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An den Rand geschrieben

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KEIN SOMMERFRIEDEN. Zu Sommerbeginn schreibt der geplagte Leitartikelschreiber — wenn ihm nichts anderes einfällt — gerne von der politischen Flaute, die sommersüber anhält und erst im Herbst wieder einem kräftigen Sturmwind Platz machen wird. Und gerade hierzulande stimmt dies heuer weniger denn je. Die Leberkässemmel der Salzburger Autobusfahrer hat sich zu einem veritablen innenpolitischen Problem entwickelt, zu einer Lawine, die alle mühsam errichteten Schutzbauten zu zertrümmern droht. Und so steht Österreichs politischer Sommer — fast über Nacht — im Zeichen eines entfesselten Preiskampfes, der diesmal nicht vom Produzenten und vom Handel, sondern sehr offensiv vom Konsumenten geführt wird. Der Bundeskanzler, dessen „Arbeitsurlaub’ in Salzburg nun eine recht plötzliche Unterbrechung erfährt, sieht sich nun von einer ganzen Reihe von Petenten bedrängt, die von ihm eine rasche Entscheidung erwarten. Und auch die Freiheitliche Partei sah — wieder einmal — eine Gelegenheit, kräftig loszuschimpten, Bundesparteiobmann Peter teilte Hiebe tfus. Gleichmäßig. Und vergafj auch nicht, der SPÖ schlechte Zensuren zu erteilen. Das Techtelmechtel von einst scheint vergessen. Die Paritätische Kommission dagegen sieht sich für die kommenden Sitzungen einem gewaltigen Programm gegenüber: Erhöhungen der Fleischimporte. Drosselung der Exporte zugunsten der Belieferung des Inlandmarktes, Preisbeeinflussung durch Maßnahmen der Käufer und die Senkung der Produzentenpreise für Lebendvieh. Die Kommentare zur Lage an der Preis- fronf: „Es muß was geschehen!” Aber was? Man wartet jedenfalls auf den Herbst.

DAS BUNDESHEER STELLTE SICH VOR. Verteidigungsminister Praders Werbefeldzug, dessen Ziel Ine Hebung der Popularitätskurve der Streitkräfte sein sollte, ist zunächst abgeschlossen. Der Minister und die hohen Militärs — auf ihre Erfindung nicht wenig stolz — erklärten sich mit dem Erreichten durchaus zufrieden, nahm doch die Bevölkerung fast ausnahmslos mit Vergnügen das Auftreten der wohldisziplinierten „Reklamesoldaten” zur Kenntnis. Daß die Schau r in wenig von einem Volksfest an sich hatte, mag wohl im österreichischst1! ,, -Natįę.nalcharakter begründet sein, der sich leicht an flotter — österreichischer! — Marschmusik entzündet. Etwas befremdlich allerdings waren die Kommentare, die die zweite Regierungspartei für die Aktion gefunden hat: Recht wenig war da die Gemeinsamkeit der Landesverteidigung zu bemerken, die in Sonntagsreden immer wieder hervorgehoben wird. Im Hintergrund, doch nicht zu übersehen, standen, mit ordensgeschmückten Sfeirer- anzügen geziert, die Männer vom Kameradschaftsbund. Und die setzten der Aktion einen schiefen Akzent auf. Die enge Verbindung nämlich vom Heer der neutralen Republik und Männern, die das Andenken an ainen fremden Eroberungskrieg hoch- halten, ist ein schlecht geschürzter Knoten. Doch darauf hat die „Furche” schon oft genug hingewiesen. Es kann nur nicht oft genug daran erinnert werden.

ALS BÖHMEN NOCH BEI ÖSTERREICH WAR. Jahrzehntelang lebten Generationen zweit- und drittklas- siger Kabarettisten, denen sonst herzlich wenig einfiel, von Witzen, die sich aut die vielfältig gesponnenen Verwandtschaftsbande zwischen Wienern und Bewohnern des böhmisch-mährischen Raums bezogen. Fast zwei Jahrzehnte lang waren diese Verbindungen unterbrochen. Unterbrochen durch eine Linie aus Stacheldraht und Minen, die sich quer durch Mitteleuropa hinzieht. Der „Eiserne Vorhang”, in den letzten Monaten quietschend und ächzend ein wenig hochgekurbelt, ist nun kein Hindernis mehr, die alten Beziehungen wiederaufzunehmen. Österreichs Fernseher konnten sich jüngst davon überzeugen: Da bot eine Gemeinschaftsproduktion der Fernsehstationen beider Länder einen bunten Abend, übertragen aus dem südmährischen Schloß Nikolsburg. Und da konnte man feststellen, wie lose die Verbindung zum Nachbarn schon geworden war. Und wie abgedroschen doch der Witz vom „echten Wiener, der ein Böhm’ ist”, klingt. Denn die Sendung — in der nicht wenig tschechisch gesprochen wurde — mufjte den Wiener Zuhörer langweilen. Und den Freund des flimmernden Heimkinos in den Bundesländern erst recht. Diese mißglückte Brücke — von Patschenkino zu Patschenkino — ändert freilich nichts daran, daß der Reiseverkehr zwischen Österreich und der Tschechoslowakei weiterhin recht lebhaft ist. Zu lebhaft sogar. Denn die Grenzbehörden des Nachbarlandes empfangen längst nicht mehr die Besucher so freundlich wie zu Beginn des Reiseverkehrs. Und auch Österreichs Innenminister mufjte seine Landsleute ermahnen, doch etwas mehr auf Ansehen bedacht zu sein. Die schmuggeltreibenden Österreicher, Koffer und Taschen vollgestopft mit billigem Zeug, sind nämlich schlechte Botschafter. Nicht nur Österreichs, sondern des Europa diesseits des „Eisernen Vorhanges”. Mahnungen, die ideellen Motiven entspringen, werden da freilich wenig nützen. Die tschechoslowakischen Behörden machen es anders. Die sperren ein.

HELLO, LYNDONI „Hello, Dolly!’ heißt ein Schlager aus einem gerade am Broadway laufenden populären Musical. „Hello, Barryl” machten Goldwaters Reklamestrategen daraus. Sehr zum Mißvergnügen des Komponisten, der sich zu den Demokraten bekennt und die Goldwater- Männer klagen will. Für Präsident Johnson hat er einen neuen Schlager geschrieben: „Hello, Lyndon!” heifjt das Liedchen, auf Schallplatten, die gratis verteilt werden, geprefjt und von den Blaskapellen der Demokraten so lange gespielt, bis alle mitsingen. Doch was hilff’s? „Hello, Barryl’ klingt eben flotter als „Hello, LyndonI”. Amerikanische Präsidentenwahlen werden wohl zu einem guten Teil, doch nicht ausschließlich durch für Europäer „typisch amerikanische” Reklamemethoden entschieden. Der Parteikonvent der Demokraten, in Atlantic City dieser Tage eröffnet, beschäftigt sich mit ernsteren Fragen. So herrscht immer noch Ungewißheit über den Anwärter auf die Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten. Präsidenf Johnson wird an seinem 56. Geburtstag zu den Delegierten sprechen und seine Nominierungsvorschläge bekanntgeben. Seine eigene Nominierung für die Wahlen am 3. November, über die der Nationalkonvent der Demokratischen Partei bereits vor Monaten einstimmig entschieden hat, gilt als sicher.

GENERAL KHANH GESTÜRZT. Das Kennedy-Denkmal in Saigon sei entfernt worden, hieß es in einer kleinen, unauffälligen Agenturmeldung. Und cfoeh — Wie’ symbolfräehtig war die Entfernung des Denkmals. Denn kaum eine Woche später existiert auch das-Regime Khanh nicht mehr, das, gestützt auf die US-Militär- „Berater”, die Diem-Diktator abgelöst hatte. Der schlaue, geschickt operierende General und ehemalige amerikanische Offiziersschüler halte wohl die Kraff, die seit Tagen andauernden Studentendemonstrationen elastisch aufzufangen, der Preis jedoch, den er dafür zahlte, war sein Rücktritt. Fast zwanzig Jahre dauert nun schon der Krieg in Vietnam. Und eine Lösung zeichnet sich noch immer nicht ab. Doch scheint die Rolle Frankreichs, das im Hintergrund die Fäden ziehen dürfte, größer zu sein, als zugegeben wird, schrieben doch Pariser Zeitungen von Plänen und Absichten der französischen militärischen Abwehr, die hinter dem Sturz Khanhs sfehen könnte. Washington selbst ist vom Sturz des Generals, dem es nicht wenig vertraut hatte, am meisten überrascht. Die unglückliche Hand, die die Vereinigten Staaten in ihrer südostasiatischen Politik haben, kann nicht durch eine beträchtliche Erhöhung der Zahl der „Berater” ersefzf werden.

SOLDNER GESUCHT. „Geeignete junge Männer werden für eine abwechslungsreiche Beschäftigung” mit einem Monatsgehalt von ungefähr 8000 Schilling gesucht. Die abwechslungsreiche Beschäftigung besteht in der Führung eines erbitterten, grausamen Krieges, den Kongominister- präsident Tschombe gegen rebellisch gewordene Provinzen führt. Tschom- bes Truppen sind inzwischen zur Offensive angetreten. Der Generalsekretär der Organisation afrikanischer Staaten kündigte daraufhin an, daß sich eine Sondersitzung dieser Organisation mit der Kongokrise befassen werde. Auch Washington — das Truppen in den Kongo entsandt hat — und Moskau meldeten sich zu Wort, So gaben die Vereinigten Staaten bekannt, daß sie eine afrikanische Lösung — erzielt durch das Eingreifen der Organisation afrikanischer Staaten — der Kongokrise durchaus begrüßen würden. Moskau dagegen versicherte, daß durch die Umwandlung der Kongorepublik in einen Militärstützpunkt der Kolonialmächte ein neuer Kriegsherd im Zentrum Afrikas entstehen und eine Gefahr für die Unabhängigkeif vieler afrikanischer Völker geschaffen würde. Peking schweigt. Jenes Peking, das sein Interesse am Kongo schon oft gezeigt hat. Und vor den Rekru- fierungsbüros in Südafrika stehen junge Männer Schlange.

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