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WARNUNG VON DEN HOCHSCHULEN. Die Hochschulwahlen 1961 brachten keine Sensationen. Wenn es eine Überraschung gab, dann die, dafj der „Unsicherheifsfaktor", der in den ungefähr zehntausend Neuwählern bestand, post tęstum überhaupt nicht da war. Beinahe auf Zehnfeiprozente genau schwenkten die jungen Studenten, von denen ein Teil erst im vergangenen Sommer die Mittelschulen verlassen hatte, in die drei „traditionellen Lager* ein. Nach wie vor führen die im „Wahlblock österreichischer Akademiker" vereinigten christlichdemokratischen Organisationen und Verbände mit 57.08 Prozent (1959: 57.56 Prozent) mit großem Abstand. Die Hoffnungen des „Verbandes Sozialistischer Studenten", durch eine vehemente Opposition Bodengewinne auf dem für den Sozialismus harten Terrain der Hohen Schulen zu erzielen, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil. Auch der Verband Sozialistischer Studenten mußte dieselbe kleine Abschwächung von einem halben Prozent in Kauf nehmen, die der „regierende" Wahlblock bezahlte. Statt wie 1959 14.11 Prozent stimmten nur 13.66 Prozent aller Studenten für seine Liste. Dem deutschnationalen „Ring freiheitlicher Studenten" verhalfen diese beiden kleinen Abstriche zu einem Zuwachs von einem Prozent. Er hält bei 28.13 Prozent (1959: 27.02 Prozent). Bestimmt alles andere als aufregende politische Verschiebungen auf Hochschulboden; dennoch gilt es, einige Lehren zu ziehen: Wir haben schon vor den Studentenwahlen geschrieben, daß eine Verschärfung der Gegensätze zwischen „Wahlblock" und „Sozialisten" nur die deutschnationalen Kräfte auf Hochschulboden stärken könnte. So ist es auch geschehen. Von mit den heutigen Hochschulverhältnissen nicht immer vertrauten Politikern angefeuert, lieferten sich „Wahlblock" und „Sozialistische Studenten" ein wahres „Freistilringen" —• und das zu guter Letzt nicht nur im übertragenen Sinn. Daran Gefallen zu finden, ist nicht Sache aller Akademiker. Mit diesen Methoden muß nun schleunigst Schluß gemacht werden — auf beiden Seiten. Zerrbilder wie jene vom aufgeschwemmten Bierstudenten Anno 1910 jsoder von» blutroten Marxisten desselben Jahrgangs sind eines halbwegs gebildeten Menschen nicht , würdig und .gehören in die Mottenkiste. Auf welcfteri Basis die „neue Regierung" der Studenten gebildet werden soll, mögen die zuständigen Gremien befinden. Eines muf} man von ihnen verlangen: Die Erinnerung daran, daß die Front auf Hochschulboden 1961 genauso wie 1945 nicht vielleicht zwischen farbentragenden und nichtfarbentragenden Studenten, sondern zwischen allen jenen Kräften, die sieh zu Österreich bekennen, und jenen, die anderen Leitbildern folgen, verläuft.

KETTENREAKTION! Aufgescheucht vielleicht durch die westliche Presse, nicht zuletzt die der Bundesrepublik, die sich seif der Verhaftung des Franz Novak in steigendem Mal}e mit dem übersehen prominenter nationalsozialistischer Verbrecher in Österreich durch unsere Behörden befaßt, ist es jetzt in Linz zur Verhaftung des früheren Gauinspektors für Oberdonau gekommen. Stephan Schachermayer hatte, wie nicht wenige hochaktive Vorkämpfer des Dritten Reiches, bei einem verstaatlichten Betrieb ein« neue und einkömmliche Betätigung gefunden, die ihm und seinesgleichen Zeit lief}, Propaganda und Aktivität im neonazistischen Lager wiederaufzunehmen. Er galt zuvor, vor 1938, als „gemäßigter" illegaler Nationalsozialist. Wieder wäre es falsch, diesem Individuum die Hauptschuld zu geben: diese ist in dem eigenartigen Klima zu suchen, in dem in den letzten Jahren, geduldet, gefördert, und freundlich „übersehen”, bei Soldatentreffen und anderen Veranstaltungen unter hoher und höchster Protektion sich der Ungeist von gestern aussingen und neubilden konnte. Einzelaktionen spektakulärer Art gegen „Unverbesserliche" führen jedoch nicht zum Ziel, da sie das Zentrum gar nicht anvisieren, ja von ihm wegführen: die Schirmherren dieser Männer in der höhen Politik, in einigen Ämtern, in einigen Schulen.

KENNAN IN BELGRAD: Kennedy hat George Kennan, einen der besten Kenner russischer und kommunistischer Probleme und Verhältnisse, als Botschafter für Belgrad bestimmt. In Österreich sollte dies sehr beachtet werden. Belgrad ist ein „offener Platz', an dem so gut wie alle Rich

tungen und Gruppen östlicher Mächte und Parteien zugegen sind: Stalinisten, Titoisten, Trotzkisten, Bolschewiken ältester und jüngster Prägung, Reformsozialisfen und Radikale Afrikas und Asiens. Nicht zuletzt die Afrikaner gehen hier gerne ein und aus: zumal jene, die sich weder Peking noch Moskau ganz verschreiben wollen. Die Verbindungen Belgrads mit den Algeriern, die hier in Spitälern und andernorts Aufnahme und Unterstützung gefunden haben, und mit den Arabern weisen darauf hin, daß man hier an der unteren Donau oft mehr über den Wasserstand der Seine in Paris erfahren kann als in Regierungskreisen um de Gaulle. Belgrad ist einer der wichtigsten Posten zur Beobachtung Osteuropas, des Mittelmeerraumes und Afrikas. Kennedy hat dieser Tatsache sehr rasch Rechnung getragen. Seine Besetzung der Auslandsvertretungen der USA wird die Schwerpunkte seines strategischen Konzepts für eine neue Weltpolitik schrittweise erkennen lassen.

„HEILIGE FREIHEIT." „Santa Maria* hieß das Flaggschiff des Kolumbus. Die Freiheitsstatue vor dem Hafen von New York sieht den Schiffen und den Menschen entgegen, die in die „Neue Welt" fahren. „Santa Maria” hieß ein portugiesisches Luxusschiff, das mit rund sechshundert ehrsamen und wohlbemittelten Leuten im Karibischen Meer zu kreuzen pflegte. „Santa Libertade", „Heilige Freiheit", heißt es auf dem Höhepunkt seiner Karriere, den es eben erreicht hat: vor Brasiliens Küste, im Schutz der Navy der USA. Noch am vergangenen Sonntag meinte die angesehenste Schweizer Zeitung in einem langen, der „Santa Maria* gewidmeten Leitartikel: „Gemäß Völkerrecht können Galvao, seine Mannschaft und sein Auftraggeber nur als Piraten, Seeräuber bezeichnet werden.* Und dieses angesehene Organ der Hochfinanz meint: „Ein britisches Kriegsschiff ließ die Piraten unter seinen Geschützen entkommen — vielleicht eher ein Symptom für den Niedergang der britischen Flotte als ein gewollter politischer Akt.* Hier irren unsere Schweizer Freunde. Nicht nur Brasiliens neuer Staatspräsident, sondern die Kabinette in Washington, London, Paris haben deutlich zu erkennen1 gegeben,'daß sie sieh der politischen Bedeutung dieser Aktion der beiden portugiesischen Oppositionsführer Delgado und Galvao bewußt sind. Lissabon steht unter Polizeischutz, die Truppen und die Flotte des Regimes im Heimatland und in Afrika sind auf Alarmstufe gesetzt. Es ist durchaus der freie Westen, der den politischen Charakter dieser Aktion erkannt hat. Der „sanfte Diktator" Salazar, persönlich sehr unähnlich dem genau sieben Tage älteren Adolf Hitler, hat aus seiner Verachtung der Demokratie nie ein Hehl gemacht. In Portugal und in seinen Besitzungen gibt es aber auch Menschen — ihre Zahl nimmt von Jahr zu Jahr zu —, die nicht dieser Meinung sind. Darauf ist die Weltöffentlichkeit aufmerksam geworden. Vor mehr als hundert Jahren hat ein Lord Byron mit einer Handvoll griechischer Freischärler ähnliches gewagt.. .

MACMILLAN 1961: Während Amerika auf die kommunistische Invasion in Laos nervös und resolut reagiert, tritt London auf dem Platz. Dieses konträre Verhalten ist nicht zuletzt im Zusammenhang mit Macmillans Reiseplänen 1961 zu sehen: diese führen ihn nach Ostasien, vielleicht auch nach Peking. Großbritannien hält offenbar die Zeit für gekommen, nähere Kontakte mit dem größten Staat der Erde, den es als einzige prominente Macht des Westens anerkannt hat, zu suchen. Rotchina macht eben eine Hungerperiode durch, über die nicht zuletzt die im englischen Hongkong arbeitenden Chinesen, die ihre Verwandten im Inneren Chinas in der letzten Zeit besucht haben, dramatische Berichte geben. Tschu En-lai ist soeben mit einer Mammutdelegation von 450 Mann zur Unterzeichnung eines Vertrages in Rangun eingetroffen: ein sechsjähriger Grenzstreif soll feierlich beendet werden. Anderseits befinden sich in der Nähe von Laos noch nationalchinesische Truppen, die sich nach Tschiangkaischeks Niederlage in die Berga und Dschungel dieser riesigen Grenzräume zwischen China und Hinterindien zurückgezogen haben. London sieht nüchtern die Tatsache: ohne Verhandlungen mit Peking ist gerade auch in diesem Gebiet der Laos-Völker auch nicht einmal eine geringe Stabilisierung des Status quo zu erhalten.

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