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An den Rand gesgrieben

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VOR DER, HERBSTSCHLACHT. Die diesjährigen Budgefverhandlungen sind bei ihrer Endphase angelangf: im Ministerraf, der gegenwärtig in Permanenz tagt, wird die endgültige Entscheidung darüber fallen, ob Österreich im folgenden Jahr ein währungspolitisch neutrales Budget bekommt, wie es Finanzminister Schmitz anstrebf, oder nicht. Die Angriffe der Sozialisten auf das Konzept des Finanzministers haben, wie schon erwartet, planmäßig begonnen, aber zunächst noch auf der Ebene von Pressepolemiken und bei Wahlversammlungen. Leider hat die österreichische Volkspartei diesmal wieder nicht ferfiggebracht, sich lückenlos hinter das Konzept ihres Finanzminisfers zu stellen. Man wird sich erinnern, denn es ist noch nicht so lange her, dafj der gegenwärtige Bundeskanzler als Finanzminisfer in einer ähnlichen Situation schon bittere Erfahrungen sammeln konnte. Auch Dr. Schmitz wurde nicht erspart, daß einer der ÖVP-Bünde, der Bauernbund, bei der Semmeringtagung der ÖVP-Mandatare seine Forderung nach einer Aufstockung des Grünen Planes um 100 Millionen Schilling und einen Zuschuh von 60 Millionen Schilling aus Steuermitteln für die mit 1. Jänner 1965 anzulaufende Krankenversicherung für die Bauern durchsetzen konnte und damit das schwer genug zusam- mengezimmerfe Budgefgebäude, das ja noch den Stürmen der Koalitionsverhandlungen sfandhalfen soll, ins Wanken gebracht hat. Mangelnde Koordinierung bei der nachträglichen Erklärung dieser Vorgänge hat zum peinlichen Eindruck noch beigetragen. Es darf niemanden überraschen, wenn die Sozialisten ihr Forderungsprogramm mit den Wünschen der Bauern, deren Berechtigung hier aufjer Diskussion steht, in Verbindung bringen werden.

MITSPRACHE DES EINZELHEN. Ein Politiker im Wiener Rathaus hat vor über einem Jahrzehnt das Wort vom Mifdenken, Mitsprechen und Mitverantworten herausgesfellt. Die Gemeinderatswahlen für Wien werfen erneut die Frage auf, wie der Wiener — an kommunalen Fragen ohnehin nicht übermäßig interessiert — an der Verwaltung seiner Stadt beteiligt sein kann. Amfsführender Stadtrat DDr. Prutscher nahm kürzlich vor Angehörigen der Kolpingjugend — also den Wählern von morgen — zum Problem der Teilnahme an der Stadtverwaltung Stellung. „Wir leben nicht in einem Dorf’, sagte der Stadfrat. Und meinte damit die Anonymität, die die Stadtverwaltung, die „Obrigkeit" für den Bürger darsfellf. Die Verwirklichung des Subsidiari- fäfsprinzips — das Stadtraf Doktor Prutscher vor einiger Zeit der „Furche" als wichtigsten Punkt eines modernen kommunalen Programms nannte — könnte manche Energien in die richtige Bahn lenken. Doch stellte DDr. Prutscher fest, daß die Grundsätze, nach denen die Verwaltung der Bundeshauptstadt geführt wird, derzeit noch weit von der Realisierung des Subsidiaritätsprinzips — nach dem die übergeordnete Gemeinschaft der kleineren Gemeinschaft oder dem einzelnen bei der Lösung seiner Aufgaben behilflich ist — entfernt ist. Staunen, ja Zweifel im jugendlichen, doch bemerkenswert politisch informierten und orientierten Auditorium rief Stadtraf Pruf- schers Anregung hervor, den gewählten Vertretern im Gemeinderaf doch brieflich mifzufeilen, wie man als Wähler über dieses oder jenes kommunale Problem denkt. Wähler von morgen — wird ihr Kontakt mit ihrem Abgeordneten fester und unmittelbarer sein als der ihrer Väter? Ansätze sind vorhanden. Interesse an Kommunalfragen ist vorhanden. Es ist an den Politikern, jenen verborgenen Schatz zu heben.

ASYLRECHT. Österreichs neuer Innenminister Hans Czettel stellte sich kürzlich zum erstenmal in- und ausländischen Journalisten. Der etwas ungewöhnliche Ort der Pressekonferenz: das Flüchtlingslager Traiskirchen. Binnen kurzem sahen sich Innenminister und Staatssekretär — in demonstrativ-brüderlicher Haltung — bohrenden Fragen der versammelten Presseleute ausgesetzt, deren einige mit aller Kraft dem Innen- minisferum den schwarzen Peter der Schuld an der Rückstellung politischer Flüchtlinge in ihre Heimat zuschieben wollten. Hohe Beamte des Ministeriums — die dem Minister künftig bei jeder Pressekonferenz zur Seife stehen werden — stellten fest, daß die Schuld an angeblichen gewaltsamen Rückstellungen unmöglich Österreich anaelasfet werden könnte. Rede und Gegenrede nahmen bald ungewöhnlich heftige Formen an, was schließlich einen Fernsehreporter — etwas wackelig zwar, doch immerhin recht aggressiv— veranlaßte, sich nach der Zeitung eines der ungestümen Frager zu erkundigen. Da lenkte der Innenminister ein.

Er stellte fest, für Fehler, die möglicherweise vor seiner Ministerschaft geschehen sein könnten, nicht verantwortlich zu sein, und versprach, zusammen mit Staatssekretär Soronics in kürzester Zeit der Bundesregierung einen Bericht über die heikle Frage des politischen Asylrechtes zuzuleiten.

DER OFFIZIER, DER TECHNIKER UND DER ARZT. Drei Menschen umkreisten Anfang dieser Woche, in ein Raumschiff eingeschlossen, die Erde, auf der in diesen Stunden „altmodische” Wettbewerbe, die Olympischen Spiele in Tokio, die Phantasie sportbegeisterter Massen in ihrem Bann hielten. Die Leistung der drei Russen grenzt ans Unwahrscheinliche, wie dies schon bei den bisherigen Raumfahrern, ob Russen oder Amerikaner, der Fall war und wie dies, so möchte man doch hinzufügen, auch bei Spitzenkönnern des Sportes immer wieder der Fall ist. Aber hier kommt denn doch noch manches hinzu. Die drei, der Offizier, der Techniker und der Arzt, alle unter vierzig Jahren, Familienväter, mit bisher schon weit überdurchschnittlichen Erfolgen in ihrer Laufbahn, vertreten einen neuen Men- schenfyp, den unser wissenschaftlich- technisches Zeitalter hervorgebrachf hat und ohne den dieses Zeitalter nicht existieren könnte. Wohlgemerkt, der „Offizier’ entspricht hier auf keinem Fall dem althergebrachten Bild von einem Kavalleristen oder gar „Luffwaffenoberst", dessen Rang Vladimir Komarow denn laut Lebenslauf bekleidet. Dieser Oberst ist ein Ingenieur und fügt sich damit in das Triumvirat, das mithin in dreifacher Weise ein Weltbild, eine bestimmte Vorstellung vom Sinn und Zweck des Lebens, des menschlichen Strebens und von den Entfaltungsmöglichkeiten menschlichen Geistes verkörpert. Das Bild der drei wird vermutlich bald in vielen Studierzimmern, in Jugendklubs und Studentenheimen hängen, in Rußland, aber vielleicht auch anderswo, und jeder, der sich über die Zeit, in der er lebt, und über seine Mitmenschen in nah und fern Gedanken machen will, muß sich auch mit diesem Bild, das heißt, damit, was es versinnbildlicht, auseinandersefzen. Man wird hierbei auf Grenzen stoßen, die bestürzend sind, aber vielleicht auch Perspektiven erblicken, die weit hinein in unbekanntes Land weisen.

DIE TAPFERKEIT DER KÖNIGIN. Von der Weltöffentlichkeit kaum bemerkt, gleichsam am Rande des Geschehens, das in ihrem eigenen Land, in Großbritannien, im Zeichen eines dramatischen Wahlkampfes stand, absolvierte Königin Elizabeth II. von England mit ihrem Gemahl einen offiziellen Besuch in Kanada. Die feindseligen Demonstrationen, die sie auf dieser Reise begleiteten, begannen wie Lausbubenstreiche, mit denen eine einigermaßen gutorganisierte Polizei eigentlich routinemäßig fertigwerden sollte. Die kanadische Polizei wurde mit ihnen trotz eines Massenaufgebotes von bewaffneten, berittenen und motorisierten Einheiten nicht oder nur mit knapper Not fertig. Kanadische Separatisten französischer Sprache hielten während des Besuches der Königin bei Massenkundgebungen Reden, in denen sie ihr Volk als das „meistunterdrückfe der Welt, das die Freiheit nie gekannt hat”(!) bezeichneten. Die Königin wurde in einem gepanzerten Spezialwagen umhergeführf, und britische Zeitungen vermerkten, daß sie von mehr Soldaten geschützt wurde als einst Hitler. Erst in Ottawa wurde das königliche Paar herzlich empfangen, und so endete die achttägige Reise mit einem harmonischen Akkord. Kein Mensch, der unter einer der Diktaturen der Gegenwart lebt oder gelebt hat, wird diese Vorgänge und ihre Hintergründe verstehen. Vielleicht gehören aber Beleidigungen wie diese, welche die sympathische Königin Englands gewiß nicht verdient hat, zu dem komplexen Phänomen der Popularität dieser Monarchie, die, trotz gelegentlicher Krisenzeichen, noch immer Tatsache zu sein scheint.

DIE BLOCKFREIEN UND DIE WELT. Die zweite Konferenz der Blockfreien ist in Kairo zu Ende gegangen, nachdem es den Protagonisten Tito, Nasser und Sukamo doch noch gelang, einige rebellierende afrikanische und asiatische Delegierte bei der Stange zu halten. Tschombe war schon früher abgereisf, er wurde, nachdem gewisse Bedingungen erfüllt worden sind, aus der Haft entlassen, aber der Konflikt hat dem Ruf des ägyptischen Staates als Partner auf diplomatischer Bühne, nach dem internationalen Presseecho geurteilt, doch geschadet. Die Schlußresolution enthält Angriffe auf Israel wegen der Palästinaflüchtlinge, betont aber den Willen der Konferenzteilnehmer, sich jeder Drohung oder Gewaltanwendung zu enthalten.

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