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An Den Rand Geschlieben

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VOR EINEM ÖSTERREICHISCHEN HORIZONT. Es war kein in den alten Gleisen fes gefahrener Politiker, kein in der Tagespolemik befangener Journalist, sondern ein Psychologe, der vor vielen Monaten — übrigens in einem Leifaufsatz dieses Blattes („Furche" Nr. 40 1960) — zum ersten Mal den Gedanken vortrug, Wien zum ständigen Sitz der Vereinten Nationen zu machen. Was damals in der harten sowjetischen Polemik gegen den mit Aufopferung um Neutralität bemühten Generalsekretär der UNO über den zu ändernden Tagungsort gesagt wurde, stand zu deutlich im Zeichen einer aktuellen Auseinandersetzung, als daß es eine offizielle Parteinahme des neutralen Österreich zugelassen hätte. Nun ist die Frage in einen neuen Aspekt getreten. Die „Furche” machte sich als erste österreichische Zeitung am Vorabend der Wiener Begegnung zur Wortführern dieser Initiative. Der Bundeskanzler selbst hat der Presse berichtet, daf} er zunächst zwar nur von sowjetischen Politikern über einen solchen Vorschlag informiert wurde, dafj unser Land aber dennoch diesen Gedanken von sich aus positiv aufgreifen will. „Wenn sich Russen und Amerikaner darüber einigen", fügte Dr. Gorbach hinzu. Wir möchten seine Worte ergänzen: Nicht nur die scheinbar allgewaltigen Weltmächte werden das In letzter Instanz bestimmen, sondern In gleicher Weise jene vielen „Mittleren" und „Kleinen”, deren Stimmen gleiches Gewicht haben. Österreich gehört zu diesem Chor, und unsere Diplomatie wird gut daran tun, hier bereits erste Informative Kontakte aufzunehmen, anstatt nur gebannt auf den höchsten Gipfel der „Götter" zu starren und allein von dorther Segen und Donnerschlag zu erwarten.

MIT DEM MENSCHEN BEGINNEN. Als vor einigen Monaten — wieder einmal — die Gründung eines mit prominenten Namen besetzten Programmausschusses der ÖVP bekannt- gegeben wurde, lächelten die Wissenden schmerzlich. Was ist in den letzten Jahren hier nicht schon alles zusammenreformiert, zusammengebastelt und im „Remis" ‘ständiger Kompromisse dann wieder ziir Phrase verwässert worden I Als der Vorsitzende und Sprecher dieses Ausschusses, Dr. Drimmel, der Presse am Tage „nach dem Gipfel" ein erstes Arbeitskonzept vorlegte, war man angenehm überrascht. Nicht so sehr über den vielleicht etwas zu wortreich geratenen Katalog der Einzelforderungen, die an der tristen aktuellen Möglichkeit gemessen werden müssen, als über die neue Art, den neuen Stil, die Dinge überhaupt einmal anzugehen. Das Grundsafzkon- zept, trägt den Titel „Jedem Leben Sinn und Ziel". Es wendet sich zuerst, wenn auch’ nicht ausschließlich, an junge Menschen, denen parteihistorische Wortklaubereien und längst antiguierte Streifigkeiten der diversen „Wiener Schulen" nichts mehr sagen. Sie werden bei ihrer eigenen Lebensfrage angesprochen: Wozu das Ganze? Sie wollen keine scholastischen Sysfementwürfe mehr diskutieren, sie wollen das Praktische, Lebensbezogene. Aber diese Praxis selbst muß einem Ziel untergeordnet sein, keinem Leitbild irgendeiner noch so alorreichen Vergangenheit mehr, sondern einer Grenze, einem Horizont der Zukunft entgegen. Bislang waren Utopien ein Vorrecht der Linken, die Rechte nannte sich konservativ, dem Bewahren verpflichtet. Hier aber spürt man zum ersten Mal seif langen Jahren der Stagnation und des Pragmatismus, des Fort- wursfelns und der tibetanischen Ge- befsmühle von den „ewigen Grundsätzen" so etwas wie einen Kennedy- Oeisf. Wird er sich auch im Alltag durchsetzen? Leben und Weiterleben der ÖVP hängt davon ab.

EIN WORT DER DEUTSCHEN BISCHÖFE. Eine „Erklärung der deutschen Bischöfe zum Eichmann- Prozeß’ und die Abfassung eines „Gebets für die ermordeten Juden und ihre Verfolger", das am Sonntag nach dem Herz-Jesu-Fest in allen katholischen Kirchen Deutschlands verrichtet wird, ist ein Ergebnis der Frühiahrskonferenz der Bischöfe Deutschlands, die unter dem Vorsitz des Kardinals Frings in Bühl sfatt- fand. In dieser Erklärung heißt es: „Unser Volk muß das Menschenmögliche tun, das am jüdischen Volk und an anderen Völkern verübte Unrecht wiedergutzumachen. Materielle Wiedergutmachung ist notwendia, aber sie allein genügt nicht. Deshalb rufen die Bischöfe Deutschlands die deutschen Katholiken auf, im Geiste der Sühne Gott um Verzeihung anzuflehen für die Sünden, die durch Angehörige unseres Volkes geschehen sind, und um die Gesinnung des Friedens und der Versöhnung zu bitten. Gleichzeitig appellieren sie an die Initiative der Priester und der Laien, entsprechend den gegebenen Möglichkeiten mit dem Gebete sichtbare Zeichen tätiger Sühne zu verbinden." Sichtbare Zeichen tätiger Sühne zu tun: die Weltöffentlichkeit wartet seit langem darauf, daß Regierung, Volk und einzelne in Österreich Werke dieser Sühne leisten. Wird das Wort der deutschen Bischöfe auch bei uns gehört werden?

SORGEN MOSKAUS IN AFRIKA.

Mehrfach haben die Russen in letzter Zeit Gelegenheit gehabt, die Empfindlichkeit von Afrikanern, die sich nicht einfach vom roten Kreml vereinnehmen lassen wollen, fesfzu- sfellen. Seit dem berühmten Austritt Leopold Sedar Senghons 1956 aus der Kommunistischen Parte! Frankreichs, kurz nach der ungarischen Erhebung, hat man seine weithin hallende Erklärung nicht vergessen: Wir Afrikaner wollen von niemandem für Dinge mißbraucht werden, die nicht die unseren sind. Mancher afrikanische Staatsmann hat seither, vor und mehr noch hinter den Kulissen den Russen sehr deutlich seine Meinung gesagt. In letzter Zeit verdichten sich die Sorgen Moskaus am arabischen Rande Afrikas. Der Sowjetbofschafter in Kairo drückte der Regierung Nasser offiziell die Mißbilligung für die neutralistischen Bestrebungen in und um Kairo aus. Arabische Zeitungen konterten: Die Sowjetunion möge der Tätigkeit ihrer kommunistischen Parteien in den arabischen Ländern ein Ende setzen. Die „Prawda" beschuldigt nun ihrerseits die Freunde Nasse, sie dienten lediglich den Interessen der „imperialistischen Kolonia-

listen". Gleichzeitig verweist die russische Presse auf die üble Behandlung der Kommunisten in den Gefängnissen der Vereinigten Arabischen Republik. Diese Geplänkel sind nicht zu ernst, aber auch nicht zu leicht zu nehmen. Moskau hat sich im Bau des Assuan-Dammes allzustark engagiert, um hier sein eigenes Werk gefährden zu dürfen, und muß in den arabischen Ländern immer auch den Welfislam im Auge behalten, so wie es bei den Laos-Völkern sein gutes Gesicht vor dem Welfbuddhismus wahren möchte. Beide, Weltislam und Welfbuddhismus, verdienen auch das sorgfältigste Augenmerk der westlichen Welf

AB DAFllR. Vielleicht — man möchte annehmen: sicher — gibt es da und dort in der westlichen Welt den einen oder anderen politischen Strategen, der den durch ein Attentat beseitigten Diktator der Dominikanischen Republik, Trujillo, auf ein Verlustkonto setzt und seinen Abgang, dem früher oder später auch der Zusammenbruch seines durch einen Familienclan zusammengehaltenen „Systems" folgen wird, als Negafivum für die „Freie Welt" verbucht. So schwierig und verworren auch die Lage dort sein mag, so ernst die Gefahr eines „zweiten Kuba" an der Schwelle zu den USA ist, man muß doch aufatmen, daß hier eine seit Jahrzehnten schwärende Eiterbeule geplatzt ist. Selbst als die USA zusammen mit den anderen Mächten Amerikas bei der letzten Sitzung ihrer kontinentalen Organisation die Blokade und den Boykott über Trujillos Reich verhängten, hörten seine einflußreichen Freunde da und dort nicht auf, ihn als einen möglichen Büttel aegen Castro zu empfehlen. — Knapp vor seinem Tode versuchte der mit allen Salben geschmierte „Mischer" einen letzten Trick: ein Zusammengehen mit Castro, dem vermeintlichen „ideologischen” Todfeind. Aber diese Mischung war zu brisant, sie explodierte und sprengte das Gebäude samt dem Alchemisten in die Luft. Was blieb und jetzt wegzuräumen ist, sind nur noch die Trümmer.

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