkorridoren zu einem unmittelbaren Duell der Weltmächte selbst zuzuspitzen drohte, kommt dadurch vielleicht doch auf ein anderes Geleise, auf ein System von Geleisen besser gesagt, das ein Rangieren möglich machen könnte: das Zurückziehen einer Zugsgarnitur im Ausgleich mit dem Vorrücken einer anderen. Von Zentraleuropa soll die Rede sein, nicht mehr nur vom Potsdamer Platz.

HATTE FANFANI ETWAS ZU SAGEN! Italiens Premier, der „professo- rino” Fanfani, ist ein eigenwilliger Herr. Man soll bei der Beurteilung seiner Schritte mit historischen Beispielen vorsichtig sein. Seine Initiativversuche in den letzten Tagen lassen sich kaum mit dem vergleichen, was sich jenseits des Brenner Anno 1915 begab, und der Ehrgeiz Mussolinis,

als Einberufer einer neuen Münchner Konferenz in die Geschichte einzugehen, dürfte den viel nüchterneren Toskaner auch nicht angestachelt haben. Er behauptet, bei seinem Moskauer Besuch, dessen Abschluß mit ganz unüblichem Schweigen, ohne ein noch so kurzes Kommunique zu Rätselraten genug Anlaß gab, von Chruschtschow eine Botschaft an die westlichen Verbündeten mitbekommen zu haben, deren Berücksichtigung die Ulbricht-Aktion in Beilin gegenstandslos gemacht hätte. Wenn dies stimmt, dann muß man fragen, warum sich Fanfani nicht sofort Gehör verschafft, zumindest auf die unmittelbar bevorstehende Entwicklung aufmerksam gemacht hat. Brauchte er dazu aber noch eine sowjetische Ermächtigung, dann ist zu tragen, warum er sie nicht sofort einholfe. Manches an seinem Handeln bedarf der dringenden Aufklärung. Falsch aber wäre es, ihn eines aus der Sorge geborenen unkonventionellen Schritts wegen nun gleich des geplanten Abtalls zu verdächtigen. Wenn einer in Italien — außer den Kommunisten natürlich — an eine Umorientierung denkt, dann sind es eher gewisse Kreise der um den Osthandel besorgten Bourgeoisie als der dem Kommunismus qeoenüber vom Grund her immune christliche Demokrat am Steuerruder.

GING QUADROS FÜR IMMER!

Wenn ein südamerikanischer Politiker zurückfritt oder auch selbst das Land verläßt, dann ist ein solcher Schritt nicht mit einer ähnlichen Handlung in unseren Breiten vergleichbar. Wer bei uns abtritt, kommt selten wieder. Er ist bankrott. Anders in den Ländern mit romanischer Tradition. Ein zeitweiliges Weichen ist nur das Teilmanöver eines strategischen Gesamtkonzepts und hat mit Niederlage wenig zu tun. Auch Janio Quadros, der unter dramatisch-theatralischen Begleiterscheinungen das brasilianische Präsidentenamt niederlegte und das Land verlassen will, denkt bestimmt nicht daran, seine Karriere zu beenden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sein Rücktritt nur als ein spektakulärer Aufruf an potentielle Anhänger im ganzen Lande gedacht, sich nun erst recht unter seinen Fahnen zu sammeln. Er hat auch rechf( deutlich mit dem Finger auf die gezeigt, denen er zeitweilig weichen muß: Es sind die US-freundlichen Generäle, die nun auch prompt die vorläufige Macht übernommen haben. Die besondere Tragik für das Amerika Kennedys liegt darin, daß die großzügige Solidaritätshilfe, die eben erst in Punta del Este für den ganzen Kontinent beschlossen wurde, eben gerade nicht in die Verfügunas- aewalt jener Leute kommen sollte, die sie nun in Empfang nehmen sollen, und daß Kennedys Botschafter Lodge mit verzweifelter Geste um die Partnerschaft keines anderen als eben des eigenwilligen Ouadros rang. Aber noch ist die Partie in Brasilien offen.

VERSCHÄRFUNG IN NORDAFRIKA.

Das Abstimmungsergebnis in der außerordentlichen Generalversammlung der Vereinten Nationen über den Biserta-Konflikt ist vor allem ein Erfolg Tunesiens, dessen Delegierter, Botschafter Mongi Slim, sich erneut als kluger, einsichtsvoller Diplomat erwiesen hat. Ihm und seinem Präsidenten Bourguiba ist es in der Tat gelungen, eine Hineinziehung des Konflikts in die gegenwärtige stürmische Phase des kalten Krieges zu verhindern, und dies bei einer Sondersession, die — ein erstmaliger Fall — gegen den Willen der drei westlichen Großmächte einberufen wurde. Die Vereinigten Staaten standen vor der folgenschweren Wahl zwischen den Sympathien der afro-asiatischen Staaten und der unbedingten Treue zu einem wichtigen Verbündeten. Die Erklärung des amerikanischen UN-Bot- schalters Stevenson nach der Abstimmung, die USA seien nach wie vor bereit, an einer befriedigenden Lösung des Problems mitzuarbeiten, erwies sich in dieser Sicht als eine Formel, die zu Hoffnungen Anlaß geben könnte. Die afro-asiatische Resolution freilich, die mit 66 Stimmen bei 30 Stimmenthaltungen angenommen wurde und in der Frankreich und Tunesien zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Abzug der französischen Truppen auf Biserfa aufgefordert werden, bleibt zunächst ein frommer Wunsch. De Gaulle hält an seiner These, nur die beiden Länder und höchstens noch der Sicherheitsrat seien für diese Frage zuständig, fest. Die Entfernung des gemäßigten Fer- hat Abbas von der Spitze der algerischen Befreiungsfronf — eine Folge der gescheiterten Verhandlungen mit Frankreich — könnte wiederum auch Tunesien zu einer härteren Gangart gegenüber Frankreich zwingen.

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